Sechseinhalb Jahre nach den Protesten gegen die türkische Unterstützung beim IS-Überfall auf Kobanê in Rojava sind im westtürkischen Aydın mehrere Mitglieder der kurdischen Partei DBP (Partei der demokratischen Regionen) unter Terrorvorwürfen zu mehrjährigen Gefängnisstrafen verurteilt worden. Angeklagt waren Şefik Şengel, Osman Yılmaz, Irfan Soncul, Çetin Turğut, Sinan Bayrak, Fesih Güngör, Sedat Ivdil, Şükrü Turğut, Cengiz Ivdil, Cevher Üçar, Kibar Boza, Ilhan Kaplan, Barış Onat, Cihan Acet, Cihan Çoban und Hamdullah Uzun, die beschuldigt wurden, sich an den Protesten im September 2014 beteiligt zu haben. Die 2. Schwurgerichtskammer Aydın sah es am Freitag als erwiesen an, dass sie „im Namen einer Terrororganisation“ Aktivitäten ausgeführt hätten und verurteilte die DBP-Mitglieder zu Haftstrafen in Höhe von jeweils drei Jahren, einem Monat und 15 Tagen. Weitere Freiheitsstrafen gab es wegen den Vorwürfen;
-Widerstand gegen die Staatsgewalt: fünf Monate (für Şefik Şengel und Sedat Ivdil)
-Steinwürfe: 18 Monate und 22 Tage (für Fesih Güngör, Cengiz İIdil, Irfan Soncul, Şükrü Turğut)
-Verstoß gegen Demonstrationsgesetz: fünf Monate (für Şefik Şengel, Çetin Turğut, Sinan Bayrak, Sedat Ivdil, Cevher Üçar, Kibar Boza, Osman Yılmaz, Irfan Soncul, Fesih Güngör, Şükrü Turgut, Cengiz İvdil)
-Terrorpropaganda: drei Jahre und vier Monate (für Kibar Boza).
Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Der Rechtsbeistand der Betroffenen hat bereits angekündigt, vor ein regionales Berufungsgericht zu ziehen.
Hintergrund der Kobanê-Proteste
Am Abend des 6. Oktober 2014 war es der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach 21 Tagen Widerstand der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung von Kobanê gelungen, ins Zentrum der westkurdischen Stadt einzudringen. Angesichts der kritischen Situation rief die HDP die Öffentlichkeit zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung auf, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften sowie paramilitärischen Verbänden wie Dorfschützern und Anhängern der radikalislamistischen türkisch-kurdischen Hisbollah (Hizbullah) und den Demonstranten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 (IHD) und 53. Die Regierung spricht lediglich von 37 Toten. Laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD wurden 682 Menschen bei den Protesten verletzt. Mindestens 323 Personen wurden verhaftet. Im Verlauf des Aufstands kam es zudem zu Brandanschlägen auf Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen.
Prozess gegen 108 Angeklagte am 25. April
Die türkische Regierung macht die HDP für die Vorfälle verantwortlich. Im sogenannten „Kobanê-Verfahren” sind 108 Personen angeklagt, darunter etliche Politikerinnen und Politiker der HDP, Intellektuelle sowie einige Mitglieder des Führungsgremiums der KCK. Ihnen wird „Zerstörung der Einheit des Staates und der Gesamtheit des Landes“, Mord und versuchter Mord vorgeworfen. Der Prozesstermin im Kobanê-Verfahren ist für den 25. April angesetzt worden, einem Sonntag.