Eines der größten und blutigsten Massaker der türkischen Geschichte fand 1937/38 in Dersim statt. Heute ist der 84. Jahrestag der Operation, die als Dersim-Massaker in die Geschichte einging. Nach offiziellen Angaben wurden 1937 1.737 Menschen und 1938 6.868 Menschen getötet. Inoffiziellen Angaben zufolge wurden mindestens 70 000 Menschen in Dörfern, Höhlen und an Flüssen durch Bombardierung, Erschießung, Verbrennung, den Einsatz von chemischem Gas und Stürze von Klippen getötet, und Zehntausende wurden ins Exil getrieben. Mädchen, die das Massaker überlebten, wurden ihren Familien weggenommen und Militärs zur Adoption übergeben. Seitdem hat man nichts mehr von den „vermissten Mädchen" von Dersim gehört.
84 Jahre sind vergangen, aber der Schmerz ist immer noch lebendig. Der Staat hat nicht eine einzige Untersuchung über die Geschehnisse durchgeführt. Der Verbleib des hingerichteten Anführers des Aufstands, Seyit Riza, und seiner Mitstreiter ist nach wie vor unbekannt.
Zum Jahrestag des Massakers haben wir mit Überlebenden in Dersim gesprochen. Hayri Pilavcı war zum damaligen Zeitpunkt zwei Jahre alt. Zahlreiche Verwandte von ihm wurden getötet und ins Exil geschickt. Pilavcı seufzt erst tief und sagt dann: „Meine Familie versteckte sich in einer Höhle. Dann wurden wir gefasst und ins Exil geschickt. Wir blieben neun Jahre lang in Eskişehir. Dann kehrten wir zurück, aber das Exil dauert an. Wir konnten nicht in unser eigenes Dorf gehen. Seit '94 leben wir im Exil, so nennen es die alten Leute hier."
„Seyit Riza wurde verraten“
Pilavcı erzählt weiter: „Seyit Rıza sagte zu seinem Sohn Şêx Hesen: ,Ich habe den Verdacht, dass wir verraten werden. Lass uns von hier weggehen.' Sein Neffe Rayber verkaufte ihn an die Soldaten. 23 Menschen wurden dort getötet. Dort schlugen sie Şêx Hesen den Kopf ab. Sie töteten nicht nur ihn, sondern auch alle seine Kinder. Als Seyit Riza seinen Sohn an diesem Tag nicht überreden konnte, von dort wegzugehen, ging er in Begleitung einiger Leute weg. Dadurch rettete er sich an diesem Tag, sonst wäre er einer der Ermordeten geworden."
Das Massaker geht weiter
Verrat ist für Pilavcı ein zentrales Thema in der Geschichte Kurdistans. Auch heute gebe es Verräter, die Geschichte setze sich fort: „Verrat ist nicht neu, er dauert schon seit mehr als 1.400 Jahren an. Die Stämme wurden gegeneinander aufgehetzt und dazu gebracht, sich gegenseitig zu töten. Es gab sogar Parlamentarier, die ebenfalls hingerichtet wurden. Der Verrat und der Völkermord an den Kurden dauern immer noch an. Dieses Problem hört nicht auf, dieser Verrat... Sie haben uns 1938 ermordet, und sie töten uns jetzt. Heute geht der gleiche Verrat innerhalb der Stämme weiter. Ich meine nicht alle Stämme, ich meine diejenigen, die uns verraten. Sie haben es nie aufgegeben."
Hayri Pilavcı weist abschließend darauf hin, dass es nur noch wenige Überlebende gibt: „Alle sind nacheinander gestorben. Ihre Schilderungen dürfen nicht vergessen werden, es sollte alles archiviert werden.“