„Die Kriminalisierung der Kurden in Schweden muss aufhören“

Schwedische Rechtsanwält:innen fordern ein Ende der Kriminalisierung von Kurd:innen durch die SÄPO: Das Vorgehen des Nachrichtendienstes sei aus dem Ruder gelaufen, Schweden habe die Vorgaben aus der Türkei übernommen.

SÄPO

Rechtsanwält:innen in Schweden haben ein Ende der Kriminalisierung von Kurd:innen und kurdischen Organisationen gefordert. Das Vorgehen des schwedischen Nachrichtendienstes SÄPO („Sicherheitspolizei“) sei aus dem Ruder gelaufen, kritisieren 25 Anwält:innen und Jurist:innen in einem in der linksliberalen Zeitung Dagens ETC veröffentlichten Debattenbeitrag unter dem Titel „Die Kriminalisierung der Kurden in Schweden durch die Säpo muss beendet werden“.

„Es gibt eine politische Verfolgung von Kurden in Schweden, wobei die Sicherheitspolizei an vorderster Front steht, seit die internationalen Beziehungen zur Türkei mit Unterstützung der schwedischen Regierung an außenpolitischer Bedeutung gewonnen haben. In den letzten Jahren hat die Sicherheitspolizei begonnen, Kurden zu kriminalisieren, und wir sind der Meinung, dass die Arbeit der Sicherheitspolizei aus dem Ruder gelaufen ist. Die politische Haltung und die Aktivitäten der Kurden, für die ihnen in ihrer neuen Heimat zunächst Schutz gewährt wurde, werden von der Säpo seit einigen Jahren als Terrorismus eingestuft, eine Einschätzung, die später auch von den Entscheidungsgremien bestätigt wurde“, heißt es in dem Beitrag, in dem unter anderem auf die dramatisch inszenierte Verhaftung von Ferit Çelik hingewiesen wird. Der wegen politischer Verfolgung in der Türkei als anerkannter Asylberechtigter in Schweden lebende Kurde ist im Februar aufgrund eines deutschen Haftbefehls festgenommen worden und befindet sich seitdem in Auslieferungshaft.

Die gleiche Definition von Terrorismus wie die Türkei“

Weiter heißt es in der Erklärung: „Die politische Verfolgung von Kurden und kurdischen Einrichtungen und Organisationen muss aufhören. Die weit gefasste Definition von Terrorismus, die von der Sicherheitspolizei durch den Informationsaustausch mit den türkischen Sicherheitsdiensten angenommen wurde, ist scharf zu kritisieren. Die Türkei ist ein Land, das bereits mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verstößen gegen die Konvention verurteilt wurde. Es ist auch ein Land, in dem Tausende von Anwälten, Journalisten und Politikern aus willkürlichen Gründen inhaftiert sind. Der schwedische Sicherheitsdienst geht mit der gleichen Begründung gegen die Kurden in Schweden vor. Die Entwicklung, die wir in den letzten Jahren in Schweden beobachtet haben, ist verwerflich und lässt uns darüber nachdenken, auf welche Zukunft Schweden zusteuert und welches Rechtssystem wir langsam aber sicher längerfristig akzeptieren.

Der Durchschnittsbürger mag denken, dass, wenn eine schwedische Behörde, insbesondere der schwedische Sicherheitsdienst, etwas behauptet, es auch so sein muss. Nach dem, was wir bei unserer täglichen Arbeit in diesen Fällen feststellen konnten, hat der schwedische Sicherheitsdienst jedoch die gleiche weit gefasste Definition von Terrorismus wie die Türkei. In der Türkei darf der Einzelne jedoch immer noch wissen, was ihm vorgeworfen wird, unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Behauptung. In Schweden werden die Personen in Fällen, die vom schwedischen Sicherheitsdienst bearbeitet werden, nicht einmal darüber informiert, was ihnen vorgeworfen wird und auf welcher Grundlage die Bewertung erfolgt.

