Die PKK in Europa - Freund oder Feind?

Eine emanzipatorische und demokratisch organisierte Bewegung als Feind zu markieren, kann langfristig nicht die Lösung sein. Das ist die Gewissheit, die uns die ARTE-Doku „Die PKK in Europa – Freiheitskämpfer oder Terroristen?“ beschert.

Kommentar zur Doku auf ARTE

Wiedermal sendete der deutsch-französische Sender arte kürzlich einen Dokumentarfilm über die Arbeiterpartei Kurdistans, kurz PKK, in Europa. In der 50-minütigen Produktion geht die Regisseurin Candan Six-Sasmaz der Frage nach, wie es nach 30 Jahren Betätigungsverbot der PKK um das Verhältnis zwischen ihr und dem deutschen bzw. französischen Staat bestellt ist. Im Titel des Filmes selbst ist diese Frage etwas altmodisch und zugleich plakativ formuliert: „Die PKK in Europa – Freiheitskämpfer oder Terroristen?

Hauptsächlich um den Terror geht es in dem Film, und wenn ich es recht überblicke, kann dieser Vorwurf zumindest für den Zusatz „in Europa“ nicht annähernd bestätigt werden. „Freiheitskämpfer“, nun ja, das ist ein antiquiertes Bild aus der Zeit der antikolonialen Bewegungen der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Die PKK von heute oder worunter die Regisseurin die PKK versteht, ist, wenn überhaupt, eine politische Bewegung, die mit dem Image der „Freiheitskämpfer“ aus jener Zeit nicht das Geringste am Hut hat. Abgesehen von dieser anachronistischen Projektion wies der Film einige historische Mängel auf, wie auch eine mindestens tendenziöse Gewichtung von politischen Positionen.

Dennoch fand ich ihn inhaltlich erfrischend. Zumindest sind ein paar neue Eindrücke und Bilder vom Leben der Menschen zu sehen, die sich mit dieser Bewegung irgendwie verbunden fühlen. Sonst sind die entsprechenden Dokumentarfilme zu dem Thema i.d.R. relativ langweilig und reproduzieren ewig dieselben Bilder, im Text wie auch im Schnitt. So ist man dann immer mehr bemüht, möglichst wenig zu erzählen, anstatt zu erzählen. Die Fremdheit der Kurdinnen und Kurden im Bild und im Wort muss im öffentlichen Raum aufrechterhalten werden, damit ihr Anliegen in den richtigen Momenten zu einer Sache des Politischen erklärt werden kann.

Damit wären wir auch schon bei der Frage angelangt, was der Film uns eigentlich vermitteln wollte. Ich glaube, in einigen Punkten kann er ganz gut für sich sprechen – will meinen, die Bildsprache und die Kommentare bedürfen nicht eines Metakommentars. Trotzdem bot er viel Gesprächsstoff, sei es auch nur in Form von Rein- bzw. Rauslesen. Denn dem Film konnte man u. a. gut ablesen, wie sich der deutsche Diskurs über die Kurdinnen und Kurden seit dem 3. August 2014, also seit dem barbarischen Überfall auf die Jesidinnen und Jesiden, gewandelt hat. Spätestens seit dem Kampf um Kobanê und der Befreiung von Jesidinnen und Jesiden von den IS-Barbaren hegen große Teile der westeuropäischen Gesellschaften Sympathie für die Arbeiterpartei Kurdistans - das ist längst kein Geheimnis mehr. Man müsste eigentlich noch hinzufügen, und das obwohl die meisten Staaten, wie auch Deutschland und Frankreich, an dem angesichts dieser Sympathiewelle demokratisch absurd erscheinenden Verbot nach wie vor festhalten.

Nicht nur Aktivistinnen und Aktivisten fordern seit Jahren unentwegt die Aufhebung dieses Verbots. Auch vielen Menschen, die Kobanê und Şengal an ihren Bildschirmen verfolgt haben, erscheint es längst widersinnig. Es dient in den Augen der Öffentlichkeit nur noch dazu, die Kurdinnen und Kurden kollektiv zu bestrafen, die kurdische Bewegung und ihre Verbündete zu kriminalisieren, und es wird zurecht auch als ein fauler Kompromiss an Erdogan und der Türkei betrachtet. Hierin zeigt sich denn auch die Kluft zwischen Gesellschaft und Politik in diesen Ländern, die sich 30 Jahre nach dem PKK-Verbot aufgetan hat. Der Film suchte nach Wege und Mitteln, um diese zu schließen und es wurde schnell klar, dass es keine objektive, rechtliche Gründe mehr gibt, an dem Betätigungsverbot festzuhalten.

