Chemiewaffen: Beweise zu sammeln, ist Aufgabe der OPCW

Nilüfer Koç (KNK) fordert die OPCW und die Vereinten Nationen zur Untersuchung der türkischen Chemiewaffeneinsätze auf und sagt: „Sie wollen, dass wir in die Konfliktzone gehen und Beweise sammeln. Warum wurde denn die OPCW gegründet?“

Die am 23. April 2021 begonnenen Invasionsangriffe auf die Medya-Verteidigungsgebiete Metîna, Zap und Avaşîn in Südkurdistan dauern an. Bei den mit der Unterstützung der südkurdischen PDK durchgeführten Angriffen wurden von der türkischen Armee immer wieder Chemiewaffen eingesetzt. Die Europäische Union (EU), die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) und die Vereinten Nationen (UN), wie auch die Regierungen des Irak und von Südkurdistan schweigen bisher zu den Chemiewaffeneinsätzen. Weltweit fanden immer wieder Proteste von Kurd:innen und solidarischen Aktivist:innen statt, um das Schweigen zu brechen.

Diplomatie geht weiter

In Reaktion auf die Chemiewaffenangriffe setzte auch der Nationalkongress Kurdistan (KNK) einen Notaktionsplan um. Der KNK hat diplomatische Initiativen bei den europäischen Staaten, den Vereinten Nationen, internationalen Institutionen und insbesondere den OPCW gestartet, um den Einsatz chemischer Waffen durch den türkischen Staat aufzudecken.

Kontakt mit 41 OPCW-Staaten aufgenommen

Nilufer Koç, Mitglied des KNK-Exekutivrats, erklärte gegenüber Özgür Politika, der KNK habe mit den Botschaften von 41 Staaten Kontakt aufgenommen, insbesondere mit den ständigen Mitgliedern des OPCW-Rates. Koç fordert, dass die OPCW so schnell wie möglich eine Untersuchungsdelegation in die Region entsendet. Über die diplomatischen Bemühungen berichtet sie, dass einige Botschafter auf ihre Kontakte reagiert und dem KNK mitgeteilt hätten, entsprechende Anfragen an den türkischen Staat gestellt zu haben.

Nilüfer Koç, Mitglied des KNK-Exekutivrats | Foto: ANF

Auf die Tagesordnung der EU gebracht

Laut Koç seien Schreiben an die Regierungen mehrerer EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Italien, die Schweiz, Frankreich, Schweden und Dänemark, gesandt worden. Regierungsbeamte beantworteten jedoch die Schreiben mit der Forderung nach der Vorlage von Beweisen. Einige Abgeordnete brachten Fragen zu den Chemiewaffeneinsätzen im britischen, deutschen und italienischen Parlament ein.

Briefe an zivilgesellschaftliche Organisationen

Auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen erhielten Schreiben vom KNK. Die Organisationen wurden aufgefordert, bei der OPCW und den Vereinten Nationen Initiative zu ergreifen. Mehr als 60 zivilgesellschaftliche Organisationen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens starteten daraufhin in Großbritannien eine Initiative. Koç berichtet, die Initiative stehe im Kontakt mit dem KNK und setze ihre Arbeit fort.

Dossier an die Vereinten Nationen

Koç weist daraufhin, dass der KNK außerdem ein Dossier an das Menschenrechtskommissariat der Vereinten Nationen geschickt habe. „Wir haben die UN dringend gebeten, das Thema auf ihre Tagesordnung zu setzen. Wir kritisierten auch das Versäumnis der Vereinten Nationen und der OPCW, die Initiative in Bezug auf die Vorwürfe zu starten. Denn die OPCW ist eine gegenüber den Vereinten Nationen verantwortliche Organisation.“

Wer muss Beweise sammeln?

Auch die OPCW und die EU-Staaten hätten auf die Scheiben des KNK reagiert, indem sie erklärten, die kurdische Seite müsse Beweise vorbringen. Koç weist demgegenüber darauf hin, dass weder die Bedingungen, die notwendigen Beweise zu sammeln, noch diese zu analysieren, für eine zivilgesellschaftliche Organisation bestehen und kritisiert: „Wir werden ständig nach Beweisen gefragt, obwohl bekannt ist, wie schwierig es ist, diese zu beschaffen. Das ist einfach nur ironisch.

Warum wurde die OPCW gegründet? Von dem Moment an, an dem Berichte über den Einsatz chemischer Waffen vorliegen, hat die OPCW die Befugnis, die relevanten Mechanismen zu aktivieren. Als solche Anschuldigungen in Syrien existierten, war es so, als ob nicht nur die OPCW, sondern auch die westlichen OPCW-Mitgliedsstaaten darum konkurrierten, Delegationen in die betreffenden Regionen zu entsenden. Sie fertigten unzählige Berichte an. Wenn es aber um Kurden geht, spielen sie die drei Affen.“

Dossier räumt Vorbedingungen der OPCW aus

Koç erinnert daran, dass das PKK-Exekutivratsmitglied Murat Karayılan in seiner Erklärung vom 27. November die fünf von der Türkei eingesetzten Typen chemischer Kampfstoffe bekanntgab und sagt: „Das macht es für uns ein bisschen einfacher. Denn die Informationen waren sehr konkret. Wir haben umfassendere Dateien mit diesen Informationen erstellt.“ Diese Dossiers würden die als „Vorwände“ von der OPCW vorgebrachten Bedingungen ausräumen.

Unabhängige Delegationen sind bereit, in die Region zu reisen“

Zudem berichtet Koç, es sei sehr schwierig, eine Delegation in ein Kampfgebiet zu entsenden, in dem es keine Sicherheit gebe. Vor allem, da keine politischen Zusicherungen vorlägen. „Trotzdem sind viele Toxikolog:innen und Politiker:innen bereit, nach Südkurdistan zu reisen, um die chemischen Angriffe vor Ort zu untersuchen. Dafür müssen die Regierung von Südkurdistan bzw. die irakische Regierung und die UN-Hilfsmission im Irak (UNAMI) im Süden Verantwortung übernehmen.“

Das Schweigen ist politisch motiviert“

Koç betont, das Schweigen und die Ignoranz der internationalen Staatengemeinschaft sei politisch motiviert. Die KNK-Politikerin schließt mit den Worten: „Wir haben die Kraft, dieses Schweigen und dieses Spiel zu stören. Wir müssen unsere Arbeit gegen den Einsatz chemischer Waffen ohne Unterbrechung fortsetzen, sonst kann der türkische Staat jederzeit und überall mit solchen Waffen angreifen.“