Berufungsverhandlung über Auslieferung von Kenan Ayaz
Auf Zypern wurde das Berufungsverfahren gegen die Auslieferung des kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz an Deutschland fortgesetzt.
Auf Zypern wurde das Berufungsverfahren gegen die Auslieferung des kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz an Deutschland fortgesetzt.
Vor dem Supreme Court in Nikosia, das oberste Gericht in Zypern, wurde am Dienstag die Berufungsverhandlung gegen die Auslieferung des kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz an Deutschland fortgesetzt. Ein Richter am Bezirksgericht von Larnaka hatte im April die Auslieferung des 49-Jährigen angeordnet. Ayaz‘ Anwalt Efstathios K. Efstathiou legte dagegen Berufung ein und machte unter anderem eine drohende Weiterschiebung an die Türkei geltend, da Ankara ebenfalls seine Auslieferung fordert. Die deutsche Justiz will Ayaz wegen „Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung“ – gemeint ist die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) – vor Gericht stellen. Er soll unter anderem Veranstaltungen und Demonstrationen organisiert haben. Eine individuelle Straftat wird ihm offenbar nicht vorgeworfen.
Solidarische Prozessbegleitung
Die Verhandlung wurde von zahlreichen Menschen solidarisch begleitet. Vor dem Gerichtsgebäude fanden sich neben Angehörigen der kurdischen Exil-Community auch zypriotische Abgeordnete und Mitglieder politischer Parteien, zivilgesellschaftlicher Organisationen und anarchistischer Gruppen ein, darunter AKEL, DIKO und die Ökologenbewegung–Bürgerkooperation (KOSK). Viele Menschen trugen Plakate mit dem Konterfei von Ayaz, auf einem Transparent war die Aufschrift „Freiheit für Kenan Ayaz“ und „Zypern - Stopp die Auslieferung!“ zu lesen. Nach der Anhörung äußerte sich Rechtsanwalt Efstathiou gegenüber ANF zu der Eingabe, die er dem Gericht vorlegte.
Vorwurf: Erstinstanz stimmte deutscher Argumentation unkritisch zu
Der Jurist bezeichnete den von den deutschen Behörden angestrengten Rechtsfall um die Auslieferung von Ayaz als fehlerhaft. Ayaz habe aufgrund ähnlich lautender Anschuldigungen bereits mehrere Jahre im türkischen Gefängnis verbringen müssen und unter anderem aus diesem Grund von Zypern politisches Asyl erhalten, so Efstathiou. Mit Blick darauf sei besonders bedenklich, dass das erstinstanzliche Bezirksgericht in Larnaka der deutschen Argumentation unkritisch zugestimmt habe, obwohl die türkische Regierung ihn für weitere Jahre im Gefängnis sehen will und die in der Bundesrepublik gegen den Aktivisten erhobenen Vorwürfe in Zypern nicht als terroristische Straftaten angesehen würden. „Das Gericht hat nicht entlastend gearbeitet, einseitig argumentiert und offenbar bereits ein fertiges und politisch motiviertes Bild im Kopf. Darüber hinaus hat das Gericht es versäumt, die deutsche Einordnung der PKK als ‚terroristisch‘ infrage zu stellen. Es handelt sich um eine Partei in einem bewaffneten Konflikt, die von Zypern nicht als ‚Terrororganisation‘ eingestuft wurde“, sagte Efstathiou.
Zypern stuft PKK nicht selbst als Terrororganisation ein, sondern über EU-Mitgliedschaft
Die PKK ist in Deutschland seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt und wird seit 2002 auf Wunsch der türkischen Regierung in der vom Rat der Europäischen Union regelmäßig aktualisierten Terrorliste geführt. Als wesentliche Begründung wurden Gewalttaten der PKK in der Türkei und im Ausland genannt. Die meisten EU-Mitglieder, darunter Zypern, stufen die PKK nicht selbst als Terrororganisation ein, sondern über ihre EU-Mitgliedschaft.
Anwalt: Dem Verfahren fehlt eine juristische Grundlage
„Im Hinblick auf die Verneinung durch die Staatsanwaltschaft auf die Frage, ob eine Weiterschiebung bzw. Auslieferung von Kenan Ayaz aus Deutschland in die Türkei vollkommen ausgeschlossen werden könne, reagierten die Richter verärgert“, führte Rechtsanwalt Efstathiou weiter aus. „Und wenn selbst der Staatsanwalt angibt, die PKK werde von Zypern selbst nicht als ‚terroristische Vereinigung‘ eingestuft, erübrigt sich der Prozess, da ihm die juristische Grundlage fehlt. Es ist offensichtlich, dass die Inhaftierung meines Mandanten rechtswidrig ist.“ Das Widerspruchsverfahren gegen die Auslieferung von Ayaz an Deutschland sollte ursprünglich am 16. Mai entschieden werden. Laut Efstathiou sei es gut möglich, dass der Fall bereits früher entschieden wird.
Hungerstreik gegen Inhaftierung und drohende Auslieferung
Kenan Ayaz ist langjähriger Aktivist der kurdischen Bewegung und war in der Türkei aufgrund seiner politischen Identität insgesamt für zwölf Jahre im Gefängnis – zuletzt im Zusammenhang mit einem der sogenannten KCK-Verfahren. Seit 2013 lebt er im griechischen Teil von Zypern und ist anerkannter Flüchtling. Am 15. März wurde er am Flughafen von Larnaka festgenommen, als er zu einem Familienbesuch nach Schweden reisen wollte. Seitdem befindet er sich in zypriotischer Haft. Aus Protest gegen seine Inhaftierung und drohende Auslieferung nach Deutschland ist Ayaz seit rund einer Woche in einem Hungerstreik.
Über das KCK-Verfahren
Die „KCK-Operation“ genannte Verhaftungswelle begann nur einen Tag, nachdem die KCK (Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans), der Dachverband der kurdischen Befreiungsbewegung, am 13. April 2009 ihre Waffenruhe bis zum 1. Juli verlängert und in einer entsprechenden Deklaration davon gesprochen hatte, dass „zum ersten Mal die Möglichkeit besteht, die kurdische Frage in einem Umfeld der Waffenruhe zu lösen“. Zwei Wochen zuvor hatten in der Türkei Kommunalwahlen stattgefunden, die pro-kurdische Partei DTP konnte die Zahl ihrer Bürgermeisterinnen und Bürgermeister beinahe verdoppeln. Noch im selben Jahr wurde die DTP wegen Terrorvorwürfen durch Entscheid des Verfassungsgerichts verboten.
Schlag gegen legale kurdische Politik
Die KCK-Operation, die mit der Verhaftung von kurdischen Politiker:innen und Vertreter:innen von NGOs begann, ergriff wellenförmig alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und betraf auch Bürgermeister:innen, Gewerkschafter:innen, Journalist:innen, Menschenrechtler:innen und Rechtsanwält:innen. Am Ende der Operation im Jahre 2011 waren etwa 10.000 Menschen unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in der KCK verhaftet worden, hunderte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.