EUTCC-Konferenz stellt Forderungen an Türkei und Europa

Nach zweitägiger Diskussion hat die EUTCC-Konferenz im Europaparlament in Brüssel ein Positionspapier mit aktuellen Forderungen für eine Lösung der kurdischen Frage verabschiedet.

Die EU Turkey Civic Commission (EUTCC) hat in Kooperation mit dem Kurdischen Institut Brüssel zum 17. Mal eine Konferenz unter dem Titel „Die Europäische Union, die Türkei, der Nahe Osten und die Kurd:innen“ abgehalten. Die Konferenz im Europaparlament in Brüssel fand am Mittwoch und Donnerstag unter der Schirmherrschaft des südafrikanischen Erzbischofs und Friedensnobelpreisträgers Desmond Tutu, der iranischen Menschenrechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi, der Goodwill-Botschafterin des Europarats, Bianca Jagger, des Linguisten und Philosophen Noam Chomsky und der kurdischen Politikerin Leyla Zana, Trägerin des Sacharow-Preises des Europäischen Parlaments für geistige Freiheit, statt.

Zum Abschluss der zweitägigen Konferenz wurde am Donnerstagabend ein gemeinsames Positionspapier mit aktuellen Forderungen verabschiedet. In der Abschlusserklärung wird festgestellt, dass die Konferenz erfolgreich verlaufen ist. Weiter werden folgende Punkte benannt:

Gedenken an die Erdbebenopfer

Anfang Februar erschütterte ein verheerendes Erdbeben die Türkei, Kurdistan und Syrien. Zehntausende Menschen verloren ihr Leben, ganze Städte wurden in Schutt und Asche gelegt. Das gewalttätige Ausmaß ist nicht nur das Ergebnis von Plattenbewegungen, sondern einer monistischen Staatspolitik in Verbindung mit Profitgier. Die EUTCC-Konferenz gedenkt der Opfer des Erdbebens. Sie fordert die Türkei auf, ihre Angriffe auf Nordsyrien sofort einzustellen und das Embargo für humanitäre Hilfe aufzuheben.

Bilateraler Waffenstillstand

Die von der PKK aufgrund des Erdbebens geforderte militärische Untätigkeit sollte von beiden Seiten kommen. Die militärische Untätigkeit und die Erdbebenkatastrophe sind nicht nur eine Folge, sondern auch eine Chance für die Republik Türkei, 100 Jahre monistische Staatsmentalität zu überwinden und eine demokratische Republik zu werden. In diesem Zusammenhang sind die anstehenden Wahlen eine historische Option, die von der Opposition genutzt werden muss.

Klares Signal gegen HDP-Verbot aus Europa

Die EUTCC-Konferenz ruft die Opposition auf, sich für Demokratie und Frieden zusammenzuschließen und gemeinsam gegen das Verbot der Demokratischen Partei der Völker (HDP) zu mobilisieren. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Europäische Union und der Europarat, müssen klare Signale aussenden, dass sie das Verbot der zweitgrößten Oppositionspartei unter keinen Umständen akzeptieren werden.

Beendigung der Isolation von Abdullah Öcalan

Eine längst fällige historische Notwendigkeit ist die Öffnung der Tore des Imrali-Gefängnisses, eines rechtsfreien Raums, der Ausgangspunkt für schlimmste Menschenrechtsverletzungen war. Die Europäische Union, der Europarat und insbesondere das Antifolterkomitee CPT sind aufgerufen, alle Mechanismen zu nutzen, um die Illegalität auf Imrali zu beenden und Anwält:innen ungehinderten Zugang zur Insel zu ermöglichen.

Dialog zwischen türkischem Staat und PKK

Die EUTCC-Konferenz fordert die Freilassung von Abdullah Öcalan und die Wiederaufnahme des Dialogs zwischen dem türkischen Staat und der PKK für eine nachhaltige Lösung.

