„Der Gefängniswiderstand war ein Sieg des revolutionären Willens“

Tekin Yıldız ist Überlebender des Todesfastens und des Gefängnismassakers in Bursa am 19. Dezember 2000. Er sagt: „Mit diesem Massaker sollten wir marginalisiert und von der Gesellschaft getrennt werden. Gesiegt hat jedoch die Genossenschaftlichkeit.“

22 Jahre sind seit den Gefängnismassakern in der Türkei vergangen. Zwischen dem 19. und 22. Dezember 2000 griff der Staat unter dem Namen „Rückkehr ins Leben“ zwanzig Gefängnisse an. Dabei wurden mindestens 30 Gefangene getötet und nahezu 300 schwer verwundet. Das E-Typ-Gefängnis von Bursa war einer der Orte, an denen das Massaker verübt wurde. Im ANF-Gespräch erinnert der überlebende Widerstandskämpfer Tekin Yıldız an den Kampf und die Massaker.

Wir hatten keine andere Waffe als unseren Körper“

Tekin Yıldız war politischer Gefangener aus der TKP-ML und einer der Revolutionäre, die das Todesfasten gegen die Einrichtung der Isolationsgefängnisse vom Typ F initiierten. Yıldız unterstreicht, dass mit den Massakern vom 19. Dezember versucht wurde, die gesamte Gesellschaft in die Isolation zu treiben. Die revolutionären Gefangenen hätten ihre historische Verantwortung wahrgenommen und sich mit aller Kraft gegen dieses System gewehrt. „Da wir keine andere Waffe hatten, haben wir unsere Körper eingesetzt und ein Todesfasten begonnen“, erklärt er.

Die Parole war: Die revolutionären Gefangenen ergeben sich niemals!“

Am 19. Dezember lief das Todesfasten bereits seit drei Monaten. Yıldız sagt, man habe den Angriff erwartet, aber nicht gedacht, dass er so umfassend sein würde. Er erinnert sich: „Wir befanden uns mit 20 Personen aus unterschiedlichen Strukturen in einem Block. Acht Gefangene waren im Todesfasten. Gegen einen möglichen Angriff hatten wir die Devise ‚Revolutionäre Gefangene ergeben sich niemals‘ ausgegeben. In der Nacht vom 18. auf den 19. Dezember gegen 3.00 Uhr wachten wir auf, als unser Genosse Nihat Göktaş, der gerade Wache hatte, rief ‚Revolutionäre Gefangene ergeben sich niemals‘. Wir errichteten sofort Barrikaden aus Tischen und Stühlen. Dann begann der Angriff. Zuerst riefen sie ‚Ergebt euch‘, dann begannen sie mit Gasgranaten anzugreifen. Einerseits versuchten sie, durch Aufbrechen der Dächer und Mauern ins Innere zu gelangen, andererseits feuerten sie Gasgranaten ab und griffen den Hof mit Wasser aus Hochdruckschläuchen an. Als Gefangene im Todesfasten hatten wir beschlossen, bei einem möglichen Angriff den Feind in einem Feuerball zu überrennen.

Unser Genosse Ali Ihsan Özkan wurde mit seiner Aktion unsterblich“

Wir umarmten und verabschiedeten uns von Ali Ihsan Özkan, der zu der ersten Gruppe, die das Todesfasten begonnen hatte, gehörte. Ali Ihsan opferte sich selbst, in dem er seinen Körper in Brand setzte, um den Angriff abzuwehren. So wurde er unsterblich. Die Intensität des Angriffs stieg aber noch weiter an. Eine Gasbombe kam nach der anderen. Wir wurden von Wasserwerfern durchnässt und beantworteten die Aufrufe zur Kapitulation mit der Parole ‚Revolutionäre Gefangene ergeben sich nie‘. Sie stürmten den Raum, rissen uns einen nach dem anderen auseinander, zerrten uns auf den Boden und brachten uns unter Folter nach draußen. Sie schlugen uns mit Eisenstangen, zogen uns aus, bis nur noch unsere Unterwäsche übrig war, und brachten uns ins Krankenhaus. Als wir uns weigerten, die Zwangsbehandlung im Krankenhaus zu akzeptieren, legten sie uns erneut Handschellen an und brachten uns ins Gefängnis. Anschließend wurden wir am Morgen unter Folter ins F-Typ-Gefängnis in Edirne gebracht. Sobald wir das Gefängnis betraten, rasierten sie uns die Haare und Bärte ab, ohne uns die Handschellen abzunehmen. Wir wurden in eine Zelle gesteckt, die sich noch im Bau befand.“

Wir wurden getroffen, aber wir ergaben uns nicht“

Yıldız befand sich 160 Tage im Todesfasten und erlitt in Folge der Zwangsernährung das Wernicke-Korsakoff-Syndrom. Schließlich wurde er auf Anordnung der Gerichtsmedizin entlassen. Nach seiner Freilassung begann Yıldız sein Todesfasten erneut. Er sagt: „Ja, sie wollten uns umbringen, aber wir haben Widerstand geleistet und uns nicht ergeben.“

In diesem Sinne bezeichnet Yıldız den 19. bis 22. Dezember als Tage des revolutionären Mutes und erinnert an die Worte des russischen Revolutionärs Jakow Michailowitsch Swerdlow: „Solange der Wille des Revolutionärs nicht gebrochen wird, ist es der Revolutionär, der im brutalen Zweikampf mit den Herrschenden den Sieg erringt.“ Es seien die Revolutionäre, die in diesem Sinne gewonnen hätten, sagt Yıldız  und weist darauf hin, dass das Massaker vom 19. Dezember darauf abgezielt habe, die linke Bewegung zu pazifizieren und in reformistische Bahnen zu lenken. Dies sei aber nicht gelungen, da die Revolutionär:innen nicht zur Kapitulation gezwungen werden konnten. Aus der Genossenschaftlichkeit sei ein Schutzschild entstanden: „Die Herrschenden bekommen bereits zu spüren, dass sie nicht tun können, was sie wollen. Sie wollten uns an den Rand drängen und unsere Verbindung zur Gesellschaft kappen, aber das ist ihnen nicht gelungen. Wir sind nicht Korsakoff, wir sind Revolutionäre und wir setzen unseren Weg entschlossen fort. Ja, wir wurden bei dem Angriff getroffen, aber wir haben uns nicht ergeben.“