Bayern: Verfolgung von YPG/YPJ-Symbolen beendet!
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die strafrechtliche Verfolgung von YPG/YPJ-Symbolen beendet. Das Urteil ist eine Niederlage für den Freistaat und das Bundesinnenministerium.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die strafrechtliche Verfolgung von YPG/YPJ-Symbolen beendet. Das Urteil ist eine Niederlage für den Freistaat und das Bundesinnenministerium.
Das Bayerische Oberste Landesgericht hat heute die Revision der Staatsanwaltschaft gegen einen YPJ-Freispruch des Amtsgerichtes München zurückgewiesen. Damit ist das Zeigen von YPJ/YPG-Fahnen auf Versammlungen und im Internet in Bayern erlaubt. Das Urteil dürfte bundesweite Wirkung haben.
Was war passiert? Bei einer Demonstration gegen den türkischen Angriffskrieg auf Efrîn zeigte Kemal G. eine Fahne der Frauenverteidigungseinheiten YPJ. Er wollte seine Solidarität „mit den Mädchen und Jungs der YPJ/YPG deutlich machen“, wie er heute vor Gericht erneut betonte. Die Staatsanwaltschaft München schickte ihm deshalb wegen Verstoß gegen das Vereinsgesetz §20 einen Strafbefehl in Höhe von 2400€. Er habe, so die Argumentation, ein von der PKK vereinnahmtes Symbol gezeigt. Der Betroffene akzeptierte die Strafe nicht und es kam zu einer Verhandlung, bei der das Amtsgericht den Angeklagten am 13. Juni 2019 freisprach. Es stellte fest, dass die Fahne der YPJ grundsätzlich nicht verboten ist und ein Tragen nicht bestraft werden kann. Daraufhin ging die Staatsanwaltschaft wegen angeblicher Rechtsfehler in der Urteilsbegründung in Revision und damit in die nächste Instanz.
Mathes Breuer und Dirk Asche, die die Verteidigung des Angeklagten übernahmen, machten die Absurdität der Verfolgung deutlich. Sie verwiesen darauf, dass auch eine von einem angeblichen PKK-Sympathisanten getragene Fahne des FC Bayern damit noch lange nicht zu einem von der PKK usurpierten, also vereinnahmten Symbol werde. Eine Verurteilung würde die Meinungsfreiheit massiv einschränken. Breuer verwies auch auf die politische Dimension des Verfahrens hin: Auf der einen Seite die Bundesregierung, die in enger Partnerschaft mit der Erdogan-Diktatur stehe. Auf der anderen Seite die YPJ/YPG, die einen heldenhaften Kampf gegen den IS geleistet haben und auch in der Bundesrepublik als Organisation nicht verboten seien.
Der Einschätzung der Anwälte schloss sich das Landesgericht heute an und verwarf die Revision als unbegründet. Sämtliche Argumentationsketten der Staatsanwaltschaft wurden in der mündlich vorgetragenen Urteilsbegründung zurückgewiesen. Der Freispruch des Angeklagten durch das Amtsgericht sei nicht zu beanstanden, denn es gebe keinerlei Belege dafür, dass die PKK die Symbole der YPJ/YPG tatsächlich usurpiert habe. Im Gegenteil, hoben die Richter hervor, sei die YPJ kein PKK-Ersatz, sondern eine Organisation mit eigener Rechtspersönlichkeit, die nicht verboten sei. Deshalb könne man das Zeigen der Fahnen auch nicht verfolgen. Etwaige Verbindungen zwischen der YPJ und der PKK fallen nicht ins Gewicht und sind für eine Verurteilung nicht relevant, da nichts dafür spreche, dass die PKK die YPJ-Symbole tatsächlich usurpiert habe. Zudem entfalte das interne Informationsschreiben des Bundesinnenministeriums vom 2. März 2017, in dem unter anderem die Symbole der YPG/YPJ der PKK zugeordnet wurden und das die Grundlage der Verfolgung in Bayern und ganz Deutschland darstellt, keine Rechtswirkung, da es eben nur ein Schreiben mit einer Rechtsauffassung des Ministeriums sei. Es könne keine Strafbarkeit begründen. Sprich: es ist eine Rechtsmeinung unter vielen, die gerichtlich nicht geklärt ist und deshalb ohne Konsequenzen bleibt.
