Als Kobanê im Oktober 2014 gegen den „Islamischen Staat“ verteidigt wurde, verkündete der damalige Ministerpräsident und heutige Staatschef Recep Tayyip Erdogan: „Bitteschön, Ain al-Arab [Kobanê] ist gefallen oder wird fallen.“ Nach diesem Ausspruch kam es zu heftigen Protesten in Dutzenden Städten in der Türkei.
Bei dem damaligen Aufstand vom 6. bis 8. Oktober kamen allein in Dîlok (tr. Gaziantep) fünf Menschen ums Leben, 42 Personen wurden verletzt. In diesem Zusammenhang wurden zehn Personen angeklagt. Vor der zweiten Strafkammer des Schwurgerichts Gaziantep wurde heute das Urteil gesprochen. Sieben Angeklagte wurden wegen „Zerstörung der staatlichen Einheit und der Gesamtheit des Landes“ zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.
Niemand der Angeklagten befand sich während des Prozesses in Untersuchungshaft. An der Urteilsverkündung nahm lediglich Ayhan Işık teil. Sein Rechtsbeistand forderte wie die Verteidiger*innen der anderen Angeklagten einen Freispruch.
Bei den Verurteilten handelt es sich um Ayhan, İmam, İbrahim, Mehmet und Muhittin Işık sowie um Mehmet Caymaz und İzzet Nas. Gegen sie wurde Haftbefehl erlassen. Der Haftbefehl gegen Ayhan Işık wurde umgehend vollstreckt. Die weiteren drei Angeklagten N.Ü, A.I. und A.K. wurden freigesprochen.
„Kobanê-Verfahren“ in Ankara
Am vergangenen Donnerstag hat ein Gericht in Ankara die Anklageschrift in dem international kritisierten Kobanê-Verfahren gegen die damalige HDP-Führungsriege angenommen. Insgesamt 108 Politikerinnen und Politiker werden darin terroristischer Straftaten beschuldigt, darunter Yüksekdağ und Demirtaş, die wie 25 weitere Betroffene in Haft sind. Sechs Beschuldigte aus dem Verfahren sind unter Führungsaufsicht, nach 75 weiteren wird gefahndet. Auch mehrere Mitglieder des Exekutivkomitees der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in Südkurdistan, darunter Murat Karayılan, Duran Kalkan und Cemil Bayık, sind angeklagt. Sie alle werden der „Zerstörung der Einheit des Staates und der Gesamtheit des Landes“ beschuldigt, außerdem werden ihnen 37-facher Mord und Dutzende Mordversuche im Zusammenhang mit den Protesten vor mehr als sechs Jahren vorgeworfen.
Hintergrund der Kobanê-Proteste
Am Abend des 6. Oktober 2014 war es der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) nach 21 Tagen Widerstand der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ sowie der Bevölkerung von Kobanê gelungen, ins Zentrum der westkurdischen Stadt einzudringen. Angesichts der kritischen Situation rief die HDP die Öffentlichkeit zu einem unbefristeten Protest gegen die türkische Regierung auf, da diese ihre Unterstützung für den IS nicht beendete. Im Zuge dessen kam es in vielen Städten zu regelrechten Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften sowie paramilitärischen Verbänden wie Dorfschützern und Anhängern der radikalislamistischen türkisch-kurdischen Hisbollah (Hizbullah) und den Demonstranten. Die Zahl der dabei getöteten Personen, bei denen es sich größtenteils um Teilnehmende des Aufstands handelte, schwankt zwischen 46 (IHD) und 53. Die Regierung spricht lediglich von 37 Toten. Laut einem Bericht des Menschenrechtsvereins IHD wurden 682 Menschen bei den Protesten verletzt. Mindestens 323 Personen wurden verhaftet. Im Verlauf des Aufstands kam es zudem zu Brandanschlägen auf Geschäfte sowie öffentliche Einrichtungen. Die türkische Regierung macht die HDP für die Vorfälle verantwortlich.