DK zu Urteil gegen Köçer: Kriminalisierung von kurdischem Aktivismus

Der kurdische Politiker Tahir Köçer ist in München wegen vermeintlicher PKK-Mitgliedschaft zu knapp zweieinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Die Ortsgruppe von Defend Kurdistan war dabei und spricht von Kriminalisierung des kurdischen Aktivismus.

Antikurdische Kriminalisierung

Tahir Köçer sitzt mittlerweile seit 15 Monaten in Untersuchungshaft in der JVA Stadelheim in München. Er wurde im Dezember 2022 im Zuge von Durchsuchungen des Medya Volkshauses und von Privatwohnungen in Nürnberg festgenommen und kam aufgrund eines Haftbefehls des OLG München in Untersuchungshaft. Nun wurde er zu insgesamt 29 Monaten Haft nach dem Paragraphen 129 b wegen Mitgliedschaft in der PKK verurteilt.

Im vollen Zuschauerraum warteten solidarische Menschen auf Tahir, die aus dem ganzen Bundesgebiet sowie aus Österreich angereist waren. Die Anwesenheit seiner Familie, Freund:innen, Genoss:innen und vor allem der volle Saal waren eine Bestätigung für seine unermüdliche Arbeit der letzten Jahrzehnte wie auch für seine revolutionäre Haltung. Tahir Köçer war lange Jahre als Politiker Stimme der Kurd:innen. In Reden setzte er sich mit seinem Namen für die Rechte von Kurd:innen, die Freiheit des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan und für die kurdische Selbstverwaltung ein.

Tahir Köçer hat schon in Nordkurdistan antikurdischen Rassismus erlebt – durch türkische Militärs in seinem Heimatdorf. Später, als er in Istanbul lebte, wurde er von türkischen Polizeibeamten entführt und über mehrere Wochen gefoltert. Deswegen floh Tahir 1997 aus der Türkei nach Deutschland und beantragte Asyl. Hier betätigte er sich weiter politisch und war auch eine Zeitlang der Ko-Vorsitzende des kurdischen Dachverbands KON-MED.

Für die Verurteilung Tahirs spielten - so der Richter - viele einzelne Indizien eine Rolle, die zusammen ein „eindeutiges Bild“ ergeben würden. Völlig legale Tätigkeiten, nur im Zusammenhang mit der PKK werden sie als illegal gewertet. Dazu zählt unter anderem, dass Tahir eine Bahncard 100 besaß, dass er bei anderen Gerichtsprozessen im Zuschauerraum saß, dass er Veranstaltungen organisiert, Reden gehalten und Spenden gesammelt hat.

Das Gericht weist die politische Verantwortung von sich

Der Richter gestand zwar ein, dass das PKK-Verbot, das die ganze Grundlage der Anklage bildet, politisch diskutabel ist. Jedoch spielte er die Rolle des Gerichts herunter, indem er die Verantwortung, diese Frage zu klären, von sich wies.

Was der Richter seiner Meinung nach beurteilen konnte, waren die familiären Verhältnisse Tahirs, die er mehrmals kommentierte.

In der Urteilsverkündung nannte er es sogar löblich, sich für die Rechte der Kurd:innen einzusetzen, allerdings nicht im Zusammenhang mit der PKK. Politische Verantwortung von sich weisen, aber sich anzumaßen, die Deutungshoheit darüber zu haben, wie die kurdische Frage gelöst werden kann… Unzählige Male wurde in der Urteilsverkündung betont, dass der „bewaffnete Kampf“ für die PKK eine wichtige Rolle spielt. Genau diesen Kampf der PKK beurteilte das Brüsseler Berufungsgericht 2019 eben nicht als Terror. Wichtiger aber ist noch, dass der Kassationshof - höchste juristische Instanz in Belgien - Ende Januar 2020 die Feststellung getroffen hat, dass es sich bei der PKK nicht um eine terroristische Vereinigung handelt. Dieses Urteil hat Rechtskraft und seither gibt es in Belgien keine sogenannten Terrorismus-Verfahren mehr gegen kurdische Aktivist:innen. Und darauf kommt es an.

Tahirs Verurteilung nach §129 b ist die Spitze einer fast flächendeckenden Kriminalisierung von PKK-nahen Kurdinnen und Kurden, die die konsequente Durchsetzung des PKK-Verbots von 1993 ergänzen. Ein Ende dieser Kriminalisierung ist nicht absehbar.