Der tamilische Aktivist Agilan Varatharajah äußerte sich im Gespräch mit ANF über das „Sri-Lanka-Modell“, das dem türkischen Staat als Inspiration diene. Dabei handele es sich um ein Modell des Genozids, das sowohl die Zerschlagung der Guerilla als auch die Auslöschung der Bevölkerung bedeute.
Die staatlichen Sicherheitskräfte Sri Lankas haben zwischen 2008 und 2009 einen Völkermord an der tamilischen Bevölkerung und der Guerilla begangen. Als die srilankische Regierung am 18. Mai 2009 den Krieg für beendet erklärte, waren mehr als 70.000 Tamil:innen tot. Alle Kommandant:innen und Kämpfer:innen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE), einschließlich ihres Anführers Probhakaran, wurden getötet. Nach der Zerschlagung der Tamil Tigers begann der srilankische Staat, der das tamilische Land besetzt hatte, eine Kampagne mit Folter, Vergewaltigungen und Hinrichtungen. Als die srilankische Regierung nach dem Völkermord den „Sieg" verkündete, zwang sie die tamilische Bevölkerung, in ihren Häusern Staatsflaggen zu hissen. Darüber hinaus versuchte das Regime, das Erbe der Guerillabewegung zu zerstören, indem es an den Orten, an denen sich die LTTE-Friedhöfe befinden, Polizeistationen errichtete.
Türkei ließ sich inspirieren
Inspiriert von der Niederschlagung des Befreiungskampfes des tamilischen Volkes bezeichneten türkische Staatsvertreter seit Anfang der 2010er Jahre auch den Plan zur Beseitigung der kurdischen Freiheitsbewegung als „Sri-Lanka-Modell". Der „Zerschlagungsplan", der dem von der srilankischen Armee 2009 umgesetzten „Vernichtungsplan" sehr ähnlich ist, wurde nach einer Sitzung des türkischen Nationalen Sicherheitsrates (MGK) im Oktober 2014 angekündigt und 2015 umgesetzt.
Das „Sri-Lanka-Modell“ ist ein Genozid-Modell
Tamilische Aktivist:innen, die derzeit den Freiheitskampf der tamilischen Bevölkerung im Exil führen, weisen darauf hin, dass es gravierende Ähnlichkeiten zwischen den Kriegskonzepten des türkischen und des srilankischen Regimes gibt. Agilan Varatharajah, ein in Deutschland lebender tamilischer Aktivist, stimmt zu, dass es Ähnlichkeiten gibt, und fordert daher die kurdische Bevölkerung auf, dies ernst zu nehmen. „Das Sri-Lanka-Modell schließt Völkermord ein. Die Diskussion über das Sri-Lanka-Modell bedeutet, den Genozid am kurdischen Volk auf die Tagesordnung zu setzen. Denn die Erfahrung in Sri Lanka hat gezeigt, dass, wenn eine Guerillabewegung vernichtet wird, auch die einfachen Menschen massakriert werden", so der tamilische Aktivist.
Keine Guerilla, kein Widerstand
Varatharajah betont, dass es keine andere Lösung als den Kampf gegen den Faschismus gebe: „Denn in unserem Fall wird sichtbar, was als nächstes kommt. Wenn eine Guerillabewegung zerstört wird, muss man vorsichtig sein, was als nächstes kommt. Was kommt, ist ein sehr gefährlicher Prozess für die Gesellschaft. Nachdem die Guerillabewegung in Tamil-Eelam vernichtet wurde, gab es keinen Widerstand mehr." Auch die Gewalt gegen Frauen habe nach der Zerschlagung der Freiheitsbewegung zugenommen: „Man kann überhaupt nichts mehr mehr tun. Außerdem richtet sich der Völkermord auch gegen die Kultur".
Auch der srilankische Staat setzte chemische Waffen ein
Die tamilische Aktivistin Laksi weist darauf hin, was während des Völkermords in ihrem Land geschah: „Sie führten intensive Bombenangriffe durch und setzten chemische Waffen ein. Sie bedrohten andere Teile der Gesellschaft und griffen zivile Gebiete an. Die Zivilbevölkerung wurde zur Migration gezwungen."
Telefonat mit der Türkei nach dem Massaker
Laksi sagt, dass einer der ersten ausländischen Staatsvertreter, mit denen der srilankische Präsident Mahinda Rajapaksa telefonierte, als er am 18. Mai 2009 seinen Sieg über das tamilische Volk erklärte, der damalige türkische Präsident Abdullah Gül war: „Der Krieg gegen die Tamilen sollte als Krieg gegen die Kurden exportiert werden."
Stärke der kurdischen Frauenbewegung
Laksi stellt fest, dass nach dem Krieg die Zahl der Morde an Frauen in Sri Lanka gestiegen ist, ähnlich wie in Kurdistan. „Auch in der Türkei gibt es eine große Anzahl von Femiziden. Die kurdische Frauenbewegung hat jedoch im Rahmen ihres Widerstands gegen die Praktiken des türkischen Staates einen großen Kampf gegen die Politik der Femizide geführt", fügte sie hinzu.