In Frankfurt am Main haben rund 1.500 Menschen an der diesjährigen Newroz-Demonstration teilgenommen. Der Marsch begann am Nachmittag am Hauptbahnhof und endete auf dem Römerberg. Auf der Abschlusskundgebung sprach mit der Integrations- und Bildungsdezernentin Sylvia Weber (SPD) erstmalig eine Vertreterin der Frankfurter Stadtregierung. Anwesende werteten dies als einen kleinen politischen Erfolg. Zuvor hatte noch nie eine Vertreterin oder ein Vertreter der Stadt auf einer Newroz-Feier gesprochen. Nachfolgend dokumentieren wir die Rede von Weber im Wortlaut:
Ein einfacher Schmied kann die Welt verändern
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter, vielen Dank, dass ich heute hier zu Ihnen sprechen darf. Vielen Dank an die Organisatorinnen und Organisatoren für die Vorbereitung dieser wichtigen Kundgebung. Mich erfüllt diese Möglichkeit, das Wort hier zu ergreifen, mit Dankbarkeit und Freude.
Mit Dankbarkeit, weil die die Geschichte des kurdischen Newroz-Festes eine Geschichte des Aufbegehrens gegen den Machthaber ist. Es ist darum keine Selbstverständlichkeit, dass auch eine Vertreterin der Stadt hier stehen darf. Das zeigt, Sie wollen Brücken bauen. Das zeigt die Wichtigkeit der kurdischen Community für das gute Zusammenleben in dieser Stadt.
Mit Freude erfüllt es mich aber auch, weil es zeigt, dass es in unserem Land gelungen ist, trotz aller Corona-bedingten Einschränkungen die wichtigsten Grundrechte, wie das Demonstrationsrecht, aufrechtzuerhalten. Ich weiß, viele sehen das kritisch – mit zum Teil guten und nachvollziehbaren Argumenten. Aber wenn es irgendwie möglich und vertretbar ist, die Ausübung von Grundrechten nicht einzuschränken, sollte man, ja muss man das tun. Denn Grundrechte sind kein Selbstzweck. Sie sind grundlegende Menschenrechte und dienen als Abwehrrechte gegen den Staat. Gegen Unterdrückung.
Ein einfacher Schmied kann die Welt verändern. Das ist die Lehre aus der Legende um die Entstehung des Newroz-Festes. Und die Legende lehrt uns auch, wenn wir zusammenhalten, dann kann uns kein Tyrann unterdrücken. Kein Tyrann kann uns unterdrücken, kein Virus und keine Rassisten.
Gerade der Kampf gegen Rassismus ist unsere gemeinsame Herausforderung im 21. Jahrhundert. Die Vielfalt ist unsere Stärke. Sie alle sind unsere Stärke. Aber Offenheit und Vielfalt machen auch verwundbar. Das hat der unfassbare rassistische Terroranschlag auf neun junge Menschen in unserer Nachbarstadt Hanau schmerzlich vor Augen geführt.
Wir müssen dagegen kämpfen. Wir müssen die Privilegien und Machtstrukturen in den weißen Dominanzgesellschaften sichtbar machen und zerstören. Allein Deine Gedanken und Deine Taten definieren Dich als Mensch – nicht Deine Herkunft, nicht Dein Geschlecht, nicht Deine Religion. Und schon gar nicht bist Du deshalb besser oder schlechter andere.
Rassismus, Hass und Rechtsextremismus dürfen niemals toleriert werden!
Liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter! Das Newroz-Fest ist Ausdruck Ihrer Bestrebungen für Frieden, Freiheit und Demokratie. Aber es ist kein Fest wie jedes andere. Es ist kein Tag der friedlichen Einkehr, des ungetrübten Familienglücks.
Nein, viele hunderte Kurdinnen und Kurden wurden ermordet, weil sie den Wunsch hatten, Newroz zu feiern. Darum ist der Tag für Sie immer auch ein politischer Tag. Das sollten wir alle, die an Frieden und Freiheit aufrichtig interessiert sind, respektieren.
Leider ist der Mittlere Osten weiterhin ein Kriegsschauplatz, gezeichnet von zahlreichen Konflikten. Für mich ist dabei klar: Wenn wir uns in unserer offenen und freiheitlich-liberalen Gesellschaft hier in Frankfurt und Europa selber ernst nehmen wollen, können wir gar nicht anders als Ihr Engagement für eine bessere Welt zu respektieren und zu unterstützen. Solidarisch zu sein mit den Bestrebungen der Kurdinnen und Kurden nach Pluralismus, Demokratie, Ökologie und Gendergerechtigkeit.
Das gilt auch und gerade jetzt, wenn in der Türkei die HDP wieder massiven Repressionen ausgesetzt ist. Wir sind solidarisch mit der HDP. Wir stehen ein für Demokratie und Menschenrechte. Und wir fordern die Türkei auf, Demokratie und Menschenrechte endlich anzuerkennen und die Menschen in den kurdischen Gebieten in Freiheit und Frieden leben zu lassen.
Als Frankfurter Integrationsdezernentin gilt mein Auftrag dem guten Zusammenleben in unserer Stadt. Einer Stadt, die durch Vielfalt und Internationalität so sehr geprägt ist, wie kaum eine andere deutsche Stadt. Die kurdische Community ist dabei ein bedeutender Teil der Stadtgesellschaft. Ein wesentlicher Faktor für den politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Erfolg der ganzen Region.
Und deshalb möchte ich hier für meine Person und auch für den Magistrat der Stadt Frankfurt sprechen, wenn ich sage: Wir Frankfurterinnen und Frankfurter stehen zusammen. An der Seite aller Unterdrückten. An der Seite aller Menschen, die gegen Krieg, gegen Verfolgung und gegen Diskriminierung sind. Unsere Solidarität gehört allen Menschen, die sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen.
Niemand von uns kann wirklich frei sein, solange andere Gruppen verfolgt und erniedrigt werden. Unser Kampf ist ein gemeinsamer Kampf, gegen jede Unterdrückung. In diesem Sinne sind wir alle eins und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein wundervolles Newroz-Fest.
Weitere Redebeiträge gab es von den Mitgliedern der kurdischen Studierendenverbände JXK und YXK, einer Vertreterin der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E), im Namen der Föderation der Kurdischen Gesellschaftszentren in Südwestdeutschland (KAWA) und des Gesellschaftszentrums NCK in Frankfurt.
Zur Musik von Hozan Cömert, Zozan Zudem und Serhat Çarnewa tanzten viele und konnten dabei die Corona-Regeln einhalten. Als „Abstandshalter“ kamen die unterschiedlichsten Fahnen zum Einsatz.