Emir Karakum ist im Dezember 2021 bei einer Hausdurchsuchung in Samsun in der türkischen Schwarzmeerregion festgenommen worden und wurde in Haft schwer gefoltert. Verhaftet wurde er wegen angeblicher „Mitgliedschaft in einer Terrororganisation“. Einzige „Beweise“ waren seine Teilnahme an Kundgebungen für kranke Gefangene und Gefangenenbesuche. Nach zehn Monaten wurde er entlassen. Jetzt ist er angeklagt, weil er sich den Übergriffen in der Haft widersetzte. Er berichtete über die Repression gegen ihn im ANF-Gespräch.
Zellenrazzien und Folter
Nach seiner Verhaftung kam er zunächst ins T-Typ-Gefängnis Samsun. Dort begannen die Übergriffe. Immer wieder stürmten Gefängniswärter seine Zelle und misshandelten ihn körperlich und verbal. Karakum erinnerte sich: „In den ersten zwölf Tagen meines 25-tägigen Aufenthalts dort unternahmen sie wegen der Pandemie nichts, aber dann, als ich in die Zelle gebracht wurde, wurde diese fünf Tage in Folge durchsucht, und ich wurde systematisch gefoltert. Ich wurde von den Wärtern verprügelt, mein Kopf wurde wiederholt gegen die Wand geschlagen. Darüber hinaus zensierte die Gefängnisverwaltung die Briefe, die ich schrieb, um meine Familie und meine Anwälte über die Folterungen zu informieren.“
Am 31. Dezember 2021 wurde Karakum aus Samsun ins T-Typ-Gefängnis Bafra verlegt. Dort gingen die Übergriffe weiter. Karakum konnte den Übergriffen erst mit einem Hungerstreik und seiner darauffolgenden Entlassung Einhalt gebieten.
Zum Singen der Nationalhymne gezwungen
Karakum erzählte über seine Zeit in Bafra: „Die Folter im Bafra-Gefängnis begann sofort, mit dem ersten Moment. Als ich das Gefängnis betrat, wurde ich in einem drei Meter großen, kastenförmigen Raum einer Leibesvisitation unterzogen. Als ich dann auf die Registrierung warten musste, versuchte man mich zu zwingen, stramm zu stehen und die türkische Nationalhymne zu singen. Als ich mich dagegen wehrte, wurde ich von den Wachen angegriffen. Nach einer Weile ließen sie dann von mir ab, weil ich mit Parolen protestierte und mich weigerte, die Hymne zu singen. Als ich dann, bevor ich auf meine Zelle kam, auf die Krankenstation gebracht wurde, wies ich auf meine Verletzungen durch die Schläge hin. Das medizinische Personal ignorierte die Folterspuren. Am gleichen Tag wurde ich auf dem Flur misshandelt. Als ich erneut zur Krankenstation ging, nahm der zuständige Anstaltsarzt Ferdi Arar die Verletzungen ebenfalls nicht ernst. Mit mir befanden sich 30 Wärter im Untersuchungsraum. Ich erklärte, ich wünsche, dass die folternden Wächter hinausgehen sollten und ich in einem abgeschlossenen Bereich vom Arzt untersucht werden wolle. Der Arzt behauptete, er höre so etwas zum ersten Mal in seinem Leben, und ignorierte meine Forderung. Anschließend wurde ich zehn Minuten lang von Dutzenden Gefängniswärtern, die beim Anstaltsarzt Ferdi Arar waren, misshandelt. Sie traten mit ihren Stiefeln auf mich ein, ich erhielt unzählige Schläge ins Gesicht und wurde halb bewusstlos aus der Krankenstation gebracht. Dies belegen Aufnahmen der Gefängniskamera, die an die Presse weitergegeben wurden.“
Verurteilte Gefangene wurden ebenfalls gefoltert
Die Folter betraf offenbar nicht nur Untersuchungsgefangene, sondern auch bereits verurteilte Strafgefangene. Karakum gab an, dass er am 6. April Zeuge wurde, wie ein behinderter und kranker Gefangener namens Batuhan Satık in seiner Zelle von Wärtern gefoltert wurde, und dass er selbst unter Druck gesetzt wurde, weil er dagegen protestierte.
Karakum berichtete von einem weiteren Übergriff am 25. April 2022, bei dem er von den Wärtern zunächst beim Hofgang beleidigt und vor laufenden Kameras verprügelt wurde. Ein weiteres Mal habe er versucht, die Krankenstation aufzusuchen. Der Arzt habe sich aber nicht für seine Verletzungen interessiert. Als Karakum dagegen protestierte, sei er vor den Augen des Arztes schwer misshandelt worden.
Türkische Justiz ignoriert Folter
Karakum erklärte, dass er, seine Anwälte und seine Familie Strafanzeige gegen die Folter erstattet haben und die Staatsanwaltschaft nicht einmal seine Aussage aufgenommen habe. Er berichtete: „Unsere Strafanzeigen wurden ignoriert, ich durfte den Staatsanwalt nie sehen. Schließlich begann ich einen Hungerstreik, und der Staatsanwalt willigte ein, mit mir zu sprechen. Am 113. Tag meines Hungerstreiks wurde ich mit einer einstweiligen Verfügung, Monate bevor ich vor Gericht erscheinen sollte, freigelassen. Das lag an dem Hungerstreik und den Nachrichten über Folter, die an die Öffentlichkeit gedrungen waren."
Neue Verfahren eingeleitet
Während auch nach seiner Entlassung nichts wegen der Folter unternommen wurde, wurden Verfahren aufgrund von Gegenanzeigen der Wächter und des Gefängnisarztes gegen ihn eingeleitet. Karakum kommentierte: „Ich wurde im Bafra-Gefängnis systematisch gefoltert, und als ich in den Hungerstreik trat, um die Folter zu beenden und die Folterer vor Gericht zu bringen, wurde ich mit einer einstweiligen Verfügung freigelassen. Danach reichten die Wärter, die mich gefoltert hatten, der Arzt, der die Folter ignorierte, und die Gefängnisverwaltung eine Klage gegen mich ein. In den Anzeigen wurde behauptet, ich hätte die Wärter beleidigt und Widerstand geleistet. Gegen mich wurden vier separate Klagen wegen meines Widerstands gegen die Folter eingereicht. Darüber hinaus findet am 11. November die Gerichtsverhandlung statt, die zu meiner Verhaftung geführt hat und in dem zwei Kronzeugen gegen mich aussagen werden. Während ich darauf wartete, dass die Folterer vor Gericht gestellt werden, erfuhr ich, dass auch ich wegen Widerstands gegen sie angeklagt werden sollte. Ich werde weiterhin den juristischen Weg gegen diejenigen, die mich gefoltert haben, beschreiten und für ihre Bestrafung kämpfen.“