Ermittlungen gegen Richter aus dem Gezi-Prozess

Nach dem überraschenden Freispruch aller Angeklagten im Istanbuler Gezi-Prozess hat der türkische Richterrat Ermittlungen gegen die Richter genehmigt. Der Bürgerrechtler Osman Kavala ist unmittelbar nach dem Urteil erneut festgenommen worden.

Der in der Türkei für die disziplinarrechtliche Kontrolle der Gerichte zuständige „Rat der Richter und Staatsanwälte“ (Hakimler ve Savcılar Kurulu, HSK) wird Ermittlungen gegen drei Richter aus dem Prozess um den Gezi-Aufstand einleiten. In dem Prozess sind am Dienstag überraschend alle Angeklagten freigesprochen worden.

Für die Ermittlungen gegen den Vorsitzenden Richter der 30. Istanbuler Strafkammer, Galip Mehmet Perk, sowie die beiden Richter Ahmet Tarık Çiftçioğlu und Talip Ergen werden HSK-Inspektoren beauftragt. Sie sollen untersuchen, ob die Freisprüche gerechtfertigt sind.

Osman Kavala in Polizeigewahrsam

Das Gericht hatte gestern auch die Freilassung von Osman Kavala angeordnet. Der Bürgerrechtler und Kulturmäzen saß über zwei Jahre in Untersuchungshaft. Nur wenige Stunden später ordnete die Generalstaatsanwaltschaft von Istanbul seine Festnahme wegen eines Ermittlungsverfahrens im Zusammenhang mit dem Putschversuch im Jahr 2016 an. Kavala wurde in der vergangenen Nacht aus dem Gefängnis in Silivri in die Istanbuler Polizeidirektion gebracht.

Die erneute Festnahme löste Entsetzen im In- und Ausland aus. Auch das Auswärtige Amt in Berlin forderte „schnellstmögliche Aufklärung" zu den neuen Vorwürfen gegen Kavala. Die Türkei müsse in dem Fall „alle rechtsstaatlichen Standards" einhalten, zu denen sie sich verpflichtet habe.

Gezi-Proteste

Die Gezi-Proteste begannen im Mai 2013 gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks, der unmittelbar an den Taksim-Platz angrenzt. Die lokalen Proteste weiteten sich schnell zu einer landesweiten Widerstandsbewegung gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus, nachdem die Polizei hart gegen die Bürgerinitiative und solidarische Umweltaktivist*innen vorgegangen war. Schließlich wurde die Bewegung blutig niedergeschlagen – elf Menschen starben, Tausende weitere wurden verletzt.

Wer ist Osman Kavala?

Osman Kavala ist Gründer der Kulturstiftung Anadolu Kültür, mit der insbesondere Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten gefördert werden, oftmals mit internationaler Ausrichtung. Zu seinen Anliegen gehören unter anderem die Aussöhnung zwischen der türkischen und der armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Die Stiftung arbeitet auch mit mehreren deutschen Institutionen wie dem Goethe-Institut in Istanbul zusammen. Zudem ist Kavala als Sponsor von Amnesty International bekannt.

Kurz nach der Festnahme Kavalas nannte ihn Staatspräsident Erdoğan abfällig den „türkischen Soros“ in Anspielung auf den US-amerikanischen Kulturstifter George Soros. In einer Rede warf er Kavala einen Versuch der „Spaltung der Nation“ vor. Hinter ihm stehe „der berühmte ungarische Jude Soros. Dies ist der Mann, der Leute um die Welt schickt, um Nationen zu spalten“, sagte Erdoğan. Soros beendete daraufhin die Arbeit seiner Stiftung in der Türkei.