Vor dem Amtsgericht in Wêranşar (Viranşehir) hat eine Hauptverhandlung im Prozess wegen Beamtenbeleidigung gegen den ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş stattgefunden.
Der Angeklagte konnte an der Verhandlung nur aus dem Gefängnis in Edirne über eine Videoschaltung, die in den Gerichtssaal übertragen wurde, teilnehmen. Demirtaş kritisierte diese Verfahrensweise als Verletzung der europäischen Menschenrechtskonvention und der türkischen Verfassung: „Ich bin aufgrund einer politischen Entscheidung verhaftet und in ein Gefängnis gebracht worden, das 1500 Kilometer von meiner Familie entfernt ist. Aus diesem Grund möchte ich nach Wêranşar kommen und mich dort verteidigen. Laut Verfassung habe ich dazu das Recht. Gegen mich laufen Hunderte Prozesse und es sind politische Prozesse. In der Vergangenheit gab es FETÖ-Strukturen in Wêranşar, ich möchte kommen und dem Gericht direkt darüber berichten und meine Beweise vorlegen. In diesem Ermittlungsverfahren, das seit fünf Jahren andauert, ist erst zwei Jahre später nach Beweisen gesucht worden. Dieses und die anderen Verfahren sind politisch. Das Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat das bewiesen“, so Demirtaş.
Weiter erklärte der HDP-Politiker: „Nicht ich und meine Anwälte ziehen dieses Verfahren in die Länge, sondern die Gerichte, die internationale Abkommen und die Verfassung missachten. Ich war der Ko-Vorsitzende der drittgrößten Partei der Türkei und wurde rechtswidrig verhaftet. Ich bin aus politischen Gründen verhaftet worden, weil die Regierung es so entschieden hat. Ich bin ein Politiker, der in Opposition zur Regierung steht.“
Das Gericht wies die Forderung nach persönlicher Anwesenheit im Gerichtssaal zurück. Daraufhin erklärte Demirtaş, sich auf diese Weise nicht verteidigen zu wollen, und zog sich zurück.
Die Verhandlung wurde auf den 14. Februar 2019 vertagt.
EGMR stellt Verstoß gegen Artikel 18 EMRK fest
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hat die Türkei im Fall Selahattin Demirtaş am Dienstag wegen Verstoßes gegen Artikel 18 der europäischen Menschenrechtskonvention verurteilt. Dieser Artikel verbietet, jemanden aus politischen Motiven zu inhaftieren. Einen Verstoß gegen diese Regel hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bisher nur sehr selten festgestellt und nun das erste Mal in einem Fall aus der Türkei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, beide Seiten können innerhalb von drei Monaten Rechtsmittel einlegen. Die Rechtsanwälte von Demirtaş haben beim zuständigen Gericht in Ankara Haftverschonung beantragt. Der türkische Staatschef Erdoğan hatte nach der Urteilsverkündung umgehend erklärt, das Urteil als nicht bindend zu betrachten. Als Mitglied des Europarats ist die Türkei zur Umsetzung der Urteile des EGMR verpflichtet.