Demirtaş mit „Preis für politischen Mut" in Paris ausgezeichnet

Der ehemalige HDP-Vorsitzende Selahattin Demirtaş ist vom Pariser Institut François Mitterrand mit dem „Preis für politischen Mut" ausgezeichnet worden.

Der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş ist vom Pariser Institut François Mitterrand mit dem erstmals verliehenen „Preis für politischen Mut" ausgezeichnet worden. Der ehemalige Ko-Vorsitzende der Demokratischen Partei der Völker (HDP) ist seit über fünf Jahren in der Türkei im Gefängnis, die Auszeichnung in Paris wurde daher von Hişyar Özsoy, dem außenpolitischen Sprecher der HDP, entgegen genommen. Demirtaş erklärte schriftlich, dass er den Preis im Namen aller inhaftierten HDP-Mitglieder annimmt:

„Für mich und für Millionen von Kurdinnen und Kurden gibt es eigentlich zwei Mitterrands, François Mitterrand und Danielle Mitterrand. Ich verneige mich vor den beiden wertvollen Persönlichkeiten, die sich in unser Gedächtnis eingeprägt und einen großen Beitrag zu den europäischen Werten geleistet haben. Wie bekannt, bin ich trotz der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte immer noch im Gefängnis von Edirne inhaftiert, so dass ich nicht bei Ihnen sein kann. Ich glaube, dass diese große Gesetzlosigkeit, die die europäischen Werte aushöhlt, eines Tages mit Ihrer Unterstützung und unserem Widerstand ein Ende finden wird", so der inhaftierte HDP-Politiker Selahattin Demirtaş in dem Brief.

Der Präsident des François-Mitterrand-Instituts, Hubert Védrine, der auch ehemaliger französischer Außenminister ist, sagte, die Auszeichnung sei als politische und symbolische Unterstützung für Demirtaş und den anhaltenden Kampf der HDP zu sehen.

In dem Schreiben des Instituts an Selahattin Demirtaş heißt es: „Mit diesem Preis soll eine französische oder ausländische Person oder Organisation für ihre Aktivitäten oder Werke ausgezeichnet werden. Die Preisjury ist beeindruckt von Ihrer Beharrlichkeit, Ihrem Mut und Ihrem Engagement. Wir hoffen, dass dieser Preis Ihnen hilft, Ihre Inhaftierung zu überwinden, Ihre Freiheit schnell wiederzuerlangen und Ihren Kampf für Demokratie und soziale Gerechtigkeit fortzusetzen."

Über Selahattin Demirtaş

Selahattin Demirtaş wurde 1973 in Palo in der kurdischen Provinz Xarpêt (tr. Elazığ) geboren. Mit 18 Jahren nahm er in Amed (Diyarbakir) an der Trauerfeier des kurdischen HEP-Politikers und Leiters der örtlichen Zweigstelle des Menschenrechtsvereins IHD, Vedat Aydın, der nach seiner Festnahme von der Polizei gefoltert und extralegal hingerichtet worden war, teil. Aydıns Begräbnis wurde von staatlichen Todesschwadronen in ein Blutbad verwandelt – 23 Menschen wurden getötet, über 2.000 verletzt. Dieses Erlebnis prägte Demirtaş und er fasste den Entschluss, Jura zu studieren.

Nach seinem Studium arbeitete er lange Jahre als Menschenrechtsanwalt und leitete wie bereits Vedat Aydın die Zweigstelle des IHD-Amed. Politisch, aber vor allem als Mensch steht Selahattin Demirtaş für eine friedliche Lösung der kurdischen Frage, für eine echte Demokratisierung der Türkei, für die Glaubensfreiheit christlicher, alevitischer und ezidischer Glaubensgemeinschaften. Er setzt sich für die sprachliche, politische aber auch kulturelle Gleichberechtigung der kurdischen, assyro-aramäischen, armenischen und griechischen Volksgruppen in der Türkei ein.

Seit über fünf Jahren unschuldig im Gefängnis

Seit seiner Inhaftierung im November 2016 sitzt Selahattin Demirtaş im Hochsicherheitsgefängnis Edirne im Westen der Türkei. Im Hauptverfahren drohen ihm wegen Terrorvorwürfen bis zu 142 Jahre Gefängnis. Die Anklage baut auf 31 Ermittlungsberichten auf, die dem türkischen Parlament während seiner Zeit als Abgeordneter der Demokratischen Partei der Völker (HDP), die er zusammen mit Figen Yüksekdağ genderparitätisch leitete, zur Aufhebung der Immunität vorgelegt worden waren. Am 20. November 2018 hatte der EGMR die Dauer seiner Untersuchungshaft für unzulässig erklärt und geurteilt, dass Demirtaş aus politischen Gründen verhaftet wurde und freigelassen werden muss. Der türkische Staat solle alles tun, um möglichst bald die Freilassung des Politikers zu ermöglichen. Die Entscheidung wurde von der Regierung in Ankara ignoriert.

Erster Haftbefehl überraschend aufgehoben

Anfang September 2019 wurde der Haftbefehl im Hauptverfahren gegen Demirtaş überraschend aufgehoben. Daraufhin hatte sein Rechtsbeistand bei einem Istanbuler Gericht, das den Politiker kurz zuvor in einem anderen Verfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hatte, einen Antrag auf vorzeitige Haftentlassung gestellt. Um das zu verhindern, rollte die Generalstaatsanwaltschaft von Ankara das Verfahren um die Kobanê-Proteste im Oktober 2014 wegen „neuen Ermittlungserkenntnissen“ wieder auf und erwirkte einen zweiten Haftbefehl. Im „Kobanê-Verfahren” wird Demirtaş unter anderem 37-facher Mord vorgeworfen. Ihm und auch Figen Yüksekdağ sowie weiteren 106 mitangeklagten Politikerinnen und Politikern drohen bei einer Verurteilung erschwerte lebenslange Haftstrafen. Allein für Demirtaş fordert die Generalstaatsanwaltschaft bis zu 15.000 Jahre Haft.

Ankara ignoriert auch Entscheidung der Großen Kammer

Am 22. Dezember 2020 hat der europäische Menschengerichtshof erneut entschieden, dass die Inhaftierung von Demirtaş politisch motiviert war und er sofort freigelassen werden muss. Zudem wurde Ankara zur Zahlung von insgesamt 60.400 Euro für Vermögensschäden, immaterielle Schäden sowie Ausgleich für Kosten und Ausgaben verurteilt. Das Urteil wurde von der Großen Kammer des EGMR gesprochen und ist rechtskräftig. Doch auch diese Entscheidung wird von der türkischen Regierung ignoriert. Das Ministerkomitee des Europarats hat zuletzt im Dezember 2021 von der Türkei die Umsetzung des Urteils gefordert.