Das Gericht fuhr fort, dass vor allem bei Demonstrationen, die auf die Situation in Efrîn oder ganz Rojava fokussieren, ein Bezug zur PKK nicht gegeben sei, denn es gehe um Solidarität mit Nordsyrien. Es sei bekannt, dass die YPJ an der Seite der USA gegen den IS kämpfen. Diese Sachen zu thematisieren, seien keine Propaganda für die PKK, auch wenn politische und persönliche Verflechtungen zwischen der YPJ und der PKK bestünden.
Die Zurückweisung der Revision ist eine politische Niederlage für den Freistaat, der eine massive Verfolgung sämtlicher politischer Aktivitäten von linken Kurdinnen und Kurden betreibt. Die Staatsanwaltschaft München 1 stand dabei immer an vorderster Stelle und zeichnete sich durch einen extremen Verfolgungswillen aus. Wohl auch in der Hoffnung, auf dem Rücken der Kurd*innen und solidarischer Menschen Karriere machen zu können. Doch auch das Bundesinnenministerium wird durch das Urteil in seine Schranken verwiesen, weil klargestellt wurde, dass das Rundschreiben zur Erweiterung der Symbolverfolgung vom März 2017 nur eine Rechtsmeinung unter vielen sei und somit keine Rechtsverbindlichkeit entfalte.
Wenn das Urteil nun ernst genommen wird, müssen tausende Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Menschen, die auf Demonstrationen in Bayern oder auf Facebook Symbole der YPG/YPJ gezeigt hatten, eingestellt werden. Alleine aufgrund von geteilten Facebook-Posts von Kerem Schamberger wurden mehrere hundert Verfahren aufgenommen und Menschen aus verschiedensten Gesellschaftsschichten vor Gericht gestellt, darunter ein Schauspieler, eine Regisseurin und viele politische Aktivist*innen.
Rechtsanwalt Breuer betont, dass dies auch Auswirkungen auf die Rechtsprechung in anderen Bundesländern haben müsste, denn für Gerichte habe der Beschluss des Obersten Landesgerichts Ausstrahlungskraft und Symbolcharakter. Er verweist aber auch darauf, dass unklar sei, welche neue Gemeinheiten sich die Staatsanwaltschaft in Folge ihrer Niederlage ausdenken wird.
Dennoch ist dieses Urteil ein Grund zur Freude. Es beendet eine jahrelange Unsicherheit darüber, welche Symbole auf Demonstrationen zeigbar sind, ohne dafür im Anschluss verfolgt zu werden. Der staatsanwaltschaftliche Verfolgungswahn hatte zu Hausdurchsuchungen, Ingewahrsamnahmen und dutzenden Strafbefehlen geführt.
Kommentar eines Betroffenen: Widerstand heißt Leben!
Ein von dem bayrischen Verfolgungswahn betroffener Aktivist und Mitglied im Münchener Migrationsbeirat, der mit Hausdurchsuchungen schikaniert wurde und einen Strafbefehl über 8000 Euro in mindestens 30 Ermittlungsverfahren wegen Fahnen der YPG und YPJ zahlen sollte, kommentierte das heutige Urteil:
„Es ist eine wichtige Entscheidung, genau so wie es wichtig war darauf zu bestehen, die Symbole der YPG und YPJ in der Öffentlichkeit zu zeigen. Die kurdischen Kämpfer*innen der YPG und YPJ haben nicht für unsere Sicherheit und unseren Schutz gegen die internationale Gefahr des sogenannten IS und die türkische Besatzung in weiteren Teilen Kurdistans gekämpft. Vielmehr haben sie universelle Menschenrechte, demokratische und fortschrittliche Werte und wichtige Errungenschaften aus sozialen und politischen Kämpfen der Vergangenheit verteidigt. Auch dafür stehen die Fahnen der YPG und YPJ.
Die Kriminalisierung von hunderten Menschen in Bayern ist aber leider nur die Spitze des Eisbergs. Die Verfolgung von Menschen, die sich mit dem kurdischen Freiheitskampf solidarisieren, hat hierzulande leider traurige Tradition und wird so schnell nicht aufhören. Die türkisch-deutsche Partnerschaft besteht weiterhin. Deshalb ist es umso wichtiger, weiterhin gut organisiert, reflektiert und widerständig gegen die deutsch-türkische Partnerschaft bei der Verfolgung von Kurdinnen und Kurden zu sein. Solidarität ist unsere Stärke, auch gegen weitere Repressionen: Berxwedan Jiyane - Widerstand heißt Leben."
01/12/2020 16:33 Uhr aktualisiert