Wie in den vorangegangenen Jahren hatte KON-MED (Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V.) auch in diesem Jahr nach Frankfurt eingeladen, um Newroz zu begehen. Tausende Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet und angrenzenden Ländern waren angereist, um sich auf dem Gelände des Rebstockparks an dem Widerstandsfest zu beteiligen und ihren Anspruch zu vermitteln: „Newroz bedeutet Freiheit, deine Freiheit ist unsere Freiheit“. Die zentrale Forderung der Veranstaltung bezieht sich auf die im vergangenen Oktober lancierte Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage“. Mit der Feier sollte laut KON-MED die international geführte Initiative gegen die Isolation des seit 25 Jahren in der Türkei inhaftierten PKK-Begründers und den Krieg in Kurdistan gestärkt werden.
Zehntausende Menschen feiern Newroz
Viele der vom Organisationskomitee vorsichtig geschätzten 50.000 Teilnehmenden – die Polizei nannte traditionsgemäß eine niedrigere Zahl, aber immerhin 35.000 – bekräftigten die Forderung nach einem freien Öcalan und dem Ende seiner seit 25 Jahren auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali andauernden Geiselhaft, um den Weg zur Beedingung des Krieges in Kurdistan und einem würdevollen Frieden zu ebnen, mit „Bijî Serok Apo“-Rufen. „Der Widerstand des kurdischen Volkes gegen die Isolation Abdullah Öcalans ist eine Manifestation der Forderung nach Recht und Gerechtigkeit“, hieß es in einer Begrüßungsansprache durch die Ko-Vorsitzenden der Föderation FCDK-Kawa, ein Zusammenschluss kurdischer Vereine in Hessen und dem Saarland. „Wir grüßen Apo und all diejenigen, die sich überall auf der Welt am Kampf für die Freiheit beteiligen. Ihr Kampf ist unser Kampf.“
Akça: Kriminalisierung der Kurden beenden, PKK-Verbot aufheben
Weiter ging es mit Ansprachen der KON-MED-Vorsitzenden Kerem Gök und Ruken Akça. Letztere zeigte auf das Publikum und sagte, die Menschenmenge im Rebstockpark stehe stellvertretend für den politischen Willen des kurdischen Volkes, ihre Anwesenheit reflektiere die Forderung der Kurdinnen und Kurden, die seit Jahrzehnten ihren Widerstand prägten: Abdullah Öcalans Freilassung unter Bedingungen, die es ihm ermöglichen, eine Rolle bei der Suche nach einer gerechten Lösung der Kurdistan-Frage zu spielen. Solange das Beharren auf einer Lösungslosigkeit andauert, wird auch eine Demokratisierung der Türkei ausbleiben. Die auf Krieg und Konflikte ausgelegte Eskalationspolitik des türkischen Staates wird vertieft und immer weiter auf Syrien, den Irak und weitere Länder in Nahost ausgedehnt, warnte Akça.
