Amnesty International hat Bundeskanzlerin Angela Merkel vor ihrem Besuch in der Türkei dazu aufgefordert, sich für den inhaftierten Intellektuellen Osman Kavala und andere angeklagte Aktivisten einzusetzen. „Konkrete Schritte zur Beendigung der Repressionen gegen Menschenrechtler müssen im Mittelpunkt der Gespräche zwischen Angela Merkel und dem türkischen Präsidenten stehen“, sagte Amnestys Türkei-Experte Andrew Gardner am Donnerstag. Es sei entscheidend, dass Kavala freikomme und angeklagte Menschenrechtler wie der Amnesty-Ehrenvorsitzende Taner Kilic freigesprochen werden.
Kavala sitzt seit mehr als zwei Jahren in Untersuchungshaft. Im Dezember hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte seine Entlassung angeordnet. Die türkische Justiz ignorierte das Urteil jedoch und Kavala blieb in Haft. Dem Intellektuellen und 15 weiteren Angeklagten wird ein Umsturzversuch im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 vorgeworfen.
Osman Kavala ist Gründer der Kulturstiftung Anadolu Kültür, mit der insbesondere Projekte von ethnischen und religiösen Minderheiten gefördert werden, oftmals mit internationaler Ausrichtung. Zu seinen Anliegen gehören unter anderem die Aussöhnung zwischen der türkischen und der armenischen Bevölkerung und eine friedliche Lösung der kurdischen Frage. Die Stiftung arbeitet auch mit mehreren deutschen Institutionen wie dem Goethe-Institut in Istanbul zusammen. Zudem ist Kavala als Sponsor von Amnesty International bekannt.
Beginn des Gezi-Aufstands
Die Gezi-Proteste begannen am 27. Mai 2013, als die Stadtverwaltung für ein geplantes Bauprojekt Bäume im zentralen Gezi-Park am Istanbuler Taksim-Platz fällen wollte. Damals stellten sich Mitglieder verschiedener Vereine, Berufsverbände und Initiativen vor die Baumaschinen und verhinderten die Abholzung. Unter ihnen war auch der ehemalige HDP-Abgeordnete Sirri Süreyya Önder, der selbst bis vor kurzem im Gefängnis saß. Aus der kleinen Aktion entstand eine Massenbewegung: Am Taksim wurden Zelte aufgebaut, immer mehr Menschen beteiligten sich an der Mahnwache. Die Polizei ging mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstrant*innen vor. Die lokalen Proteste weiteten sich schnell zu einer landesweiten Widerstandsbewegung gegen die autoritäre Politik des damaligen Ministerpräsidenten und heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus, nachdem die Polizei hart gegen die Aktivist*innen vorging. Schließlich wurde die Bewegung blutig niedergeschlagen – elf Menschen starben, Tausende weitere wurden verletzt.