Das öffentliche Bild der kurdischen Bewegung im Westen ist heute ein positives, das die Verbote und Kriminalisierungen geradezu lächerlich erscheinen lässt. Die Menschen erwarten seit Jahren, dass die Politik hier nachzieht und ihre Entscheidungen überdenkt. Ich finde, dieser Film brachte diese Erwartungshaltung aus der Gesellschaft relativ einsichtig zum Ausdruck. Experten aus Politik und Forschung hatten die Möglichkeit, ihre Argumente vorzutragen, sich und ihre Positionen zu rechtfertigen. Allerdings muss man sagen, leider ist dieses ihnen nur bedingt gelungen. Es war spürbar, die Verwirrung ist groß, sowohl Politik als auch Forschung können sich nicht mehr vor dieser Frage ducken. Sie müssen endlich akzeptieren, dass von den Kurdinnen und Kurden keine Gefahr für die hiesigen Gesellschaften ausgeht und somit, um das auch hier zu betonen, das Verbot einer politischen Grundlage entbehrt.

Es ging auch vordergründig nicht darum, ob die PKK das eine oder das andere ist – wie gesagt, diese Frage kann man sich aus vielen Gründen gar nicht mehr stellen. Der Film hat uns in Wirklichkeit nun einmal mehr verdeutlicht, dass diese Frage heute eine rein politische geworden ist. Sie ist nur noch im politischen Raum anzutreffen, wo man in schmittianischer Manier die willkürliche Macht besitzt, seinen Freund oder Feind zu markieren, jenseits von inneren, wie Carl Schmitt es wohl sagen würde, „parteipolitischen“ Kalkülen.

Carl Schmitt war ein deutscher Jurist und Theoretiker, der einige interessante Überlegungen angestellt hat, um einen Begriff des Politischen in der Analogie des Moral- und Ästhetikbegriffs zu gewinnen. Er wollte Kriterien für das Politische aufstellen und gewisse Sprechweisen und Diskurse, also Handlungen im Allgemeinen, als „politisch“ ausweisen. Er meint, ob etwas moralisch ist, können wir durch die Kriterien „gut“ oder „böse“ erkennen, für die Ästhetik wiederum „schön“ oder „hässlich“, für das Politische, meint er weiter, müssen wir in Freund oder Feind unterscheiden, und es ist allerlei, ob der Feind moralisch böse oder ästhetisch schön ist. Es genügt, wenn wir ihn als den Fremden markieren, der uns existenziell entgegengesetzt ist.

Es tat sich hier ein Raum auf, den man in der Folgezeit als politische Differenz getauft hat. Sie entzieht der demokratischen Politik, die auf die Interaktion mit der Gesellschaft angewiesen ist, die Kompetenz, diese Unterscheidung überhaupt treffen zu können. Sie kommt einer übergeordneten und umfassenderen Struktur, dem Politischen zu, das man hier etwas lapidar mit Sicherheit und Wahrung der Interessen nach Außen übersetzen kann. Kritiker werfen Schmitt immer wieder vor, er hätte das Politische zu sehr auf die Außenpolitik fixiert und die Frage nach der politischen Entscheidungsfindung erst gar nicht aufkommen lassen.

In diesem Zusammenhang ist auch das PKK-Verbot zu sehen. Die Entscheidung der breiten Teile der Gesellschaften in Europa ist längst gefallen, sie sehen in der „PKK“ einen Verbündeten und keine Gefahr für sich. Durch den Film konnte man aber deutlich erkennen, dass die Frage nach der Verbotsaufhebung nur noch eine politische ist, die schmittianisch entschieden werden muss. Im heutigen Speech hieße es nur noch performativ: Man muss sich (politisch!) entscheiden. Wie der Friedensforscher Walter Posch zum Schluss sagt, die PKK hat ein klares Narrativ, die Europäer müssen sich endlich auch auf eines einlassen. Eine emanzipatorische und demokratisch organisierte Bewegung als Feind zu markieren, kann hierbei langfristig nicht die Lösung sein, das ist die Gewissheit, die uns der Film beschert.

Der Dokumentarfilm kann bis zum 18. November 2024 in der arte-Mediathek angeschaut werden