Sie rief die Länder Europas, allen voran Deutschland auf, ihre unkritische Zusammenarbeit mit Ankara zu überdenken und sich für eine Lösung der kurdischen Frage einzusetzen: „Die Fluchtbewegungen aus Kurdistan Richtung Europa werden zunehmen, solange der Kriegstreiber vom Bosporus wütet.“ Die Bundesregierung forderte Akça auf, die Diskriminierung der kurdischen Community zu beenden und das seit 1993 bestehende PKK-Verbot aufzuheben: „Das PKK-Verbot ist Vorreiter der Kriminalisierung einer gesamten Gesellschaft.“
Kerem Gök setzte hier an und gab weitere Impulse, etwa die Freilassung aller kurdischen Aktivisten, die sich derzeit auf Grundlage des „Terrorparagrafen“ 129 a/b in deutschen Gefängnissen befinden. Außerdem sagte Gök: „Das kurdische Volk ist entschlossen, die seinem auf Imrali festgehaltenen politischen Repräsentanten angelegten Ketten zu zerschlagen. Wir verweigern uns der Statuslosigkeit und fordern unsere Rechte ein. Wir wollen ein Leben in Freiheit, Frieden und Demokratie. Und Abdullah Öcalan ist nun mal der Architekt dieses Willens.“
Reichhaltiges Bühnenprogramm und politische Reden
Das Bühnenprogramm bestand aus einer guten Mischung aus Politik, Kunst und Kultur und beinhaltete neben Redebeiträgen und Botschaften politischer Bewegungen auch musikalische Darbietungen von Bands und Künstler:innen wie Çarnewa, Seyda Perinçek, Ali Tekbaş (Lawje), Mad Art, Koma Rojava, Berfîn Mamedova, Deza Amed, Ibo Qamişlo und Riyad-Abo. Auf dem Festplatz waren diverse kurdische Organisationen, revolutionäre türkische Kräfte sowie internationalistische Gruppen und Initiativen vertreten, gut sichtbar mit ihren Informations- und Verkaufsständen, außerdem etliche Vereine, die Bücher, Zeitschriften, CDs und allerlei Köstlichkeiten verkauften und ihre Arbeit vorstellten. Unter ihnen war auch die kurdische Geflüchtetenberatung Pena.ger.
Kurdische Geflüchtetenberatung mit Registrierungsstelle präsent
Eine zunehmend restriktive Migrationspolitik führt zu einer Verschlechterung der Beratungsumgebung, was zu Belastungen, Verzweiflung und Hilflosigkeit bei den Ratsuchenden führen kann. Pena.ger reagiert darauf, indem Ratsuchenden Informationen über ihre Rechte und Unterstützungsmöglichkeiten geboten werden, um diesen Belastungen entgegenzuwirken. Die Initiative hatte eine Registrierungsstelle eingerichtet, um Sprachmittler:innen zu gewinnen, die Deutsch als Institutionssprache beherrschen und zusätzlich Kurdisch (alle Dialekte), Türkisch, Farsi oder Arabisch sprechen, um diesen Herausforderungen beispielsweise im Bereich der Übersetzung und des Dolmetschens zu begegnen. Für die Zukunft strebt Pena.ger gemeinsam mit der Initiative Hogir Alay, die ebenfalls auf dem Newroz-Fest mit einem Stand vertreten war, eine Zusammenarbeit mit der „Informationsstelle Antikurdischer Rassismus“ an. Gemeinsam wollen sie auch Beschwerdestrukturen aufbauen und lokale Pena.ger-Beratungsstellen in verschiedenen Städten und Regionen etablieren, um eine flächendeckende Anlaufstelle für Ratsuchende zu schaffen. „Dies ist angesichts zunehmender Beschwerden von Geflüchteten über innermigrantischen Rassismus und institutionelle Diskriminierung sowie der Notwendigkeit politischer und institutioneller Veränderungen von Bedeutung“, so die Beratungsstelle.
„Jin Jiyan Azadî“ von YJK-E und den Frauen Rojhilats
Unter den weiteren Redner:innen befanden sich unter anderem Kezban Doğan, die Sprecherin des Verbands der kurdischen Frauenbewegung in Deutschland (YJK-E) ist, und Meryem Qadirî, Vertreterin der Frauenbefreiungsbewegung in Rojhilat (Ostkurdistan/Westiran). „Wir fordern Freiheit für Öcalan und für alle politischen Gefangenen, die für ein Leben in Freiheit und Würde kämpfen. Diese Kämpfe werden wir entschlossen weiterführen, bis sie die Gefängnismauern durchbrechen! Jin Jiyan Azadî – Freiheit für alle politischen Gefangenen – Freiheit für Öcalan, Frieden in Kurdistan!“ hieß es. Die deutsche Politiklandschaft wurde vertreten von Janine Wissler, Ko-Vorsitzende der Partei DIE LINKE. Wissler bezeichnete Newroz als „Fest des Widerstands“ und würdigte alle, die in diesem Widerstand kämpften.
