Seit einem Jahr steht der kurdische Politiker und Aktivist Kenan Ayaz in Hamburg vor Gericht. Am 30. Verhandlungstag gingen am Donnerstag die Warteschlangen der Zuschauenden vor dem Strafjustizgebäude aufgrund der Sicherheitskontrollen bis auf die Straße, sodass potentielle Besucherinnen, selbst wenn sie eine Dreiviertelstunde vor Prozessbeginn gekommen waren, den Saal nicht erreichen konnten.
Die Verteidigung forderte das Gericht auf, die Teile der Verhandlung, die vor 10.24 Uhr, als endlich der letzte Besucher den Gerichtssaal erreicht hatte, zu wiederholen, damit die öffentliche Prozessbeobachtung gewährleistet sei. Diesen Antrag lehnte das Gericht ab. Es zeigte damit erneut, dass ihm die Teilnahme der Öffentlichkeit an dem Verfahren egal ist. Beschwerden über nicht funktionierende Lautsprecher in einem der Verhandlungssäle hatten die Richterinnen in einer vorherigen Sitzung ebenfalls zurückgewiesen.
Erklärung der Verteidigung zum Jahrestag des Prozessbeginns
Die drei Verteidiger:innen äußerten sich in einer Erklärung zu dem Prozessverlauf. Sie erklärten, das Gericht sei nicht daran interessiert, inwieweit die Kenan Ayaz vorgeworfenen Handlungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit unterfallen würden. Es stütze wesentliche Sachverhalte allein auf geheimdienstliche Erkenntnisse, deren effektive Überprüfung es jedoch verweigere. Zudem habe es zentrale Beweismittel – SMS und Telefongespräche – nicht in öffentlicher Hauptverhandlung eingeführt, sodass die Öffentlichkeit diese nicht zur Kenntnis nehmen und sich selbst ein Bild von vermeintlich gegen Kenan Ayaz vorliegenden Beweisen machen konnte.
Sämtliche der über 70 Beweisanträge der Verteidigung, mit denen diese die Kenan Ayaz gemachten Vorwürfe angegriffen habe, seien durch den Staatsschutzsenat abgelehnt worden. Das Gericht verdecke den politischen Charakter des Verfahrens. „Es klärt nicht auf, warum der Europäische Haftbefehl gegen Kenan Ayaz erst unmittelbar vor dem Nato-Gipfel 2022 und dem Besuch des Generalbundesanwalts bei dem türkischen Präsidenten Erdoǧan beantragt worden ist. Es ignoriert, dass Erdoǧan sich persönlich lobend zu dem Strafverfahren gegen Kenan Ayaz geäußert hat. Es beschneidet auch die Äußerungsrechte Herrn Ayaz‘ und untersagte ihm, sich in der Hauptverhandlung mit einem einseitigen Sachverständigengutachten zum ,türkisch-kurdischen Konflikt' auseinanderzusetzen“, so die Verteidigung in ihrer Erklärung.
Kundgebung für die Freiheit von Kenan Ayaz und Kadri Saka
Am Samstag wird eine Kundgebung mit der Forderung der beiden kurdischen Aktivisten Kenan Ayaz und Kadri Saka an dem Hamburger Untersuchungsgefängnis stattfinden. Letzterer befindet sich seit Januar wegen des Verdachts der vermeintlichen PKK-Mitgliedschaft in Hamburg in U-Haft. Die Veranstaltung beginnt um 14:30 Uhr an der Jungiusbrücke hinter dem Untersuchungsgefängnis.
Weitere Verhandlungstermine
Die Verhandlung wird am 19. Mai fortgesetzt. Weitere anberaumte Termine sind: 27.6., 2.7., 9.7., 11.7., 17.7., 22.7. und 19.8. Der Prozess findet im 1. Stock des OLG Hamburg am Sievekingplatz 3 statt, entweder in Saal 237 oder 288. Die Verhandlungen beginnen um 9:30 Uhr.
Postadresse und Spendenkonto
Auf der Seite kenanwatch.org werden Informationen in den Sprachen Griechisch, Englisch und Deutsch über den Prozess und die Proteste auf Zypern und in Deutschland angeboten. Kenan Ayaz freut sich über Post. Briefe können auch in anderen Sprachen als Kurdisch oder Türkisch geschrieben werden, da eine Übersetzung gewährleistet ist. Zu beachten ist die Schreibweise des Behördennamen „Ayas“, damit die Briefe auch zugestellt werden.
Kenan Ayas
Untersuchungshaftanstalt Hamburg
Holstenglacis 3
20355 Hamburg
Spendenkonto:
Rote Hilfe e.V. OG Hamburg
Stichwort: Free Kenan
IBAN: DE06200100200084610203