Genf: „Warum handeln die UN nicht?“

Das Geflüchtetenlager Mexmûr steht offiziell unter dem Schutz des UNHCR. Nach dem jüngsten Drohnenangriff der Türkei auf das Camp fordert die kurdische Community in Genf die Vereinten Nationen zum Handeln auf.

Die Demokratische Kurdische Gemeinde Schweiz (CDK-S) hat vor dem Sitz der Vereinten Nationen in Genf gegen den türkischen Drohnenangriff auf das Geflüchtetenlager Mexmûr im Nordirak protestiert. Bei dem Angriff am Montag auf ein Wohnhaus in dem selbstverwalteten Camp ist Evizet Abdullah Abid, Vater von sechs Kindern, ums Leben gekommen. Mexmûr steht offiziell unter dem Schutz des UNHCR, die UN haben sich nicht zu dem Angriff geäußert.

Bereits vor einer Woche hatten kurdische Aktivist:innen eine Stellungnahme von den Vereinten Nationen zu einem tödlichen Drohnenangriff der Türkei auf ein von den UN gefördertes Bildungszentrum für Mädchen in Nordsyrien gefordert. Wie am vergangenen Mittwoch begann auch die heutige Kundgebung in Genf mit einer Schweigeminute für die Gefallenen des kurdischen Befreiungskampfes. Die Kundgebung der CDK-S vor dem UN-Sitz findet seit Anfang 2021 jeden Mittwoch statt, jede Woche werden neue Massaker des türkischen Staates in Kurdistan angeprangert. Die ursprüngliche und weiterhin gültige Forderung der kurdischen Gemeinde ist die Freilassung von Abdullah Öcalan, der Schlüsselfigur für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage.

Die Türkei greift mit Unterstützung der NATO an“

In Redebeiträgen wurde auf die Verantwortung der UN für die weltweit ignorierten Massaker in Kurdistan hingewiesen. Der Aktivist Mustafa Altunbaş erklärte in einer Rede, dass die Türkei bei ihrem Vernichtungsfeldzug gegen die kurdische Befreiungsbewegung keinen Unterschied zwischen Zivilbevölkerung und Kampfverbänden macht: „Die Angriffe unterliegen nicht nur der Kontrolle des türkischen Staates. Der Staat hat gegen den Widerstand der PKK-Guerilla und des kurdischen Volkes eine Niederlage erlitten. Danach hat er mit der Unterstützung der NATO entschieden, seine Angriffe ununterbrochen fortzusetzen. Das kurdische Volk und seine Guerilla leisten also gleichzeitig auch Widerstand gegen die NATO-Mächte. Dass diese Staaten zu den türkischen Massakern schweigen, liegt in ihrer Kurdenphobie begründet. Die Errungenschaften der Kurdinnen und Kurden sollen eliminiert werden, das kurdische Volk soll keinen offiziellen Status haben. Die Guerilla erfüllt ihre Aufgabe mit großer Opferbereitschaft. Unsere Aufgabe ist es, ihre Stimme zu sein und das Geschehen öffentlich zu machen und anzuprangern. Das werden wir weiter tun, bis Abdullah Öcalan freigelassen wird.“

Ehemaliger Bewohner von Mexmûr fordert UN zum Handeln auf

Eine weitere Rede wurde von Nurettin Turgut gehalten. Der kurdische Aktivist hat jahrelang als Geflüchteter in Mexmûr gelebt und war Mitglied einer Friedensgruppe, die freiwillig zu Gesprächen über eine politische Lösung der kurdischen Frage in die Türkei gereist ist. Aufgrund der massiven Repression musste Turgut politisches Asyl in Europa beantragen. In seiner Rede verurteilte Turgut den Drohnenangriff auf Mexmûr und sagte: „Jede Woche kommen Menschen bei gezielten Angriffen ums Leben. Diese Menschen sind unsere Freundinnen und Freunde. Wir stehen vor dem Sitz der Vereinten Nationen und versuchen, uns Gehör zu verschaffen. Mexmûr ist vor 24 Jahren mit Zustimmung der UN errichtet worden und die Welt schaut schweigend dabei zu, wie das Lager von der Türkei bombardiert wird. Heute stehen wir wieder hier und fragen die UN: Warum schweigt Ihr zu den Angriffen? Warum sagt Ihr nichts dazu, wenn Kinder und Frauen ermordet werden? Wir nehmen dieses Grauen nicht hin und auch die UN sollten es endlich verurteilen und nicht länger unterstützen. Die Menschen aus Mexmûr leisten seit dreißig Jahren Widerstand, sie werden es auch weiterhin tun. Das sollte den UN und den Staaten weltweit bewusst sein.“

Die Kundgebung endete mit einem Aufruf zu einer zentralen Demonstration am 3. September in Zürich.

Camp Mexmûr: Unter dem offiziellen Schutz der UN

Das Camp Mexmûr liegt etwa 60 Kilometer südwestlich von Hewlêr, der Hauptstadt der Kurdistan-Region Irak. In dem Lager leben mehr als 12.000 Menschen. Die meisten von ihnen waren in den 1990er Jahren aufgrund der Repression des türkischen Staates und der Politik der verbrannten Erde gezwungen, ihre Dörfer in der Botan-Region in Nordkurdistan zu verlassen. Nach einer mehrjährigen Odyssee und Aufenthalten in verschiedenen Camps haben sie 1998 am Rand der Wüste das Lager Mexmûr gegründet. Die Campbevölkerung bildet damit die größte kurdische Flüchtlingsgemeinschaft weltweit. Offiziell steht Mexmûr unter dem Schutz des UNHCR, praktisch sind die Vereinten Nationen allerdings nur noch nominell präsent. Die Organisation verließ das Lager bei den Angriffen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) im Jahr 2014 und kehrte danach nicht mehr zurück.