Wissler: Wir stehen an der Seite der Kurdinnen und Kurden
Die Politikerin kündigte auch an, dass eine Delegation der Linkspartei in den kommenden Tagen in die Türkei reisen und die Kommunalwahlen am 31. März beobachten werde, und erinnerte an ihren letzten Aufenthalt in dem Land. Das war im Februar vergangenen Jahres, zu einer Zeit, als im türkisch-syrischen Grenzgebiet die Erde bebte. Wissler hielt sich in der kurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakır) auf und wurde Zeugin schlimmer Szenen, Angst und Zerstörung. Auch mehr als ein Jahr nach den verheerenden Erdbeben müssen Betroffene noch immer in Zelten leben, kritisierte Wissler. Zudem sprach sie die dramatische Menschenrechtslage in der Türkei an und verurteilte, dass etliche Menschen, einschließlich der ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, als politische Gefangene in türkischen Kerkern festgehalten werden. Angesichts dieses Unrechts und aller anderen Verbrechen, die der türkische Staat an den Kurdinnen und Kurden verübe, stehe ihre Partei an der Seite des kurdischen Volkes.
Sie sei gegen Waffenverkäufe an das NATO-Mitglied Türkei, für eine Anerkennung der Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien durch die Bundesregierung und die Einrichtung einer Flugverbotszone über Rojava, sagte Wissler. „Es ist eine große Schande, dass Efrîn mit deutschen Panzern besetzt wurde“, betonte sie und sprach sich solidarisch mit dem kurdischen Widerstand gegen das Regime in Iran aus. „Schluss mit der Kriminalisierung der Kurd:innen durch die Bundesregierung, Aufhebung des PKK-Verbots“, lauteten weitere Forderungen der Politikerin. Es könne nicht akzeptiert werden, dass eine Bewegung, die die Ezidinnen und Eziden in Şengal vor dem IS rettete, in Deutschland verboten ist. Wissler kritisierte auch die Abschiebungen aus Deutschland ins ezidische Siedlungsgebiet. Ihre Rede beendete sie mit den Worten „Es lebe die revolutionäre Solidarität“.
Festplatz ein Spiegelbild der kurdischen Kultur
Rund 300 Busse hatten die Mitgliedsverbände von KON-MED nach Angaben des Dachverbands angemietet, um Teilnehmende auf das Newroz-Gelände nach Frankfurt zu transportieren. Das war bunt geschmückt mit den Konterfeis zahlreicher, für die kurdische Gesellschaft öußerst wichtiger Persönlichkeiten. Neben Abdullah Öcalan blickten auch die Gesichter von Mazlum Doğan – einem Mitbegründer der PKK, der sich an Newroz 1982 im Gefängnis von Diyarbakır aus Protest gegen die Unterdrückung das Leben nahm – und anderer Newroz-Gefallener auf die Menge. Darunter waren Bedriye Taş (Ronahî) und Nilgün Yıldırım (Bêrîvan), die sich vor dreißig Jahren, am 17. März 1994, aus Protest gegen die Kriminalisierung des kurdischen Freiheitskampfes am Neckarufer bei Mannheim selbst verbrannten. Zu sehen waren auch zahlreiche Flaggen verschiedener anderer Organisationen wie den YPG und YPJ, TEV-DEM oder die Ala Rengîn. Besonders ins Auge stachen Frauen und Männer, die traditionelle Kleidung trugen und dadurch wie kleine Steine im Mosaik der kurdischen Kultur wirkten. Weitere Gruppen und Initiativen, die mit Ständen vertreten waren, waren BİR-KAR, TSP, PARTİZAN, DKP, Vereinte Freiheitskräfte, Young Struggle, MLKP, AZADÎ e.V., CİK, Kurdisches Institut, Heyva Sor, TİKP, KODAR, PKAN, Frauenrat Amara, UTAMARA, ICOR, TCŞ und TEKO-JIN, KOMAW, Çira TV, Yeni Özgür Politika, MARDEF, Amedspor und Barrikade International.