Zehnter Jahrestag von Kobanê-Befreiung
Zehn Jahre ist es her, als die Bevölkerung von Kobanê die Terroristen des sogenannten „Islamischen Staats“ (IS) besiegte. Die internationale Staatengemeinschaft atmete auf und zollte den Kämpfer:innen der YPG und YPJ kurz Beifall. Danach verschwand das Interesse, und in Rojava begann der Aufbau einer neuen Gesellschaft. Selbstverwaltet und nach den Prinzipien des Demokratischen Konföderalismus organisierte sich die Bevölkerung: multi-ethnisch, mit garantierten Frauenrechten und einer ökologischer und nach den Bedürfnissen der Menschen ausgerichteten Wirtschaft. Eine Enklave des solidarischen Zusammenlebens und stets bereit, die unter großen Opfern erreichten Errungenschaften zu verteidigen. Weit über die Region hinaus gilt „Rojava“ seither als Sinnbild für ein friedliches, selbstbestimmtes Zusammenleben als Alternative zur Kapitalistischen Moderne.
Banner-Drop an der Kirche Santa Maria Zobenigo in der Altstadt von Venedig. Auf dem Transparent war die Aufschrift „La difesa di Kobanê è la difesa della rivoluzione del Rojava“ („Die Verteidigung von Kobanê ist die Verteidigung der Revolution von Rojava“) zu lesen.
Die allermeisten Staaten beäugten das Experiment der Demokratischen Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien (DAANES) kritisch. Der türkische Staat beließ es nicht dabei. Seit zehn Jahren greift er die Selbstverwaltung an. Drohnenterror, Attentate, Zerstörung ziviler Infrastruktur, Annexion wichtiger Regionen und Einschleusung dschihadistischer Söldner, die in seinem Auftrag Terror verbreiteten, den Menschen die Luft zum Atmen nahmen und viele schließlich vertrieben.
In Berlin gab es eine kämpferische Kundgebung mit anschließender Demonstration, die organisiert wurde von Frauenrat Dest-Dan, Kurdisches Frauenbüro für Frieden (Cenî e.V.), KJAR, Women Defend Rojava, Gemeinsam Kämpfen, TekoJIN und JXK.
Das Machtvakuum nach dem Sturz des Assad-Regimes bot in den Augen des türkischen Regimes eine günstige Gelegenheit, den verhassten Nachbarn an der Südostgrenze den Todesstoß zu versetzen. Das Ziel war die endgültige Vernichtung von Rojava. Da alle vorherigen Verstöße gegen das Völkerrecht ungesühnt blieben, wähnte sich Ankara sicher vor Sanktionen. Und so begann der türkische Staat mit der Ausstattung einer sogenannten „Syrischen Nationalarmee“ (SNA). Diese Allianz verschiedener Dschihadistenverbände sollen als Proxytruppe die Drecksarbeit am Boden erledigen. Ausgerüstet von der Türkei wurden sie gegen die kurdische Selbstverwaltung ins Feld geschickt.
In der Nürnberger Innenstadt fand eine Kundgebung mit vielen Reden statt. Etliche Passant:innen verweilten, nahmen Flugschriften mit und informierten sich. Immer wieder war zu erkennen, dass das Erdogan-Regime in der deutschen Bevölkerung keine Freunde hat. Begleitet wurden die Reden von Parolen wie „Bijî berxwedana Rojava“ („Es lebe der Widerstand von Rojava“). Die Teilnehmer:innen ließen die Kampfverbände Rojavas YPG und YPJ hochleben und beim gemeinsamen Tanz gegen Ende der Kundgebung vergaß man auch nicht die Guerilla, die in den Bergen Kurdistans mutig und fest entschlossen für Freiheit und Selbstbestimmung kämpft: „Bijî Berxwedana Gerîla“.
Im Mittelpunkt der Kämpfe steht derzeit der strategisch wichtige Tişrîn-Staudamm, eine wichtige Wasser- und Energiequelle. Infolge heftiger Bombardierung der Anlage entstanden bereits Mitte Dezember große Schäden. Seitdem sind über 400.000 Menschen ohne Strom und Wasser. Sollte der Damm vollends zerstört werden, hätte dies verheerende Überschwemmungen in der gesamten Euphrat-Region zur Folge. Das menschenverachtende Kalkül ist, das Land unbewohnbar zu machen und Kobanê in die Knie zu zwingen.
In Heilbronn fand eine Kundgebung auf dem Kiliansplatz statt, zu der das örtliche Gesellschaftszentrum der kurdischen Community eingeladen hatte. An der Zusammenkunft beteiligte sich auch die Eltern von Lea Bunse und ihre Schwester. Die Klimaaktivistin aus Eberstadt im Landkreis Heilbronn, die seit einigen Jahren im Frauendorf Jinwar in Nordostsyrien lebt, war am vergangenen Dienstag bei einem türkischen Drohnenangriff auf die Tişrîn-Wache verletzt worden.
Um den Tişrîn-Damm zu schützen haben sich viele Einwohner:innen der DAANES, aber auch Internationalist:innen auf den Weg gemacht. Sie wollen mit einer Friedenswache menschliche Schutzschilde sein für das Land und die Natur. Seit Wochen werden sie von der türkischen Luftwaffe bombardiert und von den Söldnermilizen angegriffen. Bisher sind 21 Tote zu beklagen, mehr als 200 wurden zum Teil schwer verletzt, darunter auch zwei Deutsche.
In Frankfurt am Main organisierten der kurdische Volksrat, die Hessen-Sektion der Frauenbewegung TJK-E, der alevitische Dachverband FEDA und weitere Gruppen eine Demonstration. Der kurdische Exilpolitiker Demir Çelik berichtete von Exekutionen und Massenfestnahmen von Angehörigen nichtmuslimischer bzw. nichtsunnitischer Religionsgemeinschaften in Syrien durch die Islamistenmiliz HTS, die seit Dezember das Land regiert.
Um auch in Europa zu signalisieren, dass Rojava nicht alleine ist, haben sich am Sonnabend in verschiedenen Ländern Menschen auf der Straße versammelt. Sie drücken damit ihre Verbundenheit mit der Selbstverwaltung Nord- und Ostsyriens aus. Vor allem aber fordern sie ein Ende der Angriffe, die Schließung des Luftraums für die türkischen Kampfbomber, den Schutz der Zivilbevölkerung und der Infrastruktur, humanitäre Hilfe, eine Untersuchung und Verfolgung der türkischen Kriegsverbrechen durch internationale Gerichte, den Stopp von deutschen Waffenexporten an die Türkei sowie endlich die internationale Anerkennung der DAANES.
In Österreichs Hauptstadt Wien kamen hunderte Menschen zu einer lauten und kämpferischen Demonstration zusammen. Zum Auftakt sprach die Aktivistin Nurcan Güleryüz im Namen des Frauenrats Amara zu den Beteiligten. Sie würdigte den Widerstand der YPG und YPJ in Kobanê, der ein „Kampf für die Menschlichkeit“ gewesen sei, und klärte die Öffentlichkeit über die derzeitige Lage in Nord- und Ostsyrien auf.
Schon in eigenem europäischem Interesse sollte alles dafür getan werden, um Rojava jetzt zu unterstützen, da dort mehrere Lager mit Tausenden von IS-Gefangenen von kurdischen Kräften bewacht werden. Sollte der Krieg eskalieren, wäre die Sicherung dieser IS-Gefängnisse gefährdet.
Weitere Aktionen fanden statt in:
Bremen
Oslo
Saarbrücken
Straßburg
Mailand
Vorarlberg
Paris