Vor dem Amtsgericht Nürnberg hat am Montag der Prozess gegen Nico Schreiber stattgefunden. Dem Vorsitzenden der SJD – Die Falken Nürnberg wird fälschlicherweise vorgeworfen, bei einer Solidaritätsbekundung für Efrîn im Februar 2018 die Flagge der Volksverteidigungskräfte HPG gezeigt zu haben. Tatsächlich hatte Schreiber eine Fahne der YPG gezeigt.
Der Tag begann mit einer Kundgebung vor dem Gericht mit etwa 50 Teilnehmer*innen, darunter Vertreter*innen des Bündnisses für Frieden in Kurdistan, der Interventionistischen Linken, der Organisierten Autonomie und der Roten Hilfe. Im Anschluss betraten alle Anwesenden das Gericht. Nach Verlesung der Anklageschrift gab Nico Schreiber nach einer Schweigeminute für die Opfer der kurdischen Bevölkerung in Efrîn und Rojava seine Prozesserklärung ab. Zur Begründung, weshalb er das Symbol der Volksverteidigungseinheiten gezeigt hat, erklärte der 28-jährige Auszubildende: „Aus Solidarität mit den Angegriffenen in Efrîn und deren Verteidiger*innen von der YPG.”
Als Zeugen waren drei Polizisten geladen - zwei vom Unterstützungskommando (USK) und ein weiterer vom Staatsschutz. Der erste Zeuge war auf der Demonstration anwesend und sagte aus, er habe die bunten Kartondreiecke und den Stern gesehen. Die Bedeutung der Symbole habe er nicht zuordnen können. Der zweite Zeuge gab an, nichts zu dem Vorfall sagen zu können, da er nur die Film- und Bildaufnahmen gesehen habe. Der dritte Zeuge erklärte, bei der Kundgebung ebenfalls nicht anwesend gewesen zu sein, auf den Bildern allerdings das HPG-Logo erkannt zu haben. Und auch wenn es die YPG-Fahne gewesen sein soll, sei diese nach seinem Verständnis ebenfalls verboten.
Zeugen unsicher wegen Symbolik
Wie es in einer Stellungnahme der SJD – Die Falken Nürnberg zum Prozess heißt, seien sich alle Zeugen hinsichtlich der Symbolik sehr unsicher gewesen. Keiner von ihnen konnte demnach sicher sagen, es wäre das Symbol der HPG gewesen, wie es in der Anklageschrift gegen Nico Schreiber heißt. Auffällig sei zudem, dass einer der Zeugen immer wieder betonte, dass Nico sowie der Verband SJD- die Falken als politisch links einzustufen seien. Außerdem wurde der Staatsschutzbeamte dazu mehrfach explizit von Richterin und Staatsanwalt befragt. „All die Pressemitteilungen und Facebook-Posts unsererseits, welche eindeutig die Solidarität mit den Volksverteidigungseinheiten der YPG und YPJ äußerten und Nicos Prozesserklärung sowie die auf den Bildern eindeutig zu erkennende YPG-Bastelarbeit konnten die Richterin nicht überzeugen, dass wir wirklich die YPG-Fahne zeigen wollten. Sie war der Ansicht, dass wir ja einfach die YPG-Fahne hätten zeigen können, falls das unser Plan gewesen wäre. Die Bastelarbeit mit den drei versetzten Symbolen würde darauf hinweisen, wir hätten gewusst, etwas Illegales getan zu haben. Nico hätte wissen müssen, dass Menschen dies als HPG-Fahne missverstehen hätten können, besonders da er sich politisch auskenne. Also wurde er für das Zeigen der HPG-Fahne verurteilt”, so der Jugendverband.
„Letztendlich wurde Nico verurteilt, weil er links ist”
Zwar gab es keine, von der Staatsanwaltschaft geforderte sechswöchige Freiheitsstrafe auf Bewährung, sondern nur 30 Tagessätze a 15 Euro, aber für einen Vorwurf von Seiten der Staatsanwaltschaft, der schlichtweg falsch ist, sei dies dennoch unverschämt, kritisiert SJD – Die Falken Nürnberg. „Letztendlich wurde Nico verurteilt, weil er links ist.”
