Unlängst erschienene Medienberichte zu deutscher Rechtshilfe für die Verfolgungsbehörden in der Türkei im Fall eines Kurden werfen grundsätzliche Fragen nach der Zusammenarbeit deutsch-türkischer Justizbehörden auf, stellt der Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. fest. Ausgangspunkt der Recherchen von Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) und Deutsche Welle (DW) war eine morgendliche Hausdurchsuchung bei dem Hamburger Ali. A. am 21. Januar um kurz nach 6 Uhr. Vorgeworfen wurde ihm von der Hamburger Staatsanwaltschaft, er hätte verbotene Symbole der PKK auf Facebook verbreitet. Konkret ging es um einen Videobeitrag auf der Webseite von ANF, in dem eine kurdische politische Führungsfigur vor dem Hintergrund einer PKK-Fahne spricht.
„Soweit leider trauriger Alltag in Deutschland, dass wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, also das Zeigen von Symbolen angeblich mit der PKK verbundener Organisationen oder selbst das Teilen entsprechender Abbildungen in den sozialen Medien, jährlich hunderte sinnloser Strafverfahren losgetreten werden, die oft auch mit Hausdurchsuchungen bei den Betroffenen verbunden sind“, kritisiert der AZADÎ-Vorsitzende Dr. Elmar Millich. Brisant mache den aktuellen Fall der Hintergrund der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen.
Ausgangspunkt war ein Rechtshilfeersuchen der Türkei, eingereicht bei der Staatsanwaltschaft Mainz. Unterfüttert von einer dicken Anklageschrift wurde Ali A. Propaganda für die „Terrororganisation PKK“ vorgeworfen. Obwohl in den türkischen Akten bereits vermerkt gewesen sei, dass ein bereits vorher gestelltes Rechtshilfeersuchen im Fall von Ali A. von der deutschen Justiz abgelehnt worden war, wurde die Mainzer Staatsanwaltschaft aktiv. Die Ermittlungen ergaben aber bald, dass es sich um eine Personenverwechselung handelte. Die Vorwürfe richteten sich nicht gegen den in Mainz lebenden Ali A., sondern gegen einen Namensvetter in der Nähe von Hamburg. Anstatt den Fall nun ruhen zu lassen, reichte die Mainzer Staatsanwaltschaft die Sache an die in Hamburg zuständigen Kollegen weiter. Dies führte dann zu der Hausdurchsuchung im Januar.
In dem darauffolgenden Ermittlungsverfahren machte sich die Hamburger Staatsanwaltschaft zwar nicht die mutmaßlichen Beweise der türkischen Justiz zu eigen, glaubte aber doch genug Hinweise für ein eigenes Ermittlungsverfahren entdecken zu können: Eben das Posten der beschriebenen Webseite von ANF. Trotzdem enthalte die Ermittlungsakte von Ali A. haufenweise mutmaßliche Beweise der türkischen Staatsanwaltschaft Ankara, unter anderem ein Dutzend Facebook-Posts, seitenlange Berichte des türkischen Geheimdiensts zur PKK oder die Begriffserklärung Terrorpropaganda.
Der Anwalt von Ali A., Mahmut Erdem, kritisierte, dass aus „verfahrensökonomischen Gründen“ die Posts seines Mandanten nicht übersetzt wurden. Dies hätte zu einer schnelleren Klärung der Vorwürfe führen können. Der Jurist betonte, dass ANF in Deutschland nicht verboten ist. Dass die Staatsanwaltschaften einem Rechtshilfeersuchen der Türkei erneut nachgekommen seien, das von der deutschen Justiz bereits abgelehnt wurde, bezeichnete Erdem als skandalös. Darüber hinaus forderte er, dass Rechtshilfeersuchen seitens der Türkei, die sich auf Vorwürfe wie „Terrorpropaganda“ beziehen, grundsätzlich abzulehnen seien, da die Türkei einen anderen Begriff von Terrorismus habe, der prinzipiell jeden Oppositionellen treffen könne.
Bundesregierung: 416 Ersuchen in 2021
Laut Auskunft des linken Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko nehmen die Rechtshilfeersuchen seitens der Türkei zu. Eine Auskunft des Bundesministeriums für Justiz auf eine Kleine Anfrage von Hunos Fraktion nannte im Jahr 2019 270, 2020 303 und 2021 416 solcher Ersuchen seitens der Türkei.
Keine Kosteneinsparung bei kurdischer Symbolik
„Fazit des Ganzen: Politik und die juristischen Standesorganisationen werden nicht müde, bei jeder Gelegenheit die Überlastung der Justiz zu beklagen. Aber wenn es darum geht, lapidare Vergehen wie das Zeigen von Symbolen kurdischer Organisationen zu verfolgen, werden weder Kosten noch Mühe noch die Zusammenarbeit mit der autoritären türkischen Regierung gescheut“, so Millich.