Der Bruder des 2005 in einer Dessauer Polizeizelle verbrannten Geflüchteten Oury Jalloh hat Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingelegt. Mamadou
Saliou Diallo macht Verstöße Deutschlands gegen die Europäische Menschenrechtskonvention geltend und will mit dem Gang vor das Straßburger Gericht eine Wiederaufnahme der Ermittlungen erreichen, teilte die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ mit. Die Gruppe unterstützt die Beschwerde.
„Der EGMR hat in diversen Urteilen festgestellt, dass die Verantwortung für die Aufklärung von Verletzungen und Todesfällen in Gewahrsam bei dem Staat liegt. Denn die Vermutung liegt nahe, dass Bedienstete des Staates in die Vorfälle involviert sind. Daher muss der Staat diese Umstände
plausibel erklären und unterliegt der Pflicht, eine besonders strenge und unvoreingenommene Prüfung vorzunehmen, um die Verantwortlichen zu identifizieren und zu bestrafen“, betont die Initiative.
Laut Diallo gab es im Fall von Oury Jalloh keine angemessene Untersuchung der Todesumstände. Die Ermittlungen seien einseitig geführt worden und hätten eine Beteiligung Dritter „kategorisch“ ausgeschlossen, obwohl zentrale Fragen nicht beantwortet worden seien. Wichtige Beweismittel seien nicht untersucht oder sogar vernichtet worden. Die deutsche Justiz habe die von der Familie und der Gedenkinitiative vorangetriebene Wahrheitsfindung und Aufklärungsarbeit, etwa durch unabhängige Expertengutachten und Recherche, ignoriert. Und das, obwohl die Initiative seit Jahren lautstark darauf hinweist, „dass Deutschland versucht, den rassistischen Mord an Oury Jalloh zu vertuschen“.
Ende Februar hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE) eine entsprechende Verfassungsbeschwerde des Bruders abgewiesen. Die Einstellung weiterer Ermittlungen verstoße nicht gegen das Grundgesetz, entschieden die Karlsruher Richter:innen (2 BvR 378/20). Insbesondere die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg habe eingehend geprüft, ob sich über den bisherigen Ermittlungsstand hinaus weitere erfolgversprechende Ermittlungsansätze ergeben könnten.
Die Gedenkinitiative hatte die Entscheidung des BVerfGE scharf verurteilt und als schwere Demütigung des Opfers und seiner Hinterbliebenen bezeichnet. Das Gericht sei mit dem Beschluss zur Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde der „in höchstem Maße unwissenschaftlichen und einseitigen Argumentationslinie“ der sachsen-anhaltinischen Ermittlungsbehörden gefolgt. Diese hätte einerseits uneingeschränkt auf den widersprüchlichen Aussagen und Schutzbehauptungen der Täter:innen aus dem Polizeirevier basiert und sich andererseits auf eine unprofessionelle und selektive Beweismittelerhebung gestützt.
Der Tod des aus Sierra Leone geflüchteten Asylbewerbers Oury Jalloh hatte bundesweit für Empörung gesorgt. Der damals 36-Jährige soll sich nach offizieller Behördenversion am Abend des 7. Januar 2005 in einer gefliesten Arrestzelle im Keller des Dienstgebäudes Wolfgangstraße 25 des Polizeireviers Dessau-Roßlau selbst angezündet haben – auf einer feuerfesten Matratze und in fixiertem Zustand. Zuvor war er rechtswidrig festgenommen, körperlich misshandelt und an Händen und Füßen gefesselt worden. Ein vom Unterstützerkreis in Auftrag gegebenes Gutachten hingegen kommt zu dem klaren Ergebnis, dass Oury Jalloh vor seinem Tod mit Brandbeschleuniger übergossen und angezündet wurde.
Titelbild: Gedenkdemonstration für Oury Jalloh am 7. Januar 2022 in Dessau | © Antonia Gerlinde Schui