Çepni: Das Ziel ist die Verhinderung eines Status für die Kurden
Die türkische Ministerin Derya Yanık (AKP) erklärte in Adana, es gehe der Türkei nicht um den Schutz der Syrer, sondern um die Verhinderung „eines kurdischen Staates in Syrien".
Die türkische Ministerin Derya Yanık (AKP) erklärte in Adana, es gehe der Türkei nicht um den Schutz der Syrer, sondern um die Verhinderung „eines kurdischen Staates in Syrien".
Während eines Besuchs bei Händlern und Gewerbetreibenden am vergangenen Sonntag in Adana erklärte Derya Yanık, Ministerin für Arbeit, Familie und Soziales in der Türkei, auf die Frage eines Händlers zu den Plänen für die zur Zeit in der Türkei lebenden fünf Millionen syrischen Geflüchtete, dass es der Regierung nicht um den Schutz der Syrer:innen gehe, sondern um die Gebiete Nord- und Ostsyriens: „Die Türkei hat diese Flüchtlinge nicht aus Barmherzigkeit aufgenommen.“ Die Ministerin kündigte außerdem an, dass sich bereits Ende 2023 keiner der Geflüchteten mehr in der Türkei aufhalten soll.
Deutliche Worte über die Pläne der Türkei
Die Aussagen der Ministerin für Familie und Soziales sind die bisher deutlichsten Worte über die Pläne der Türkei in Bezug auf die syrischen Geflüchteten. Zwar hat die AKP/MHP-Regierung immer wieder angekündigt, nach der geplanten Militäroperation jenseits der Grenze in Nordsyrien Wohnsiedlungen zu bauen, bisher hat sie jedoch von den anderen involvierten Staaten kein grünes Licht für einen derartigen Eingriff in die demografische Struktur Syriens bekommen. Das könne die türkische Regierung jedoch nicht von ihrem Ziel abhalten, „die Gründung eines kurdischen Staates zu verhindern“, sagte Ministerin Yanık in Adana. Damit wurden die Pläne der AKP/MHP-Regierung bezüglich Nord- und Ostsyrien zum ersten Mal offen dargelegt.
Murat Çepni, Ko-Vorsitzender der Kommission für Flucht und Migration der Demokratischen Partei der Völker (HDP), hat die Aussagen der Ministerin in einem Gespräch mit ANF bewertet.
Die AKP macht Staatspolitik
Murat Çepni erklärte, die ,Flüchtlingsfrage' lediglich als Wahlpropaganda gegen die AKP zu behandeln, verkenne den Kern der Angelegenheit: „Die Einwanderungsfrage, insbesondere im Bezug auf die aus Syrien in die Türkei geflohenen Menschen, ist in der öffentlichen Meinung der Türkei eher eine Wahlkampfdebatte gegen die AKP. Das finden wir sehr verwerflich. Die vom Staat betriebene Einwanderungspolitik nur als Wahlkampfmaterial gegen die AKP zu betrachten, bedeutet die Verschleierung des Wesentlichen. Die alleinige Kritik des Umgangs der AKP mit diesem Thema verfehlt jedoch ebenso das Wesentliche der Sache. Denn die von der AKP betriebene Politik ist eine Staatspolitik, das sollte deutlich betont werden. Grundlage ist die Politik gegen den Status des kurdischen Volkes, insbesondere in der Region Nord- und Ostsyrien. Zusammengefasst basieren die Probleme nicht auf den Geflüchteten aus Syrien, sondern auf der Haltung, einen Status für das kurdische Volk zu verhindern.“
Çepni betonte, dass die Eliminierung des in Rojava erkämpften Status grundlegende Staatspolitik der Türkei sei: „Natürlich gibt es verschiedene Variationen dieser grundlegenden Politik. Die AKP erkennt in dieser Politik eine Chance, auch in den internationalen Beziehungen. Sie schlägt aus ihrer Politik auch einen wirtschaftlichen Gewinn. Deshalb ist die Aussage der Ministerin, nicht nur die Syrer, sondern auch die Grenzen der Türkei zu schützen, eine Drohung gegen den Status des kurdischen Volkes, insbesondere in Rojava, der von allen dort lebenden Völkern Seite an Seite erkämpft wurde. Dafür tut die Regierung, was sie kann, denn sie sieht diesen Status als Bedrohung. Mit ihren Worten hat die Ministerin in gewisser Weise die Regierungspolitik deutlich gemacht.“
