Pünktlich zum Beginn der Vorlesungen des Sommersemesters an der Frankfurter Goethe-Universität haben sich gestern Studierende und Aktivist:innen der Initiative „Defend Kurdistan“ auf dem Campus Westend versammelt, um gegen Chemiewaffenangriffe der Türkei in Kurdistan zu protestieren. Die Gruppe ließ bunten Rauch vor dem Gebäude aufsteigen und setzte damit ein Zeichen gegen tödliche Angriffe mit geächteten Waffen, die vor allem in den Guerillagebieten Südkurdistans zum Einsatz kommen. Auf einem Banner, das in die Höhe gehalten wurde, war die Aufschrift „Stop Chemical Warfare in Kurdistan“ zu lesen.
In der vorgetragenen Rede wurde auf den Ort der Aktion aufmerksam gemacht: Das sogenannte I.G. Farben-Gebäude, vor dem sich die Gruppe platzierte, stehe sinnbildlich für das Geschäft Nazi-Deutschlands mit Waffenexporten und seiner Komplizenschaft mit Kriegstreibern wie jenen in der Türkei. Führende deutsche Chemieunternehmen, die 1925 zur I.G. Farben fusionierten und später vom außenpolitischen Expansionskurs des NS-Regimes profitierten, seien es gewesen, die 1937 Fertigungsanlagen und Vorprodukte für Giftgas an den türkischen Staat lieferten – Giftgas, das 1938 beim Genozid an alevitischen Kurdinnen und Kurden in Dersim eingesetzt wurde, bei dem bis zu 70.000 Menschen ermordet wurden. Es seien deutsche Chemiewaffenspezialisten gewesen, die die türkische Armee bei der Benutzung dieser Waffen geschult haben sollen.
„Das Unternehmen IG-Farben, an den der Name des Gebäudes täglich erinnert, beteiligte sich außerdem in den 1940er Jahren aktiv an der NS-Vernichtungsmaschinerie, denn es beutete KZ-Häftlinge als Zwangsarbeiter:innen in einer eigenen Fabrik aus. Die damalige Tochterfirma DeGeSch produzierte jenes Giftgas, das zur Ermordung von Millionen Menschen in den Vernichtungslagern eingesetzt wurde.“ Auch rund 60 Prozent der irakischen Giftgasproduktion unter Saddam Hussein, die unter anderem 1988 in der kurdischen Stadt Helebce zum Tod tausender Menschen führte, erfolgte mit deutscher Technik, die in den Labors der IG Farben für die Weltkriegsführung des deutschen Imperialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfunden wurde.
An einem Ort, der I.G. Farben heißt, lässt es sich nicht ruhig studieren
Die Aktivisti verurteilten „die historische Verstrickung Deutschlands in Kriegsverbrechen in Kurdistan“ und riefen Studierende dazu auf, sich ihrem Protest anzuschließen: an einem Ort, der bis heute unkritisch den Namen der I.G. Farben trägt, ließe es sich nicht ruhig studieren. Seit 2001 beherbergt das Gebäude einen Teil der Goethe-Universität. In der Rede macht die Gruppe klar, Deutschland liefere weiterhin Waffen in Kriegsgebiete, und würde Autokraten wie den türkischen Staatspräsidenten Erdogan nicht davon abhalten, Giftgas gegen kurdische Kämpfer:innen und Zivilist:innen einzusetzen. Die Aktivisti forderten deshalb: „Deutschland muss zur Verantwortung gezogen werden und alle diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum türkischen Regime müssen beendet werden.“ Außerdem verlange Defend Kurdistan eine unabhängige Untersuchung des Einsatzes chemischer Waffen durch die türkische Armee und die Einrichtung einer Flugverbotszone über ganz Kurdistan.