Das Urteil gegen Schreiber belege Vermutungen, dass es sich bei diesem Prozess um einen politischen Prozess gehandelt habe. „Er diente nicht der Wahrheitsfindung und nicht der Gerechtigkeit, sondern er reiht sich ein in die Welle an Repression gegen Kurd*innen und Linke und all jene, die sich mit dem Hoffnungsschimmer in Rojava solidarisieren”, heißt es in dem SJD-Statement.
Die vollständige Prozesserklärung von Nico Schreiber lautet:
Hohes Gericht, Staatsanwalt, sehr vereehrtes und geliebtes Publikum,
bevor ich mich zu den Anschuldigungen äußere, möchte ich zunächst alle im Saal darum bitten, eine Schweigeminute zu halten für die Menschen von Afrin und ganz Rojava, die dem Islamischen Staat und der türkischen Armee zum Opfer gefallen sind.
Vielen Dank.
Am 3. Februar 2018 zeigte ich gemeinsam mit Genoss*innen im Rahmen einer Demonstration für die angegriffene Stadt Afrin öffentlich eine zusamengesetzte Fahne der YPG. Ich hielt dabei einen roten Pappstern, der zusammen mit grünem und gelben Pappdreieck dieses Logo ergab. Ich zeigte diese Fahne, um den Volksverteidigungseinheiten der syrischen Kurd*innen Respekt zu zollen. Sie waren es, die den Völkermord an den Jesiden verhindert haben. Sie waren es, die dem Islamischen Staat entscheidende Schläge versetzten, ihn zurückdrängten und ihn geschwächt haben, während andere Armeen die islamistische Barbarei haben wüten lassen. Die YPG und die Frauenarmee der YPJ haben in Syrisch-Kurdistan eine freie, demokratische, gleichberechtigte und ökologische Gesellschaft verteidigt: zuerst gegen den IS und dann gegen die türkische Armee mit ihren deutschen Panzern.
Ich zeigte die Fahne aus Respekt und Dankbarkeit und als Zeichen der Ablehnung von Islamismus und Faschismus, als Zeichen der Solidarität mit einem feministischen, sozialen und demokratischen Gesellschaftsentwurf.
Ich bin verwundert, warum ich hier vor Gericht stehe. Mir wird vorgeworfen, die Fahne der verbotenen HPG gezeigt zu haben, was angesichts der Beweislage lächerlich ist. Die Demo ging um syrisch-Kurdistan, um Afrin, dort kämpfte die YPG/YPJ, nicht die HPG. In all unseren Statements und offenen Briefen wurde betont, dass es um die YPG ging, die meines bescheidenen Wissens keinem Verbot unterliegt.
Aber der Ermittlungseifer der bayrischen Behörden gegen die kurdische Bewegung und gegen Linke ist bekanntermaßen groß. Nur so kann ich mir erklären, warum ich heute hier stehen muss.
Ich bekenne, die Fahne der YPG gezeigt zu haben, die Polizei und Staatsanwaltschaft verwechselt zu haben scheinen. Ich bin ja gespannt auf die erhellenden Informationen aus dem Zeugenstand.
Ich bekenne mich, solidarisch mit der kurdischen Bewegung zu sein und ich bekenne mich, den völkerrechtswidrigen, türkischen Angriffskrieg auf Afrin und syrisch-Kurdistan zu verurteilen.
Ich habe aber nie die Fahne der HPG gezeigt. Dieser Prozess sollte deswegen schleunigst mit einem Freispruch enden. Meine Freund*innen und Genoss*innen und ich haben schließlich Besseres zu tun.
Ich werde mich ab jetzt nicht mehr äußern. Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und vielen Dank an meine Freund*innen und Genoss*innen, dass ihr heute mit mir da seid.