Ziel ist die demografische Veränderung
Die AKP hat angesichts der durch ihre polarisierende Politik steigende Feindlichkeit gegenüber Migrant:innen angekündigt, die in der Türkei lebenden Syrer:innen in der türkischen Besatzungszone in Nordsyrien anzusiedeln. Dieser Plan wird als einer der Gründe für einen Invasionsangriff angegeben. In der letzten Zeit gab es vermehrt Nachrichten, dass viele Geflüchtete nach Syrien geschickt wurden. Der HDP-Politiker Murat Çepni weist darauf hin, dass dieser Schritt Teil eines langfristigen Plans zur Verhinderung eines kurdischen Status sei: „Eine der Sachen, für die die Regierung am meisten Propaganda gemacht hat, waren die Häuser, die sie in dieser Region gebaut hat, vor allem in Efrîn. Es sind Wohnsiedlungen errichtet worden und wir wissen, dass dort auch ein Landrat ernannt wurde. Das alles wurde nicht getan, um die Wunden des Krieges in Syrien zu heilen. Die syrischen Geflüchteten sind aus der Türkei dorthin geschickt und in diesen Häusern untergebracht worden. Mit dieser Ansiedlung sollen neue Tatsachen geschaffen werden. Das ist Teil eines langfristigen Plans, um die demografische Struktur gezielt zu verändern. Langfristig will die AKP-Regierung eine von ihr abhängige soziale und politische Struktur schaffen.“
Primär ist die Türkei verantwortlich
Çepni weist darauf hin, dass viele Asylsuchende illegal aus Abschiebelagern in die Siedlungen in Nordsyrien geschickt werden. Er betont, dass rassistische Angriffe gegen diese Menschen auf keinen Fall hingenommen werden dürfe: „Viele Menschen werden aus Abschiebelagern dorthin geschickt. Eines davon ist das Abschiebelager Harmandalı in Izmir. Wir haben vor Ort Untersuchungen angestellt, aber wir kennen die genaue Zahl der dort lebenden Menschen nicht. Immer mal wieder teilt das Ministerium mit, dass hundert Personen, zweihundert Personen, zweihundertfünfzig, dreihundert Personen geschickt wurden, aber wir kennen die genaue Zahl nicht und wissen auch nicht, wie viele Menschen in diesen Abschiebelagern leben. Das sind nach außen hermetisch geschlossene Bereiche. Aus den Informationen, die wir erhalten haben, wissen wir, dass die vor dem Krieg geflohenen Menschen ins Zentrum des Krieges zurückgeschickt werden. Sie werden in den Tod geschickt. Ebenso in das von den Taliban kontrollierte Afghanistan werden Menschen in die vom IS bedrohten Regionen in Syrien geschickt. Diese Politik beinhaltet keine Lösung, weder für die syrische Bevölkerung noch für die Migrationspolitik im Allgemeinen. Es sind Manifestationen einer opportunistischen Politik, die sich ausschließlich an den kurzfristigen Bedürfnissen der Regierung orientiert. Die AKP-Regierung selbst ist mitverantwortlich dafür, dass diese Menschen ihre Orte und Wohnungen verlassen mussten. Es herrscht eine Kriegs- und Besatzungspolitik, aufgrund der die Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Auf der Flucht sind sie allen Arten von Unterdrückung und Repression ausgesetzt, die auch internationale Vereinbarungen verletzen. Konfrontiert mit rassistischer und faschistischer Politik sind sie einem Lynchmob ausgesetzt. Daher betonen wir, dass die Verantwortlichen für diese Situation in erster Linie die Türkei sowie die USA, Russland und die dominierenden Mächte in der Region sind.“