Ich bin Indianer. Mein einziger Wunsch ist es, wie einer zu leben

Im September wird der indigene Aktivist Leonard Peltier 75 Jahre alt – mehr als die Hälfte seines Lebens hat er in US-Gefängnissen verbracht. Am Samstag findet eine Kundgebung in Berlin vor der US-Botschaft statt.

Am Samstag, dem 14. September, findet aus Anlass des 75. Geburtstags von Leonard Peltier eine Kundgebung vor der US-Botschaft in Berlin statt. Im Vorfeld hat sich Andreas Gnast mit Markus vom Free Mumia Bündnis Berlin in einem Neuköllner Café getroffen, um über die Situation Peltiers zu sprechen und mehr über die Kämpfe der indigenen Bevölkerung in den USA zu erfahren. Im Hintergrund spielt jemand ‚Bella Ciao‘ auf einer Saz und an den Wänden hängen politische Plakate, darunter eines für die anstehende Kundgebung mit einem stilisierten Adler, dem Symbol des American Indian Movements.

Ein Angriff auf die indigene Kultur und Lebensweise

Leonard Peltier vom Volk der Chippewa und Sioux ist in einer Zeit geboren, in der die indigene Bevölkerung entweder entrechtet in Reservaten oder in städtischen Ghettos, gezwungen zur Assimilation, leben musste. Ihnen wurde „ihr Land weggenommen, wenn es um Bodenschätze oder um strategisch-militärische Interessen ging und, wenn mehr Siedlungsgebiet gebraucht wurde. Immer dann wurden diese Leute zwangsumgesiedelt. Ihnen wurden ihre Ressourcen genommen – also Flüsse und Weideland – und sie wurden in unwirtliche Wüstengebiete vertrieben oder in Gebirge, wo es sehr hart ist, zu überleben“, berichtet Markus.

Viele Menschen in dem USA bezeichnen diese Verdrängung als Völkermord. Um 1830, als die Kolonialexpansion in den Westen der USA stattfand, lebten noch zehn Millionen Indigene, heute nicht mal mehr eine Million. Die meisten davon leben nach wie vor in den kleinen, eingesperrten Enklaven.

Der indigenen Bevölkerung wurde ihre eigene Sprache und Kultur verboten und die Kinder im Zuge der Assimilationsbestrebungen auf Internate, sogenannte ‚Boarding Schools‘ geschickt, in denen der Leitspruch: „Tötet nicht den Menschen, tötet den Indianer!“ galt. Sie sollten ihre Herkunft verleugnen und letztendlich die Sprache und Kultur der Kolonialisten annehmen.

„Boardingsschools waren brutal – über hundert Jahre wurde das praktiziert. Alle Menschen, die das durchlaufen haben, berichten von Vergewaltigungen, von schweren Misshandlungen und von einer geistig seelischen Diktatur, die sie oft sich als Menschen zweiter, dritter Klasse hat fühlen lassen“, beschreibt Markus die katastrophalen Zustände.

Der Weg zur Bewegung

Als junger Mann schloss sich Peltier dem American Indian Movement (AIM) an, welches sich in Anlehnung an die Black Panther Party gegründet hat. Anstatt defensiv auf die Parole „Auflösung und Umsiedlung“ zu reagieren, begannen die Indigenen über Souveränität, Vertragsrechte, Wiedergutmachungen und die Rückgabe des Landes ihrer Ahnen zu diskutieren. Ihre Proteste äußerten sich in Form von Demonstrationen und Besetzungen. Die bekannteste ist wohl die von Wounded Knee, bei der von US-Marshalls, FBI-Agenten und weißen Bürgerwehrmännern über 250.000 Schüsse auf die Aktivisten gefeuert wurden. Das AIM organisierte auch Straßenpatrouillen zum Schutz gegen willkürliche und rassistische Übergriffe der Polizei und kämpfte gegen Wohnungslosigkeit, Armut und für eine bessere Gesundheitsversorgung.

Peltier beschreibt die Stärke dieser Bewegung mit folgenden Worten: „Es gibt beim AIM keine Mitläufer. Wir sind alle Führer. Jeder von uns ist eine Ein-Mann-Armee, die für das Überleben unseres Volkes und unserer Mutter, der Erde kämpft. Das ist keine leere Phrase. Das ist Hingabe. Das ist es, was wir sind.“

Als AIM-Mitglied eilte Peltier einer Familie im Pine Ridge Reservat zu Hilfe, die durch ständige Angriffe bedroht wurde. Zu der Zeit um 1973–1975 starben in diesem Reservat 60 (manche sprechen von 300) Indigene durch Kugeln einer von der Regierung unterstützten paramilitärischen Gruppe – die GOONs, Guardians of the Oglala Nation –, welche mit Waffen ausgerüstet, ausgebildet und angestachelt wurden, gegen traditionell gesinnte Indigene gewalttätig vorzugehen. Peltier berichtete über diese Zeit, dass damals quasi Bürgerkrieg im Reservat herrschte. „GOON-Patrouillen hatten das Reservat seit Monaten terrorisiert. Beinahe täglich hatten sie aus fahrenden Autos geschossen, Leute verprügelt, gemordet und die Häuser der Ältesten und der AIM-Anhänger niedergebrannt“, so Peltier.

