Demirtaş: Ich bin Widerstandskämpfer, nicht Opfer

Der inhaftierte HDP-Präsidentschaftskandidat Selahattin Demirtaş hat Fragen des Nachrichtenportals Bianet beantwortet.

Der im Gefängnis von Edirne inhaftierte ehemalige Ko-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, der bei den erzwungenen Neuwahlen am 24. Juni für das Amt des Präsidenten kandidiert, hat Fragen des Nachrichtenportals Bianet beantwortet. Er befinde sich aufgrund seiner politischen Haltung in Geiselhaft und sei ein Widerstandskämpfer, nicht Opfer, betont Demirtaş.

Erdoğan nutzt alle Möglichkeiten aus

Da er sich im Gefängnis befinde, könne er an Kundgebungen, Eröffnungszeremonien und ähnlichen Wahlkampfveranstaltungen nicht teilnehmen. „Ein Gegenspieler allerdings nutzt für seinen Wahlkampf jedoch alle erdenklichen Möglichkeiten aus, die der Staat bietet, während ich kaum die Chance habe, an die Gesellschaft zu appellieren“, so Demirtaş in Anspielung auf Staatspräsident Erdoğan.

Die Situation, in der sich der HDP-Präsidentschaftskandidat befinde, sei mitunter die am meisten benachteiligte. „Der Versuch, diesen Zustand zu normalisieren, wäre unfair gegenüber unseren Wähler*innen“, sagt Demirtaş.

Kandidaten haben kaum Zukunftsvisionen

Trotz dessen versuche er, den Diskurs der anderen Präsidentschaftskandidaten aufmerksam zu verfolgen. Dabei habe Demirtaş einige Mankos feststellen können: „Bisher ist es keinem der Kandidaten gelungen, die Freiheit in den Mittelpunkt der Zukunftsvisionen zu stellen. Ihnen fehlen einfach die Kapazitäten und vor allem die Mentalität dazu. In den Ohren der Wahlberechtigten ist noch keine einzige Idee ertönt, die Hoffnungen oder Begeisterung auf Freiheiten schöpfen lässt. Lediglich der HDP-Kandidat kann diese Gefühle bei den Wähler*innen erzeugen, doch er war bisher noch nicht in der Lage, der Wählerschaft gegenüberzutreten“.

Erste Unternehmung nach den Wahlen

Auf die Frage, was er als erstes tun würde, sollte er das Amt des türkischen Republikspräsidenten bekleiden, antwortet Demirtaş: „Zunächst einmal werde ich alle Repräsentanten der politischen Parteien an einem Tisch vereinen, um ein gemeinsames Programm und eine Road Map für den Übergang zu einem demokratischen Konsens zu erarbeiten“.

Nicht Opfer, sondern Widerstandskämpfer

Der Journalist Ahmet Hakan hatte Demirtaş kürzlich zur Zielscheibe erklärt und behauptet, der HDP-Präsidentschaftskandidat würde „im Gefängnis eine Opferrolle einnehmen und mit der benachteiligten Situation auf Stimmenfang gehen“. Demirtaş äußerte sich zu den Worten Hakans folgendermaßen: „Ich bin hier kein Opfer. Als ein Vertreter des Widerstandes für die Freiheit befinde ich mich aufgrund meiner Gesinnung und politischen Haltung in Geiselhaft. Es war nicht meine Entscheidung, ins Gefängnis zu gehen, aber ich bin davon überzeugt, nichts von meiner aufrechten Haltung verloren zu haben, seitdem ich hier gelandet bin. Die Gesellschaft tritt nicht für mich ein, weil sie mich als Opfer sieht. Sie unterstützt mich, weil ich meine stolze Haltung bewahre. Ich empfehle jedem, sich nicht von Ahmet Hakan provozieren lassen, um im Gefängnis zu landen“.