Dies ist ein Kafka-Verfahren, das weder in ein modernes Rechtssystem noch in ein demokratisches Land gehört. Es ist eine offene Kriminalisierung, die wir jetzt erleben, aber mit versteckten Beweisen. Ungeachtet der Tatsache, dass die Grundlage für die Einschätzungen des Sicherheitsdienstes nicht bekannt gegeben wird, wissen wir, dass es sich um Personen handelt, die mit der kurdischen Opposition in der Türkei sympathisieren, aber dem Sicherheitsdienst zufolge angeblich mit der PKK verbunden sind.

Keine Bedrohung für die schwedische Sicherheit“

Die Situation ähnelt wiederum dem türkischen Rechtssystem, in dem jeder Kurde, der seine Identität angeben will, als Terrorist und PKK-Sympathisant gilt. Nach Angaben der Sicherheitspolizei werden diese angeblichen Verbindungen zur PKK als Bedrohung der nationalen Sicherheit betrachtet, weshalb die Personen ihre Aufenthaltsgenehmigung nicht verlängern dürfen und ausgewiesen werden. Darüber hinaus werden die Bankkonten kurdischer Organisationen gesperrt, junge kurdische Arbeitssuchende erhalten nach einer Sicherheitsüberprüfung keine Arbeitserlaubnis mehr, und Anwälte werden allmählich überwacht.

Die Frage der terroristischen Einstufung ist zwar ein Thema für sich, doch ist es erwähnenswert, dass die PKK keine Bedrohung für die schwedischen Interessen und die schwedische Sicherheit darstellt und dies auch von den schwedischen Behörden nicht behauptet wurde, ungeachtet des Wahrheitsgehalts dieser angeblichen Verbindungen zur PKK.

In diesem Zusammenhang ist auch erwähnenswert, dass ein belgisches Gericht 2017 nach einem elfjährigen Gerichtsverfahren zu dem Schluss kam, dass die PKK nicht als terroristische Organisation betrachtet werden kann. Die Einschätzungen der Sicherheitspolizei, dass Personen mit angeblichen PKK-Verbindungen eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen, scheinen daher widersprüchlich zu sein. Noch vor wenigen Jahren waren die Kurdinnen und Kurden einer der wichtigsten Akteure im Kampf gegen den Vormarsch des IS und genossen internationale Anerkennung.

Schweden sollte einen Friedensprozess unterstützen“

Anstatt die Kurden zu verdächtigen und zu kriminalisieren, sollte Schweden stattdessen einen neuen Friedensprozess zwischen den Kurden und der Türkei unterstützen. Die Kriminalisierung der Kurden und ihrer Institutionen löst nicht das Problem, sondern wird zum Problem.

Die Arbeit der Sicherheitspolizei kann mit einer Meinungsregistrierung verglichen werden. Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung, was das Recht einschließt, Gedanken und Meinungen zu äußern. Auch die Versammlungs-, Demonstrations- und Vereinigungsfreiheit, die zu unseren Grundrechten und -freiheiten gehören, ist jedem garantiert. Die Arbeit der Sicherheitspolizei besteht zweifellos darin, die Meinungen und Aktivitäten von Kurden zu registrieren, und zwar im Lichte der Fragen, die Einzelpersonen nach eigenen Angaben von der Sicherheitspolizei erhalten haben und die in der oben erwähnten Voruntersuchung veröffentlicht wurden. Darüber hinaus werden diese Personen mit Verweis auf eine Vertraulichkeitsklausel in die Angst versetzt, das Enthüllte nicht preiszugeben.

Als Rechtsanwälte und Juristen ist es unsere primäre Aufgabe, die Rechte unserer Mandanten eifrig zu schützen. Wir haben auch eine besondere Stellung in der Gesellschaft und tragen eine besondere Verantwortung für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 verankert sind. Die Anwälte müssen sich in ihrer Tätigkeit um die Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten bemühen. Die Arbeit der Sicherheitspolizei gegen Kurden und kurdische Institutionen ist eine Verletzung dieser Rechte und Freiheiten und muss daher gestoppt werden.“