Die Frage „Liebst du Öcalan“ entscheidet über Freilassung

Die Anhörungen zur Entlassung von politischen Gefangenen in der Türkei aufgrund von „guter Sozialprognose“ treiben immer neue Blüten. Fragen wie „Liebst du Öcalan?“ oder „Wer ist dein Prophet?“ entscheiden über Entlassung oder Gefangenschaft.

Seit dem 27. November 2020 findet in den türkischen Gefängnissen ein rotierender Hungerstreikwiderstand gegen die lebensbedrohlichen Haftbedingungen und die Isolation Abdullah Öcalans statt. An dem mittlerweile in 15-Tagesschichten rotierenden Hungerstreik haben bisher viele Tausend Gefangene aus der PKK und PAJK sowie aus vielen anderen politischen Organisationen und Parteien teilgenommen. Der Staat reagierte auf den Hungerstreik mit einer weiteren Verschärfung der Haftbedingungen. Mit einer vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie durchgedrückten Justizreform wurden zehntausende Faschisten und Gewalttäter entlassen, politische Gefangene blieben außen vor. Auch wenn ihre Haftstrafe aufgrund von Vollzugsreformen bereits vorbei ist, werden sie aufgrund „schlechter Sozialprognose“ nicht entlassen.

Der Sprecher der Gefängniskommission des Menschenrechtsvereins IHD von Izmir, Ahmet Çiçek, bewertete die Rechtsverletzungen in den Gefängnissen, die Isolation der Gefangenen und die Änderungen im Vollzugsgesetz gegenüber der Nachrichtenagentur Mezopotamya. Çiçek berichtet von Briefen von Gefangenen aus dem Şakran-Gefängnis, in denen sie über absurde Fragen von den Vollzugskommissionen berichteten. Die politischen Gefangenen wurden nach den Befragungen aufgrund „schlechter Sozialprognose“ nicht entlassen.

Çiçek erzählt über das Vorgehen: „Mit der Änderung des Vollzugsgesetzes wurden im Gefängnis Kommissionen aufgebaut. Wenn die Zeit zur Entlassung auf Bewährung kommt, werden die Gefangenen vor diese Kommission gebracht. Wie wir aus den Briefen der Gefangenen erfahren haben, stellt der Ausschuss die folgenden vollkommen absurden Fragen: ‚Liebst du Abdullah Öcalan? Bist du in der Organisation? Wer ist dein Prophet? Bist du ein Moslem?‘ Durch solche Fragen kann die Freilassung von Gefangenen um acht Monate verzögert werden. Es ist eine völlig willkürliche Praxis, die nicht dem gesetzlichen Vorgehen entspricht.“

Çiçek weist darauf hin, dass auch die Isolation des kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan rechtswidrig sei und der Staat Gründe zu fabrizieren versuche, um diese Situation zu rechtfertigen. Die Situation Öcalans stehe symptomatisch für die Rechtsverletzungen an den politischen Gefangenen.

Die Pandemie als Ausrede

Çiçek berichtet, dass die Rechtsverletzungen unter dem Vorwand der Pandemie zugenommen hätten: „Es gab und gibt viele Verstöße seit dem Ausbruch der Pandemie in den Gefängnissen. Die Pandemie ist zu einem Vorwand dafür geworden. Den Gefangenen werden viele ihrer Rechte verweigert. Sie können nicht mit zum Sport, die Kommunikation wird verboten und es finden auch keine Lehrgänge statt. Sie dürfen ihre Familie nur einmal im Monat durch die Trennscheibe sehen. Offener Besuch findet weiterhin nicht statt.“

Quarantäne als Schikane

Kranke Gefangene sind besonderen Schikanen ausgesetzt, wenn sie das Krankenhaus aufsuchen müssen: „Beim Betreten und Verlassen des Gefängnisses werden sie nackt durchsucht, dabei wird sogar der Mund durchsucht. Dies sind Schikanen unter dem Vorwand der Sicherheit. Ein Gefangener, der aus dem Krankenhaus zurückkommt, wird 15 Tage in einer Quarantänezelle festgehalten. Aber auch hier gibt es immer wieder weitere Probleme. So kommt es immer wieder vor, dass kurz vor Ende der Quarantänezeit ein neuer Gefangener in die Quarantänezelle gebracht wird. Dann verlängert sich die Quarantäne erneut um 15 Tage.“