Autonomieverwaltung muss anerkannt werden

Dieser Dialog ist auch für die Zukunft Syriens und des Nahen Ostens von entscheidender Bedeutung. Die Autonome Verwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES), ein Gesellschaftsvertrag, der auf dem Konzept der demokratischen Autonomie beruht, ist die einzige Alternative für einen pluralistischen demokratischen Nahen Osten. Auf diese Weise können ethnische und sektiererische Konfliktlinien, Kriegsverbrechen - Ökozid, Völkermord, Femizid, Verstöße gegen das Völkerrecht - gemeinsam gestoppt und überwunden werden.
Ein wichtiger Schritt wäre, dass die internationale Gemeinschaft die Autonome Verwaltung Nord- und Ostsyriens anerkennt. In diesem Zusammenhang weist die EUTCC-Konferenz auch auf die Verpflichtung der Staaten hin, inhaftierte IS-Kämpfer zurückzuholen und strafrechtlich zu verfolgen. Auch ein Tribunal vor Ort ist notwendig.

Drohnenangriffe müssen gestoppt werden

Die destabilisierende außenpolitische Wirkung der aktuellen türkischen Regierungspolitik behindert auch die Entwicklung von Stabilität und Sicherheit in der kurdischen Region des Irak. Die Massaker an kurdischen Politiker:innen, insbesondere an Frauen, durch türkische Drohnen sowohl in der KRI (Südkurdistan) als auch in der Region der AANES (Nord- und Ostsyrien) müssen strafrechtlich verfolgt werden.

Völkermord an den Ezid:innen

Viele Staaten erkennen die Angriffe gegen die Ezid:innen als Völkermord an. Die EU sollte alle diplomatischen und politischen Mechanismen mobilisieren, um weitere Angriffe türkischer Drohnen auf die Ezid:innen zu verhindern. Die Ezid:innen leiden unter den Folgen des Völkermordes von 2014.

Chemiewaffeneinsatz muss untersucht werden

Die EUTCC-Konferenz fordert die Vereinten Nationen, die OPCW und den Internationalen Strafgerichtshof auf, sich mit den Kriegsverbrechen der Türkei auseinanderzusetzen und unabhängige Untersuchungen einzuleiten. Die Mitgliedstaaten der OOCW sollten die in den Bestimmungen vorgesehenen Möglichkeiten nutzen, um den mutmaßlichen Einsatz von Chemiewaffen durch die Türkei zu untersuchen. Die internationale Gemeinschaft, insbesondere die Europäische Union, ist aufgerufen, das Völkerrecht im Zusammenhang mit der Türkei uneingeschränkt zu wahren und Verstöße zu sanktionieren.

PKK sollte von der Terrorliste gestrichen werden

Die Europäische Union und Europa tragen auch im Rahmen des vor 100 Jahren unterzeichneten Vertrags von Lausanne Verantwortung. Die EUTCC-Konferenz ruft die Europäische Union und die europäischen Institutionen und Staaten auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen antikurdischen Krieg auf europäischem Boden zu verhindern. Der Anschlag vom 23. Dezember 2022 in Paris muss aufgeklärt werden. Ein wichtiger Beitrag der Europäischen Union für die kurdische Gemeinschaft in Europa und vor allem für eine politische Lösung der kurdischen Frage wäre die Streichung der PKK von der Liste terroristischer Organisationen.

Jin Jiyan Azadî

All diese Forderungen sind auch Teil des Slogans Jin-Jiyan-Azadi (Frau-Leben-Freiheit), der sich mit den iranischen Protesten weltweit verbreitet hat. Die EUTCC-Konferenz steht in Solidarität mit dem iranischen Volk, das sich gegen das tyrannische Regime auflehnt. Es kann keine Alternative geben, wenn die Vielfalt des Landes nicht in vollem Umfang an den Prozessen des politischen Wiederaufbaus teilnehmen kann. Die EUTCC ruft die internationale Gemeinschaft auf, sich diesen Slogan ohne jegliche Interpretation zu eigen zu machen.