Der schwedisch-iranische Arzt Abbas Mansouran hat sich gegenüber ANF zum Einsatz von weißem Phosphor bei der türkischen Invasion in Nordsyrien geäußert. Die Schweizer Organisation ToxHelp.ch hat ein Gutachten erstellt und mehrere europäische Labore mit Analysen von Hautproben eines damals verwundeten kurdischen Kämpfers beauftragt. In den Bericht flossen auch die Ergebnisse von Analysen der Fotos der Verletzungen, die ebenfalls große Anhaltspunkte für den Einsatz von weißem Phosphor liefern.
Mansouran hatte bereits Ende Oktober einen Bericht vorgestellt, in dem er die Fälle von Chemiewaffeneinsatz durch die türkische Armee in Rojava beschreibt. Das Gutachten von ToxHelp.ch bestätige nun, was zuvor bereits bekannt war: „Auch wenn der türkische Staat die Behauptung zurückweist, haben wir jetzt überzeugende Beweise für die internationale Gemeinschaft. Die Türkei hat geächtete Waffen in Nordsyrien eingesetzt“, so Dr. Mansouran.
Weißer Phosphor ist die gefährlichste Form des Phosphors. In Brandbomben wird die Substanz mit Kautschukgelatine versetzt. Somit bleibt die zähflüssige Masse an der bis dahin noch nicht brennenden Person, die Kontakt mit dem Kampfstoff hatte, haften und wird weiter verteilt. Neben der Brandwirkung und den schwer heilenden Verletzungen sind weißer Phosphor und seine Dämpfe hochgiftig. Der Einsatz von Phosphorbomben als Brandwaffen gegen Zivilpersonen ist entsprechend dem Verbot von unterschiedslosen Angriffen in den Zusatzprotokollen zur Genfer Konvention verboten.
„Es konnte bewirkt werden, dass in Europa Hautproben von einigen Verletzten untersucht werden. Mehrere Labore in der Schweiz stellten fest, dass die Art der Verletzungen durch chemische Verbrennungen verursacht worden sind und haben nachgewiesen, dass die untersuchten Proben einen höheren Phosphorgehalt als normal aufweisen. Diese Tatsache ist ein klarer Beweis dafür, dass phosphorhaltige Waffen eingesetzt wurden.“ Letztes Jahr hatte Dr. Mansouran bereits erklärt, dass die türkischen Streitkräfte in bewohnten Regionen wie Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) Chemiewaffen vor allem gegen Frauen und Kinder eingesetzt haben.
Die Schweizer Organisation ToxHelp.ch, die Hilfsorganisationen in Nordsyrien mit toxikologischer Beratung und Ausrüstung unterstützt und sich für Aufklärung der Kriegsverbrechen einsetzt, äußerte zu den Untersuchungen: „Der Nachweis des Phosphoreinsatzes stützt sich auf mehrere Laborberichte. Als allererstes wurde abgeklärt, ob nicht noch weitere Risiken, wie z.B. Radioaktivität oder Giftgase vorhanden sind. Dann wurden die Verletzungen untersucht und verschiedenste chemische Analysen gemacht. Den Laboren wurde vorher bewusst nicht mitgeteilt, was sie analysieren. Die Untersuchungen sollten neutral durchgeführt werden.“
Die Berichte sowie Dokumente und Beweise über den Einsatz von weißem Phosphor in Nordsyrien, die von der „Initiative Defend Rojava“ zusammengetragen wurden, sind mittlerweile bei den Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) eingereicht worden. Die OPCW hatte eine Untersuchung der Chemiewaffeneinsätze in Nordsyrien aufgrund fehlenden Mandats abgelehnt, nachdem sie eine Spende über 30.000 Euro von der Türkei erhalten hatte. Trotz internationaler Kritik unter anderem von der Autonomieverwaltung Nord- und Ostsyriens, die auf Beweise für den Gebrauch verbotener Waffen bei der türkischen Invasion hinwies und entsprechende Belege vorlegte, erklärte sich OPCW nicht bereit, Untersuchungen durchzuführen. Bleibt abzuwarten, wie die Organisation auf die Analysen in der Schweiz reagieren wird.
„Die internationale Gemeinschaft darf nicht schweigen“, fordert Dr. Mansouran. „Der Einsatz von weißem Phosphor und anderen Chemiewaffen gegen Zivilisten stellt eine sehr ernstzunehmende Verletzung internationaler Gesetze und Konventionen dar. Internationale Institutionen und Organisationen, insbesondere die UNO, der Internationale Gerichtshof und der Internationale Strafgerichtshof sollten angesichts der vorgelegten Beweise handeln. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“