Obwohl die Demokratische Partei der Völker (HDP) bzw. die an ihrer Stelle zu den Wahlen angetretene Grüne Linkspartei (YSP) große Erfolge in Nordkurdistan zu verzeichnen hatte, konnte sich das Bündnis für Arbeit und Freiheit, in dem sie organisiert waren, nicht auf die ganze Türkei ausdehnen. Die HDP und YSP haben im Anschluss an den auch durch Wahlbetrug errungenen Wahlsieg Erdoğans einen Prozess der Erneuerung auf der Grundlage von Kritik und Selbstkritik gestartet. Als Strukturen mit radikaldemokratischem Anspruch erfolgt dieser Prozess nicht nur parteiintern, sondern vor allem auch transparent auf Volksversammlungen. Jede und jeder ist in der Position, Kritik vorzutragen und ernst genommen zu werden. Die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) besuchte eine solche Volksversammlung in Istanbul und gibt mit ihrem Bericht Einblick in die dort geführten Debatten. An der Versammlung in Istanbul-Sancaktepe nahmen neben einer Vielzahl von Nichtmitgliedern auch Mitglieder des Parteirats der HDP und ihrer Provinz- und Kreisverbände teil.
„Wenn diese Partei ein Projekt der kurdischen Kapitalisten wäre, wäre der Weg offen“
Das HDP-Parteiratsmitglied Bülent Uyguner wies in seiner Ansprache auf das Ansinnen hinter der Versammlung hin, aus den Fehlern im Wahlkampf zu lernen und den Weg gestärkt fortzusetzen. Er sagte: „Wir können keine Bewertung vornehmen, ohne den Niederwerfungsplan, der seit 2015 gegen die HDP umgesetzt wird, miteinzubeziehen. Wenn diese Partei ein Projekt wäre, das den Reichen oder wie Barzanî den kurdischen Kapitalisten nützt, dann wäre ihr der Weg offen gewesen. Die Möglichkeiten der HDP, soziale Politik zu machen, wurden vom faschistischen Regime beseitigt. Unter diesen unfairen Bedingungen, bei denen das Verbot der HDP wie ein Damoklesschwert über uns hing, waren wir gezwungen, mit der YSP in die Wahlen zu gehen.“ Uyguner betonte in diesem Sinne, dass jede Kritik zur Entwicklung der Partei beitragen werde, und überließ dann den anwesenden Besucher:innen das Wort.
„Das apoistische Paradigma wurde nicht ausreichend vermittelt“
Einer der Anwesenden kritisierte, dass die HDP sich im Wahlkampf nicht dem apoistischen Paradigma entsprechend verhalten und die YSP sich den Menschen nicht ausreichend verständlich gemacht habe. Gleichzeitig hätte die Rolle von Abdullah Öcalan als Repräsentant und Wegweisender weiter herausgestellt und gegen Angriffe klarer verteidigt werden müssen. Ein anderer Anwesender kritisierte, dass das Wahlbündnis sicher nicht falsch gewesen sei, aber bestimmte linke Parteien versucht hätten, die Allianz zu manipulieren. Er kritisierte, dass Menschen in die Volksarbeit mit Kurd:innen geschickt wurden, die keine Ahnung von der kurdischen Realität hatten: „Wie soll eine Person, die Botan, Serhad, Xerzan und andere Regionen nicht einmal kennt, bei uns arbeiten?“
Klare Kriterien für Kandidatur notwendig
Eine weitere anwesende Person knüpfte an die Kritik an und beklagte, dass die YSP im Wahlprozess zu einem „Verteilungszentrum für Kandidaturen“ geworden sei. Es seien immer wieder Fehler bei der Aufstellung der Kandidatenlisten gemacht worden. Deswegen seien klare Kriterien zu Auswahl von Bedeutung. Sie fuhr fort: „Ja, lasst uns Bündnisse mit anderen Parteien aufbauen. Aber das darf nicht auf der Grundlage der Verteilung von Kandidaturen geschehen. Ich habe gesehen, wie schwierig es für manche Kandidatinnen und Kandidaten war, ins Gespräch mit der Gesellschaft zu kommen. Das muss diskutiert werden. Die Zahl von jungen Kadern in den Provinz- und Kreisverbänden muss erhöht werden. Die kurdische politische Bewegung hat sich in den vergangenen Jahren bei ihren Wahlaktivitäten auf die Organisierung von Individuen verlassen, aber bei den letzten Wahlen war das nicht ausreichend.“
Nach der Kritik und den Vorschlägen ergriff Uyguner erneut das Wort und betonte, dass die YSP sich stärken wird, indem sie die Kritiken aufgreift und in einem gemeinsamen Ansinnen verbindet.