Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für Osman Kavala

Der Oberstaatsanwalt von Istanbul hat lebenslange Haft für den inhaftierten türkischen Intellektuellen Osman Kavala gefordert. Auch für zwei Mitangeklagte verlangt die Behörde lebenslänglich.

Der Oberstaatsanwalt von Istanbul hat lebenslange Haft für den inhaftierten türkischen Bürgerrechtler und Kulturmäzen Osman Kavala gefordert. Das geht aus dem schriftlichen Abschlussplädoyer hervor, das nun beim zuständigen Gericht eingereicht wurde. Auch für die beiden Mitangeklagten Mücella Yapıcı, ehemalige Generalsekretärin der Architektenkammer von Istanbul, und Ingenieur Yiğit Aksakoğlu verlangt der Staatsanwalt lebenslänglich.

Osman Kavala war im Oktober 2017 festgenommen worden. Die Vorwürfe gegen ihn waren lange nicht bekannt, da das Verfahren zunächst als Verschlusssache galt. Erst nach mehr als einem Jahr legte die Staatsanwaltschaft eine 657 Seiten umfassende Anklageschrift vor. Kavala und 15 weiteren Vertreter*innen der türkischen Zivilgesellschaft wird darin ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten im Sommer 2013 vorgeworfen. Kavala wird zudem beschuldigt, die Proteste mit ausländischer Hilfe finanziert und organisiert zu haben.

Kavala: „Ein spekulatives Fantasiegebilde“

Bereits zum Prozessauftakt am 24. Juni hatte der Unternehmer erklärt, die Anschuldigungen entbehrten jeglicher Grundlage und Logik. Die Anklageschrift basiere auf unbewiesenen Mutmaßungen. „Mit verdrehten Tatsachen ist ein spekulatives Fantasiegebilde entworfen worden“, erklärte Kavala vor Gericht.

Für sechs Mitangeklagte bis zu 20 Jahre Haft gefordert

Zuletzt hatten die Richter am Hochsicherheitsgefängnis Silivri Kavalas Freilassung erneut abgelehnt und dies damit begründet, dass dringender Tatverdacht und Fluchtgefahr bestünden. Das Gericht stellte sich damit erneut gegen eine bindende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der im Dezember die Freilassung Kavalas gefordert hatte. Die Straßburger Richter*innen hatten in ihrer Entscheidung vom 10. Dezember darauf hingewiesen, dass für die Vorwürfe gegen Kavala keine ausreichenden Beweise vorgelegt worden seien und die lange Untersuchungshaft darauf angelegt wäre, Kavala zum Schweigen bringen.

Für die Angeklagten Çiğdem Mater Utku, Ali Hakan Altınay, Mine Özerden, Şerafettin Can Atalay, Tayfun Kahraman und Yiğit Ali Ekmekçi fordert der Istanbuler Oberstaatsanwalt Gefängnisstrafen zwischen 15 und 20 Jahren. Das Verfahren der restlichen sieben Angeklagten, die sich im Ausland aufhalten, darunter die Schauspieler*innen Ayşe Pınar Alabora und Memet Ali Alabora, soll abgetrennt werden. Der nächste Prozesstermin ist am 18. Februar.

Wer ist Osman Kavala?

Osman Kavala ist Gründer der Kulturstiftung Anadolu Kültür, mit der insbesondere Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten gefördert werden, oftmals mit internationaler Ausrichtung. Zu seinen Anliegen gehören unter anderem die Aussöhnung zwischen der türkischen und der armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Die Stiftung arbeitet auch mit mehreren deutschen Institutionen wie dem Goethe-Institut in Istanbul zusammen. Zudem ist Kavala als Sponsor von Amnesty International bekannt. 

Kurz nach der Festnahme Kavalas nannte ihn Staatspräsident Erdoğan abfällig den „türkischen Soros“ in Anspielung auf den US-amerikanischen Kulturstifter George Soros. In einer Rede warf er Kavala einen Versuch der „Spaltung der Nation“ vor. Hinter ihm stehe „der berühmte ungarische Jude Soros. Dies ist der Mann, der Leute um die Welt schickt, um Nationen zu spalten“, sagte Erdoğan. Soros beendete daraufhin die Arbeit seiner Stiftung in der Türkei.

Gezi-Proteste

Die Gezi-Proteste begannen im Mai 2013 gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks, der unmittelbar an den Taksim-Platz angrenzt. Die lokalen Proteste weiteten sich schnell zu einer landesweiten Widerstandsbewegung gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus, nachdem die Polizei hart gegen die Bürgerinitiative und solidarische Umweltaktivist*innen vorgegangen war. Schließlich wurde die Bewegung blutig niedergeschlagen – elf Menschen starben, Tausende weitere wurden verletzt.