Beauthier: Türkische Drohnenangriffe international diskutieren

Immer wieder greift die Türkei sowohl in Syrien wie auch im Irak mit Drohnen an. Eine vergleichbare Situation von Drohnenanschlägen auf das Territorium anderer Staaten sei den UN laut belgischem Anwalt Beauthier unbekannt. Das müsse diskutiert werden.

Verschwiegene Tötungen

Sowohl im Norden des Irak, in Şengal wie auch im Norden und Osten Syriens attackieren türkische Kampfdrohnen immer wieder öffentliche Einrichtungen, zivile Infrastruktur sowie Zivilbevölkerung und deren Eigentum. Laut dem belgischen Anwalt Georges-Henri Beauthier sei den Vereinten Nationen eine vergleichbare Situation wie die der türkischen Drohnenanschläge auf das Territorium eines anderen Staates, unbekannt. Er äußerte sich gegenüber ANF wie folgt: „Die Nutzung der Drohnen sollten auf internationaler Ebene diskutiert werden.“

„Wir sprechen von einer Notsituation“

Der Anwalt kritisierte, dass die Vereinten Nationen bei türkischen Drohnenangriffen auf das Gebiet eines anderen Landes ein Auge zudrückten. Bezüglich der Anwendbarkeit des Völkerrechts auf den Irak bemängelte Beauthier das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), wonach der innerstaatliche Rechtsweg im Irak ausgeschöpft sein muss: „Dieser Prozess dauert Jahre, obwohl wir hier von einer Notsituation sprechen.“


Drohnenterror

Die Angriffe des türkischen Staates auf Nord- und Ostsyrien sowie Südkurdistan gehen weiter. In den letzten sechs Monaten wurden sechs kurdische Journalist:innen von den unbemannten Luftfahrzeugen des türkischen Staates ermordet. Zuletzt wurde der kurdische Journalist Egîd Roj bei einem Angriff am Samstag getötet. Er hatte die Friedenswache an der Tişrîn-Talsperre beobachtet. Bei Angriffen auf die Friedenswache selbst wurden dutzende Zivilist:innen, die den Damm in der Region verteidigen, getötet und verletzt.

„Zivilist:innen werden auf extralegale Weise getötet“

Mit ANF sprach der Rechtsanwalt Georges-Henri Beauthier über die Massaker, die der türkische Staat durch den Einsatz von Drohnen verübt. Beauthier erinnerte sich, wie er nach Şengal (Sindschar) und Mexmûr gereist sei, um Drohnenangriffe auf Südkurdistan zu untersuchen. Er beschreibt seine Beobachtungen und sagte: „Es war kaum zu glauben, dass Zivilist:innen auf diese extralegale Weise getötet würden. Die Situation, die wir dort sahen war sehr schlimm. Selbst Journalist:innen, die Şengal kannten und die dort lebende Verwandte hatten, kannten die Wahrheit darüber, was in ihrem Zuhause geschah, nicht.“

„Ein Kind wurde in der Bibliothek getötet“

Laut Beauthier versuchten die Ezid:innen in der Region sich ein normales Leben aufzubauen. Er habe ein Kulturzentrum in Şengal besucht, das jedoch kurz nach seinem Besuch angegriffen worden sei. Einer der türkischen Luftschläge habe laut Beauthier eine Bibliothek in Şengal getroffen, wobei seinen Angaben zufolge ein Kind getötet wurde.

Totale Ignoranz

Der Anwalt habe nach seiner Rückkehr nach Brüssel eine Pressekonferenz zu diesem Thema abgehalten und sagte: „Aber ich muss zugeben, dass danach nicht weiter geschah. Wir haben danach keine Bitte erhalten, etwas zu tun. Journalist:innen, die in die Region reisen, werden gewaltsam ausgewiesen oder getötet. Ich habe gehört, dass ein belgischer Journalist umgebracht wurde. Fünf oder sechs Journalist:innen, die die Ereignisse im Nordirak in Mexmûr und Şengal untersuchten, wurden getötet; internationale Organisationen haben nicht einmal einen Bericht angefordert, um diese Situation zu dokumentieren.“

„Killerdrohnen müssen auf internationaler Ebene diskutiert werden“

Beauthier erklärte, dass zu Aufklärungszwecken eingesetzte Drohnen zunehmend in tödliche Angriffsdrohnen umgewandelt würden und merkte an, dass das Töten von Zivilist:innen Hunderte von Kilometern von einer Staatsgrenze entfernt im 21. Jahrhundert inakzeptabel sei. Er sagte außerdem, dass er nicht generell gegen Drohnen sei, wenn sie jedoch eingesetzt würden, um Menschen zu töten, anstatt Leben zu retten, müssten die Schuldtragenden dafür zur Verantwortung gezogen werden. Dieses Thema müsste auf internationaler Ebene diskutiert werden.

„Stellen Sie sich vor, Sie werden in Ihrer eigenen Küche getötet“

Die Ereignisse in Şengal, so befürchtet Beauthier, könnten ein Modell für kriegslustige Staaten werden: „Eine Drohne kommt an und tötet Sie, während Sie in Ihrer Küche sind. Gefängnisse, Richter oder Gerichte sind nicht mehr nötig. Sie werden einfach als Ziel identifiziert und getötet.“ Das Problem sei nicht auf türkisches Territorium beschränkt erklärte der Anwalt und verwies auch auf die Existenz von mindestens zehn türkischen Drohnenstützpunkten im Irak.

Unbegründete Terror-Behauptung

In Bezug auf die Behauptung der Türkei, es handele sich um „Terrorismus“, wies Beauthier darauf hin, dass die Ezid:innen niemals einen Terroranschlag verübt hätten, sondern im Gegenteil gegen den selbsternannten Islamischen Staat gekämpft hätten. Die „Terrorismus“-Behauptungen der Türkei seien weit von der Wahrheit entfernt.

„Systematische Vernichtungspolitik der Türkei“

Der türkische Staat verfolge eine systematische Vernichtungspolitik. Den Vereinten Nationen sei eine vergleichbare Situation wie der, dass die Türkei Drohnenangriffe auf dem Territorium eines anderes Staates durchführt, nicht bekannt. Er kritisierte, dass die UN durch ihr Nicht-Handeln der Türkei dieses Vorgehen quasi erlaube

„Die Massaker gegenüber der Welt aufdecken“

Bezüglich der Ermordungen von Medienschaffenden erklärte Beauthier, dass Journalist:innen getötet würden, damit die Realität nicht aufgedeckt werden könne. Der Rechtsanwalt fragt sich: „Wir wollten unsere Ermittlungen fortsetzen, aber diejenigen, die das taten, wurden getötet. Jetzt sitze ich hier mit schlechtem Gewissen und frage mich, was wir tun können. Wie können wir diese Menschen schützen?“ Zwar würde er gerne nach Südkurdistan zurückkehren, dies sei aber aufgrund der Risiken in der Region schwierig. Er fügte hinzu: „Wir können nicht einfach dorthin gehen und sagen: ‚Wir finden diese Situation skandalös‘. Es muss Organisationen geben, die uns beauftragen. Unser vorrangiges Ziel sollte sein, dass diese Organisationen uns dorthin schicken, damit wir diese Massaker gegenüber der Welt aufdecken können.“