An einem Tag im Jahr 1975 kam es zu einer durch das FBI provozierten Schießerei mit den Bewohnern des Reservats und ihren Unterstützern. Im Zuge dessen wurde Peltier des Mordes an zwei FBI-Agenten verurteilt, obwohl es keine Indizien gab, die seine Schuld bewiesen. Die einzige Zeugenaussage, die ihn belastete, kam von einer indigenen Frau, die nachweislich zu der Falschaussage unter Androhnung von Gräueltaten gezwungen wurde. Er wurde 1976 zu zweimal lebenslänglich verurteilt. In seinem Schlusswort vor der Verkündung des Strafmaßes, legte er dar, dass es dem Staat einzig und allein darum ginge, „zu verschleiern, dass sich unter der indianischen Bevölkerung wachsender Unmut breitmacht und, dass sie die militärischen Übergriffe des kapitalistischen Amerika nicht mehr hinnehmen wird. Nicht mich sollten sie Verbrecher nennen. Verbrecherisch ist die Vernichtung unseres Landes und meines Volkes durch das weiße rassistische Amerika“.

Peltier – Eine Symbolfigur für weltweite Kämpfe

Es ging in seinem Prozess nie um Recht oder Unrecht, sondern darum, jemanden stellvertretend für eine ganze Bewegung zu verurteilen. Es gab seitdem unzählige Proteste für seine Freilassung und internationale Solidaritätsbekundungen. Noch heute stellt er für junge Indigene eine Symbolfigur in ihrem Widerstandskampf dar.

Die Kämpfe, die das American Indian Movement in den frühen 70ern angestoßen habe, seien im Kern genau die selben Kämpfe, die heute geführt werden, resümiert Markus. Vielleicht nicht dieselbe Form, aber es sind die selben Inhalte, wie beispielsweise bei der Wasser für Leben Bewegung (Water for Life), die gegen die Black Snake Ölpipeline, die durch indigenes Land gebaut wurde, protestierte.

Auf jedem dritten Schild war dort zu lesen – Free Leonard Peltier!

Es geht dabei nicht nur um die Freilassung eines Individuums, sondern um es mit Mumia Abu-Jamals Worten zu fassen, darum, die Verhältnisse zu ändern. „Und natürlich geht es letztendlich darum, eine befreite Gesellschaft zu schaffen“, fügt Markus hinzu. „Eine Gesellschaft, in der Gefängnisse, die das Recht von Konzernen gegen den Willen der Menschen durchsetzen und die für die Umweltzerstörung und für Krieg und für Rassismus stehen– das diese Institutionen abgeschafft werden.“

Internationale Solidarität

Leonard Peltier ist durch die lange Haftzeit schwer krank, er hat zwei Mordanschläge, nachweislich begangen durch das FBI, in Haft überlebt. Er sitzt momentan in Isolationshaft. Ungefähr 7000 Kilometer trennen ihn von seinen Angehörigen, für die es aufgrund ihrer Armut fast unmöglich ist, ihn regelmäßig zu besuchen. Er befindet sich seit 43 Jahren im Gefängnis, weil er einer kämpfenden Bewegung angehört, die mit und nicht gegen die Natur lebt. Noch heute stellen diese Kämpfe gegen die staatliche Gewalt und kapitalistische Ausbeutung, sowie die internationale Solidarität, die sie erhalten, eine Gefahr für das unterdrückerische System der USA dar. Es lässt sich an diesem Beispiel einmal mehr erkennen, dass die Herrschenden, egal an welchem Ort der Welt, vielfältige Methoden anwenden, um ihnen missliebige Bewegungen zu brechen.

Wir möchten diesen Bericht mit Leonards Worten enden lassen und dazu aufrufen, zur Kundgebung zu kommen:

„Ich weiß nicht, wie die Welt zu retten ist. Ich habe keine Lösungen oder die Lösung. Ich habe kein geheimes Wissen darüber, wie man die Fehler von ganzen Generationen aus Vergangenheit und Gegenwart beheben soll. Ich weiß nur eins: ohne Mitgefühl und Respekt für alle Bewohner dieser Erde wird keiner von uns überleben – oder dies verdienen. Die Zukunft, unsere gemeinsame Zukunft, die Zukunft aller Völker der Menschheit, muss auf Respekt gegründet werden. Wie wir von anderen respektiert werden möchten, so müssen auch wir andere respektieren. Wir alle gehören zur Familie der Menschheit. Wir teilen die Verantwortung für unsere Mutter, die Erde, und für all jene, die auf ihr leben und atmen. Ich glaube, dass unser Werk so lange unvollendet bleibt, wie auch nur ein menschliches Wesen Hunger leidet oder geschlagen wird, wie auch nur ein Mensch gezwungen wird, im Krieg sein Leben zu lassen, wie auch nur ein Unschuldiger im Gefängnis schmachtet oder einer wegen seines Glauben verfolgt wird. Ich glaube an das Gute im Menschen. Ich glaube, dass das Gute siegen kann, aber nur wenn man sich dafür einsetzt. Und diesen Einsatz müssen wir bringen, wir alle, auch du und ich.“

Kundgebung: FREE THEM ALL – Samstag, 14. September 2019 – 15 Uhr vor der US Botschaft am Pariser Platz.

Weitere Infos gibt es auch unter: www.mumia-hoerbuch.de