Zehn Jahre nach dem Massaker von Til Hasil und Til Eran
Das Massaker von Til Eran und Til Hasil in Nordsyrien jährt sich zum zehnten Mal. Dschihadistische Söldner und PDK/ENKS-Söldner ermordeten mindestens 54 Kurd:innen in den Dörfern bei Aleppo.
Das Massaker von Til Eran und Til Hasil in Nordsyrien jährt sich zum zehnten Mal. Dschihadistische Söldner und PDK/ENKS-Söldner ermordeten mindestens 54 Kurd:innen in den Dörfern bei Aleppo.
Von den Moscheen in den von Kurd:innen bewohnten Gemeinden Til Hasil und Til Heran in Nordsyrien erklangen am 27. Juli 2013 islamistische Tekbir-Rufe. Danach folgten die Worte: „Die Kurden sind Ungläubige, ihre Frauen, ihre Kinder und ihr Besitz sind für uns Beute!“ Von der Türkei unterstützte dschihadistische Söldnertruppen, gemeinsam mit protürkischen Kollaborateuren der Azadî-Miliz aus den Reihen des kurdischen Nationalrats (ENKS), marschierten in die Dörfer ein. Das Massaker sollte drei Tage dauern und endete erst am 29. Juli 2013. Dabei wurden mindestens 54 Menschen ermordet, von denen sieben geköpft wurden.
Bereits am 24. Juni 2013 hatte es ein Treffen zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und verschiedenen Söldnergruppen gegeben. Dem waren Gespräche mit kurdischen Kollaborateuren über das Vorgehen gegen die Selbstverwaltung von Rojava vorausgegangen. Das Massaker wird als Racheaktion für die Befreiung von Serêkaniyê aus den Händen dschihadistischer Söldner und ENKS-Milizionären angesehen.
Cuma Kalo, Überlebender des Massakers | Foto: ANHA
Anlässlich des Jahrestags des Massakers hat die Nachrichtenagentur ANHA mit dem Überlebenden Cuma Kalo gesprochen. Kalo berichtet über die Täter: „Bei den Gruppen handelte es sich um Liwa Yusif al-Azim, die Saladin-Brigade, die Enkel Saladins, die Kurdisch-Islamische Front, die Azadî-Brigaden und das kurdische Regiment in Ahrar al-Sharqiya." Die Zusammensetzung dieser Gruppen zeigt, dass hier vor allem auch kurdische Kollaborateure beteiligt waren. Auch Kalo erinnert sich an die Rufe, dass alle Kurden „Ungläubige“ seien und Frauen, Kinder und Besitz zur Beute erklärt wurden.
Die Söldner umstellten das leerstehende Gebäude von Jabhat al-Akrad, einer demokratischen Selbstverteidigungseinheit, und blockierten die Straße zwischen Til Hasil und Til Eran. Anschließend ließen sich die Söldner die Häuser von „Apoisten“ zeigen und ermordeten diese. Gleichzeitig wurden viele Menschen, die nach Til Hasil zurückzukehren versuchten, entführt; das Schicksal vieler von ihnen ist weiterhin unbekannt.
In der Zwischenzeit begannen sich die Einwohner:innen zu verteidigen, und es kam zu einem Gefecht zwischen der Bevölkerung und den Söldnern. Die einfallenden Söldnergruppen bekämpften sich teilweise auch gegenseitig, was zu Verletzten führte. Aufgrund des Widerstands forderten die Aggressoren einen Waffenstillstand unter Verweis auf den gerade stattfindenden Fastenmonat Ramadan. Kalo berichtet weiter: „Die Söldner hatten nicht die Absicht, den Angriff zu beenden, sondern wollten Zeit gewinnen, bis Verstärkung eintraf. Daraufhin kamen fast zehntausend Söldner zur Verstärkung. Mit ihrer Ankunft intensivierten die Söldner erneut ihre furchtbaren und brutalen Angriffe."
Das Morden ging weiter
Die meisten Bewohner:innen von Til Eran und Til Hasil hatten die Orte am zweiten Tag verlassen. Kalo fügte hinzu: „Nachdem die Söldner mehr als 30 Menschen, darunter Kinder und Frauen, getötet hatten, wurden Tausende verschleppt. Sie wurden erst nach neun Monaten wieder freigelassen, und das Schicksal von fünf entführten Personen ist immer noch unbekannt. Möglicherweise haben die Söldner sie getötet.“
Kalo verließ Til Hasil am 28. Juli 2013. Er sagt: „Viele Menschen in Til Hasil und Til Eran konnten erst am 1. August 2013 das Gebiet verlassen. Das Massaker wurde bis zum 1. August fortgesetzt, und in der Zwischenzeit haben die Banden am 30. Juli 50 Menschen und am 1. August fast 20 Menschen massakriert." Die Flucht wurde insbesondere durch Scharfschützen der Söldner verhindert. Eine Überlebende berichtete, wie sie mit ihren Eltern vor den Mördern im Auto floh, während ihre Schwester durch die Scheibe am Kopf getroffen und getötet wurde.
Es gibt keine offiziellen Angaben über die Zahl der Opfer des Massakers. Laut Überlebenden wird die Zahl der Opfer auf mehr als 100 geschätzt. Bisher hat sich jedoch keine internationale Organisation mit dem Massaker befasst und konkrete Schritte zur Bestrafung der Täter und Hintermänner unternommen.
Regimesoldaten überlassen Bevölkerung ihren Mördern
Die Flucht über das vom Regime kontrollierte Gebiet war praktisch unmöglich. Regierungstruppen des Assad-Regimes waren in der Nähe von Til Hasil und Til Eran stationiert und forderten die Bewohner:innen der Dörfer auf, sich entweder zu ergeben oder sich allein ihrem Schicksal zu stellen. Die Bewohner:innen weigerten sich, sich den Streitkräften der Regierung in Damaskus zu ergeben, und so nahm das Massaker seinen Lauf. Am Anfang des Massakers wurde das Telefonnetz unterbrochen. Kalo sieht darin keinen Zufall.
Nach dem Massaker
Nach dem Massaker wurde eine Kommission aus neun Vertreter:innen kurdischer Parteien, einschließlich der PDK, eingesetzt, um das Geschehen zu untersuchen. Die Kommission traf sich mit einer dreiköpfigen Delegation aus Til Hasil und Til Eran. Der Ausschuss erhielt von Vertretern der kurdischen Parteien Dokumente über das Massaker. Die Parteien verurteilten das Massaker, mit Ausnahme der PDK, einhellig. Die türkeinahe Barzanî-Partei erkannte das Massaker nicht als solches an und behauptete, es sei zu Zusammenstößen zwischen bewaffneten Gruppen gekommen, was auch ein fadenscheiniger Versuch ist, die eigene Rolle bei dem Massaker zu verschleiern.
Regime griff ebenfalls an
Vier Monate nach dem Massaker griff die Regierung in Damaskus die Dörfer mit Panzerfahrzeugen an. Dabei wurden erneut viele Menschen getötet und zahlreiche Häuser zerstört. Kalo berichtet, die Orte seien den Truppen aus Damaskus von den Söldnern kampflos übergeben worden, was auf ein Abkommen hinweist. Auch die Regimetruppen begannen zunächst zu plündern. Nach Angaben von Cuma Kalo befinden sich Til Eran und das Dorf Til Hasil derzeit unter der Kontrolle der Regimetruppen. Es leben nur noch sehr wenige Menschen, vor allem Alte, dort.