Opfer des IS-Genozids in Şengal
Ein Ezide aus Şengal ist aus Deutschland in den Irak abgeschoben worden. Am Montagmorgen setzten Polizisten den 30-Jährigen in Hannover in eine Chartermaschine der Freebird Airlines nach Bagdad. Nach Angaben des niedersächsischen Flüchtlingsrats handelt es sich bei dem Abgeschobenen um einen abgewiesenen Asylbewerber, der vor dem Genozid der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) floh. Ein Teil seiner Familie sei bei dem Völkermord ermordet worden, andere Angehörige lebten heute in Hannover und einer seiner Brüder habe mittlerweile die deutsche Staatsangehörigkeit. Der Betroffene selbst habe 2019 erfolglos Asyl in Deutschland beantragt und sei zuletzt im Abschiebegefängnis Langenhagen inhaftiert gewesen.
Menschenrechtsorganisationen und Flüchtlingsinitiativen übten scharfe Kritik und riefen zum Protest und zum Stopp der Abschiebung auf. Neben dem Flüchtlingsrat Niedersachsen mobilisierten auch die Ortsgruppe der Seebrücke, das Netzwerk gegen Abschiebung und die bundesweite Onlineberatungsstelle für Geflüchtete Pena.ger zu einer Demonstration am Flughafen. Sie hielten unter anderem Banner mit den Worten „Stop Deportation“ hoch und forderten die niedersächsische Landesregierung auf, die Abschiebung nicht durchzuführen und dem Eziden ein Bleiberecht zu geben – vergeblich.
Der selbsternannte IS hatte im August 2014 das ezidische Kernland Şengal im Nordirak überrannt. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Mindestens 10.000 Menschen fielen laut Schätzungen den Massakern zum Opfer, mehr als 400.000 wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, von denen bis heute etwa 2.500 vermisst werden. Daher stellt dieser Genozid in seiner Form zugleich auch einen Feminizid dar.
Dieser Völkermord habe auch bei dem Abgeschobenen unheilbare Wunden hinterlassen, sagte Simon Wittekindt vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. Es zeuge von einer „unmenschlichen Kälte“, ihn nun erneut von seiner Familie zu trennen. Wittekindt kritisiert, dass der 30-Jährige in ein Land abgeschoben wird, in dem das Leben aller Ezid:innen nach wie vor von Islamisten bedroht sei. „In ein Land, in dem auch zehn Jahre nach dem Genozid zehntausende Ezid:innen gezwungen sind, in unterversorgten Flüchtlingslagern im Elend zu leben, ohne dass sie auch nur den Hauch einer Perspektive auf ein menschenwürdiges Leben haben.“ Seit der Zerschlagung des IS sei das Land politisch, konfessionell und territorial tief gespalten.
Insgesamt 47 Menschen abgeschoben
Neben dem Eziden wurden noch 46 weitere Menschen mit der Maschine aus Hannover in den Irak abgeschoben. Unter ihnen waren nach Angaben des niedersächsischen Flüchtlingsrats auch Geflüchtete, die in Deutschland gut integriert waren, einer Arbeit nachgegangen sind, aber deren Asylantrag wie im Fall des Eziden abgewiesen wurde.