Pervin Buldan und Sırrı Süreyya Önder haben als Mitglieder der Imrali-Delegation der DEM-Partei am 22. Januar zum zweiten Mal mit dem PKK-Begründer Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali gesprochen. Einen Tag nach dem Besuch gab die Delegation eine kurze Erklärung ab und teilte mit, dass die Gespräche über eine Lösung der kurdischen Frage fortgesetzt und konstruktive Beiträge aller gesellschaftlichen Gruppen erwartet werden.
Staatsvertreter an Gespräch beteiligt
Im Anschluss informierte die Delegation den DEM-Vorstand über das vierstündige Gespräch mit Öcalan. Wie die Nachrichtenagentur MA am Freitag unter Berufung auf DEM-Vertreter:innen berichtete, hat an dem zweiten Treffen auf Imrali auch ein Staatsvertreter teilgenommen. Die drei weiteren Imrali-Gefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş waren demnach nicht bei dem Gespräch anwesend, treffen Abdullah Öcalan jedoch regelmäßig und arbeiten mit ihm zusammen. Laut der MA-Meldung hat die Delegation Öcalan unter anderem von Erklärungen und Bewertungen der KCK und PKK zu dem ersten Besuch bei ihm berichtet.
„Keine persönliche Angelegenheit“
Die Delegation habe betont, dass der türkische Staat Öcalan zwar eine historische Mission auferlegt, seine Haftbedingungen sich jedoch nicht geändert haben: „Die Isolation wird nicht aufgehoben. Herr Öcalan betrachtet seine Bedingungen jedoch nicht als persönliche Angelegenheit.“ Vielmehr gehe es ihm darum, dass der Prozess auf friedliche Weise vollendet werde. Ihm sei es wichtig, dass eine Diskussionsgrundlage mit der Regierung entstehe.
Liebe und Grüße von Öcalan
Zu dem Gespräch hieß es weiter: „Öcalan hält es für sehr wichtig, dass dieses Thema im Parlament behandelt wird. Er sieht es als einen demokratischen Rechtsprozess für eine demokratische Türkei.“ Öcalan setze sich sehr für ein positives Ergebnis ein und habe darauf hingewiesen, dass ein positiver oder negativer Ausgang dieses Prozesses sich auf alle auswirken werde. Außerdem habe er allen, die einen positiven Beitrag dazu leisten, „seine unendliche Liebe und Grüße“ ausgerichtet.
Aufruf zur Entwaffnung?
Bei dem Treffen sei auch die Frage eines möglichen Aufrufs des PKK-Begründers zur Waffenniederlegung angesprochen worden. Die Delegation habe mitgeteilt, dass Abdullah Öcalan sich sehr um eine gewaltfreie Lösung der kurdischen Frage und die Aufhebung der Ursachen bemühe. Zur Debatte über die Niederlegung der Waffen sagte ein Vertreter der DEM-Partei: „Es ist sehr wichtig, die Ursachen des Problems zu beseitigen. Sonst endet ein Problem und ein anderes beginnt. Bei der aktuellen Diskussion auf Imrali geht es nicht nur darum. Ja, es gibt diese Diskussion, aber sie ist nicht der einzige Schwerpunkt. Die Regierung versucht, mit dieser Frage ihre eigene Position zu unterstreichen.“
Modell gegen imperialistische Ambitionen
Sowohl Abdullah Öcalan als auch die Imrali-Delegation seien hoffnungsvoll aus dem zweiten Treffen hervorgegangen. Die Delegation habe von den bisherigen Gesprächen mit politischen Kreisen berichtet, Öcalan werde sich zu einem späteren Zeitpunkt dazu äußern. Der DEM-Vertreter erklärte dazu: „Laut den Ergebnissen des Treffens arbeitet Herr Öcalan hart am Aufbau eines Modells, das die Tür für imperialistische Ambitionen gegenüber dem Iran, dem Irak, Syrien und der Türkei schließen wird. Er arbeitet daran, die Völker davor zu bewahren, ein neues Gaza und ein neues Bagdad zu erleben. Er will die Völker in ihrer Gesamtheit schützen und ist bestrebt, die Türkei von dem herrschenden Putsch-Mechanismus und dem undemokratischen Rechtssystem zu befreien“.
„Entweder meine Lösung oder die Lösung der USA“
Öcalan habe umfassende Einschätzungen zum Nahen Osten und zur kurdischen Frage abgegeben und auf die Interventionen der Hegemonialmächte aufmerksam gemacht, sagte der DEM-Vertreter und führte weiter aus: „Die USA und Israel sind jetzt Nachbarn der Türkei. Die USA haben eine ,Lösung' für die kurdische Frage, Herr Öcalan setzt sich für den Aufbau eines Modells gegen hegemoniale Interventionen ein. Was ist das für ein Modell? Koexistenz. Er beharrt auf dieser Linie. Während des Treffens hat er immer wieder darauf hingewiesen und gewarnt. Allgemein ausgedrückt, ist er an einem Punkt angelangt, an dem es heißt: ,Entweder meine Lösung oder die Lösung der USA'. Herr Öcalan steht immer noch da, wo er 1993 stand. Er ergänzt seine frühere Kritik und Selbstkritik.“
Drittes Treffen erwartet
Laut dem DEM-Vertreter ist davon auszugehen, dass ein drittes Treffen der Delegation mit Abdullah Öcalan stattfinden wird. Er sagte gegenüber MA: „Die Regierung erklärt, dass einige Schritte unternommen werden können, um das Problem von der Tagesordnung zu streichen und ihm den Nährboden für Konflikte und Gewalt zu entziehen, aber es gibt keine konkrete Initiative. Wir dürfen den Zeitpunkt nicht verpassen, um das Problem mit demokratischen Mitteln und Methoden zu lösen.“
Weitere Gespräche und konkrete Schritte
Die DEM-Partei ist demnach der Ansicht, dass einige der jüngsten Äußerungen des AKP-Vorsitzenden und Staatspräsidenten Tayyip Erdoğan eher dem Geist des Prozesses entsprechen und konkrete positive Schritte erfolgen müssten. Es wurde festgestellt, dass es die Möglichkeit einer zweiten Gesprächsrunde der Imrali-Delegation mit Parteivorsitzenden im Parlament gibt. Parallel dazu sollen Gespräche mit Mitgliedern des Bündnisses für Arbeit und Freiheit und anderen demokratischen Massenorganisationen stattfinden. Der DEM-Vertreter erklärte, dass seine Partei in Übereinstimmung mit dem von Abdullah Öcalan vorgelegten Willen handeln und sich für einen gesellschaftlichen Konsens einsetzen werde: „Wir werden wie immer unseren Teil beitragen.“