Izmir: Polizeiüberfall bei Kunstverein „Jîn Art“

In Izmir ist ein kurdischer Kulturverein von einem Kommando der Anti-Terror-Polizei gestürmt worden. Die Beamten durchtrennten Kabel der Videoüberwachung und verwüsteten die Räume, darüber hinaus gab es Festnahmen.

Festnahmen wegen Terrorverdacht

Das in Izmir im Südwesten der Türkei ansässige Kunsthaus „Jîn Art“ ist von einem Kommando der Anti-Terror-Polizei gestürmt worden. Die Beamten brachen die Eingangstüre und eine weitere Innentüre brachial auf und durchtrennten zunächst die Kabel der Überwachungskameras, bevor die Räumlichkeiten verwüstet wurden, teilte Belkısa Süleymanoğlu vom Vorstand der Einrichtung am Freitag mit. Bevor der Trupp anschließend wieder abzog, hinterließen die Polizisten auf einer Tafel das sich auf der türkischen Fahne befindliche „Ayyıldız“-Symbol (Stern und Mond).

Ermittlungen stehen im Zusammenhang mit dem HDK

Die Razzia bei Jîn Art wurde mit einem Verfahren begründet, dessen Leitung bei der Generalstaatsanwaltschaft Izmir liegt. Demnach ermittelt die Behörde gegen einzelne Vereinsmitglieder wegen des vermeintlichen Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. In Berichten regierungsnaher Blätter heißt es, mit dem Vorgehen solle ein „Beitrag zur Dechiffrierung der Verbindungen verschiedener Organisationen“ zur Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) beziehungsweise ihrem Dachverband KCK geleistet werden.

Halbmond und Stern auf einer Tafel bei Jîn Art © DEM/Jîn Art/MA

Explizit benannt werden in den Berichten die von Kurdinnen dominierte Bewegung freier Frauen (TJA) und der Demokratische Kongress der Völker (HDK) – der als Organisationsgremium hunderter politischer Parteien, Gruppen und Einzelpersonen fungiert, aus dem die DEM-Vorgängerin HDP hervorgegangen ist. Beide Organisationen sind in der Türkei legal, Betätigungen für sie werden von Staatsanwälten dennoch als Beweis für Terrorvorwürfe herangezogen und Mitglieder kriminalisiert beziehungsweise stigmatisiert. Dieses Vorgehen stünde symptomatisch für das Klima der Rechtsunsicherheit in der Türkei, kritisierte das Gremium.

Mitglieder von DBP und DEM festgenommen

Im Rahmen des Verfahrens in Izmir gab es auch mehrere Festnahmen. Süleymanoğlu bestätigte die Festnahme von mindestens fünf Personen, die auf Anweisung der obersten Anklagebehörde von Izmir in ihren Wohnungen in Gewahrsam genommen wurden. Dabei handelt es sich unter anderem um die Kulturaktivistin Gönül Yalçın, die Mitglied des Parteirats der DBP ist, den DEM-Aktivisten Sabri Gül und den Umweltaktivisten Koray Türkay, der sich in der Ökologiekommission der DEM engagiert. Laut Polizei sollen sie sich „in In- und Ausland“ an „Veranstaltungen von Terrororganisationen“ beteiligt haben. Sowohl die DBP als auch die DEM – zwei Parteien, die im türkischen Parlament vertreten sind – sind Teil des HDK.

Spuren der Razzia © DEM/Jîn Art/MA

Repression gegen kurdische Kultur

Wie der Vorstand von Jîn Art weiter mitteilte, hatten die Festgenommenen bislang keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand. Grund dafür sei ein 24-stündiges Anwaltsverbot, das von der Staatsanwaltschaft gegen die Betroffenen verhängt wurde, sagte Süleymanoğlu. Die Aktivistin berichtete darüber hinaus von diversen polizeilich beschlagnahmten Gegenständen im Zuge der Razzia bei Jîn Art. Demnach seien etliche Bücher, Zeitschriften und auch Computer sowie Speichermedien konfisziert worden. Belkısa Süleymanoğlu kündigte juristische Schritte an. „Bei der heutigen Durchsuchung unseres Kulturhauses handelt es sich nur um das letzte Glied einer langen Kette rechtswidriger Maßnahmen von Polizei und Staatsanwaltschaft mit dem Ziel, uns einzuschüchtern und zu kriminalisieren“, sagte sie.

Bozdağ: Mit dieser Mentalität kann kein Frieden geschaffen werden

Der DEM-Abgeordnete Heval Bozdağ, der sich ein Bild von der Verwüstung in den Räumen des Vereins machte, ergänzte: „Die türkische Regierung betreibt seit Jahren eine Politik, die beabsichtigt, die Gesellschaft zu unterdrücken und die Sphäre des Denkens und der Kultur einzuschränken. Dass sie an diesem Vorgehen auch in einer Phase festhält, in der wir über Frieden und die Lösung von Konflikten sprechen, scheint ein Signal zu sein. Wir wollen ein würdevolles Leben in einem demokratischen Land. Jîn Art ist ein Verein, der sich für die Pflege der kurdischen Sprache und Kultur einsetzt. Wenn schon diese Arbeit nicht geduldet wird, auf welcher Grundlage soll dann der Frieden aufgebaut werden? Das kurdische Volk fordert, mit seiner Identität zu existieren. Doch die Regierung weigert sich weiterhin, die kurdische Identität anzuerkennen. Mit dieser Mentalität kann kein Frieden geschaffen werden.“