Nach dem umstrittenen Wahlsieg des AKP/MHP-Regimes in der Türkei setzt die demokratische Opposition ihren Prozess der Erneuerung durch Kritik und Selbstkritik fort. Dabei werden entscheidende Elemente dieses Prozesses nicht nur innerhalb der HDP (Demokratische Partei der Völker) und YSP (Grüne Linkspartei) behandelt, sondern auch auf Volksversammlungen, bei denen sich Vertreter:innen der Parteien der Kritik stellen, Selbstkritik üben und Vorschläge für Veränderungen entgegennehmen. Die Nachrichtenagentur Mezopotamya berichtete über drei dieser Volksversammlungen, die in Riha (tr. Urfa) und Istanbul stattgefunden haben.
An einem Basistreffen in Komand bei Riha nahmen die HDP-Sprecherin Ebru Günay, der YSP-Abgeordnete Ferit Şenyaşar und das DBP-Parteiratsmitglied Faruk Tatlı teil. In ihrer Eröffnungsrede erläuterte Günay den Diskussionsprozess, den die HDP nach der Wahl angekündigt hatte. Zu Beginn fanden Sitzungen mit dem Vorstand, dem Parteirat sowie den Provinz- und Kreisverbänden statt. Nun sei man in der zweiten Phase dieses Prozesses und höre bei jedem Besuch in Straßen, Dörfern und Vierteln die Vorschläge der unterstützenden Bevölkerung an. Dabei sei deutlich geworden, dass Nachbarschaftskommissionen eingerichtet und das alte Parteiarbeitssystem wiederbelebt werden müssten. Die Anregungen der Menschen werden aufgenommen und diskutiert, um darauf eine neue Struktur aufzubauen. Günay erinnerte daran, dass ihr Kampf ein langfristiger sei, und betonte die Bedeutung des Engagements für die Freiheit der Kurd:innen, Frauen und Jugend. Obwohl Wahlen wichtig seien, könne der Kampf nicht allein durch sie gewonnen werden. Die Menschen in Riha hätten selbst schwerste Zeiten erlebt, die Tradition des Kampfes sei hier genau bekannt, so Günay. Sie erklärte, sie werde nicht länger reden, da sie gekommen sei, um zuzuhören. Sie dankte den Anwesenden, dass sie gekommen seien und den Vertreter:innen der Parteien ihre Türen geöffnet haben.
„Straßenkommissionen notwendig“
Ein Anwesender auf der Versammlung forderte die Einrichtung von Nachbarschafts- und Dorfkommissionen und fuhr fort: „Wir sollten sogar Straßenkommissionen haben. Früher gab es diese Kommissionen, aber als sie abgeschafft wurden, gab es eine Rückentwicklung. Wenn wir unsere lokale Organisierung nicht stärken, können wir nicht erfolgreich sein. Wir müssen mutig gegenüber dem System sein und zuerst uns selbst kritisieren.“
„Dritten Weg korrekt umsetzen“
Auch in Karaköprü, einem Viertel in Riha, fand eine Volksversammlung statt. Anwesend waren die Abgeordnete Dilan Kunt Ayan (YSP) sowie mehrere Mitglieder der Provinz- und Kreisvorstände der HDP, DBP und YSP. Die Versammlung begann mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die Gefallenen der Revolution von Rojava. Kritisiert wurde vor allem die Auswahl der Kandidat:innen bei den Wahlen, diese müssten der gesellschaftlichen Struktur der Wahlkreise entsprechen. Politik dürfe nicht „an den Menschen vorbei gemacht werden“. Stattdessen müsse die Politik des dritten Wegs richtig umgesetzt werden.
„Nachbarschaftsarbeit stärken“
An einer Versammlung in Istanbul-Gaziosmanpaşa nahmen die HDP-Bezirksverbandsvorsitzenden Sevda Cengiz und Sıddık Burulay sowie der DBP-Vertreter Attila Özdoğan teil. Die Menschen betonten hier erneut die Bedeutung der Basisorganisierung und forderten eine Stärkung der Nachbarschaftsarbeit sowie den Aufbau von Stadtteilkomitees, um den Fokus verstärkt auf Organisierung zu legen. Gleichzeitig wurde gefordert, dass die kurdische Sprache auch von der Partei und insbesondere den Abgeordneten auf Kundgebungen stärker genutzt werden sollte.