GfbV fordert Abschiebestopp für Ezid:innen

Angehörige der ezidischen Gemeinschaft dürften nicht wieder in Gebiete abgeschoben werden, in denen ihr Leben in Gefahr sei, fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker.

Appell an Bundesregierung

Zwei Jahre nach der Anerkennung des Völkermords an der ezidischen Bevölkerung Şengals durch den Deutschen Bundestag fordert die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) die Bundesregierung auf, Abschiebungen von Angehörigen der religiösen Minderheit in den Irak, aber auch nach Syrien endgültig zu stoppen. Ezidinnen und Eziden, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, dürften nicht befürchten müssen, wieder in Gebiete abgeschoben zu werden, in denen ihr Leben in Gefahr ist, erklärte GfbV-Nahostreferent Kamal Sido. Denn spätestens seit der Machtübernahme durch radikale Islamisten in Syrien sei das ezidische Kernland Şengal, das im äußersten Nordwesten des Irak liegt, erneut verstärkt bedroht. „Auf beiden Seiten der Grenze sind islamistische Milizen auf dem Vormarsch“, so Sido.

Genozid und Feminizid in Şengal

Am 3. August 2014 überfiel die Terrororganisation „Islamischer Staat“ die Şengal-Region mit dem Ziel, eine der ältesten Religionsgemeinschaften auszulöschen: Die Ezidinnen und Eziden. Durch systematische Massakrierung, Vergewaltigung, Folterung, Vertreibung, Versklavung von Mädchen und Frauen sowie der Zwangsrekrutierung von Jungen als Kindersoldaten erlebte die ezidische Gemeinschaft den von ihr als Ferman bezeichneten 74. Völkermord in ihrer Geschichte. Mindestens 10.000 Menschen, hauptsächlich Männer und Jungen über zwölf Jahre, fielen den Gräueltaten der Dschihadisten zum Opfer. Über 7.000 Frauen und Kinder wurden verschleppt, mehr als 2.000 von ihnen werden bis heute vermisst. Weitere 400.000 Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben.

Anerkennung durch Bundestag, aber kaum Aufarbeitung

Am 19. Januar 2023 hat der Bundestag den Völkermord an den Ezid:innen anerkannt und umfassende Hilfe für die Gemeinschaft sowie eine umfassende Aufarbeitung gefordert. Diese stehe aber noch aus, bemängelt die GfbV. Zwar würden einzelne IS-Mitglieder in Deutschland für ihre Beteiligung am Genozid zur Rechenschaft gezogen, das reiche aber nicht. „Schon im Text der Anerkennungsresolution wurde vermieden, zu sagen, welche Rollen das NATO-Mitglied Türkei, das islamistische, arabische Emirat Katar und Deutschland bei der Entstehung, Finanzierung und Stärkung des IS gespielt haben“, kritisierte Sido. Eine Aufarbeitung sei jedoch dringend notwendig, damit nicht erneut islamistische Strukturen mit deutscher Hilfe finanziert würden – beispielsweise in Syrien.

40.000 Islamisten aus aller Welt über Türkei ins Kalifat gereist

Denn diese Strukturen führten zur Verfolgung von Ezid:innen, muslimischen Kurd:innen, christlichen Gläubigen, Angehörigen der alevitischen sowie alawitischen Minderheiten, Frauen und allen anderen Menschen, die das islamistische Regime ablehnen, betonte Sido. „Es muss zudem dringend aufgeklärt werden, wie mindestens 40.000 Islamisten aus aller Welt, auch aus Deutschland und anderen EU-Ländern, über die Türkei nach Syrien und in den Irak reisen konnten, um Eziden zu ermorden und ezidische Frauen zu vergewaltigen“, forderte er. Aktuell bekämpft die Türkei in Syrien und im Irak jene Kräfte, die sich 2014 gegen den IS stellten und der ezidischen Gemeinschaft zur Seite standen.

Völkerrechtswidrige Angriffe auf Verteidigungskräfte der Ezid:innen

Sido wies darauf hin, dass es die kurdischen YPG/YPJ-Einheiten sowie weitere Verbände der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) waren, die maßgeblich an der Rettung tausender Ezid:innen beteiligt waren und den IS schließlich militärisch besiegten. In Syrien werden sie derzeit jedoch von der Türkei und deren islamistischen Söldnern mit Kampfjets, Drohnen, schwerer Artillerie, Raketenwerfern und Panzern angegriffen. Die Bundesregierung nehme diese völkerrechtswidrigen Angriffe schweigend hin und zeige sogar Verständnis für die „Sicherheitsinteressen“ der Türkei, sagte der Nahostexperte. „Viele ezidische Opfer und Angehörige anderer verfolgter Minderheiten in der Region, die ich regelmäßig besuche oder mit denen ich in ständigem Kontakt stehe, werfen der Türkei, Katar und Deutschland Beihilfe zum Völkermord und Komplizenschaft und Unterstützung bei der Verfolgung von Minderheiten vor“, so Sido.