YPJ-Kommandantin: Die Türkei wird zurückgeschlagen

Die Kommandantin des YPJ-Bataillons für schwere Waffen und erste Artilleristin der Revolution von Rojava, Rûbar Qamişlo sagt: „So wie wir die Hand, die sich nach Kobanê ausgestreckt hat, zurückgeschlagen haben, so werden wir es auch in Efrîn tun.“

Die Kommandantin des Bataillons der Frauenverteidigungseinheiten YPJ Rûbar Qamişlo erklärt: „Efrîn, Kobanê und Cizîrê sind eine Einheit. Nicht nur das türkische, sondern auch das iranische und syrische Regime sollten wissen, alle sollten es wissen: Niemand wird dieses Gebiet in seine Hände bekommen. Niemand bekommt das Blut unserer gefallenen Freund*innen in seine Hände. Für eine gefallene Freund*in überwinden wir alle Hindernisse.“

Kommandantin Rûbar Qamişlo beantwortete die Fragen von ANF.

Als eine der ersten Kämpferinnen der Revolution von Rojava haben Sie alle Phasen miterlebt. Können Sie uns von ihren persönlichen Erfahrungen aus den verschiedenen Zeitabschnitten berichten?

Ich kam nach der Gründung der YXG (Selbstverteidigungseinheiten des Volkes, Vorgängerin der YPG/YPJ) dazu. Ich habe an allen Offensiven seit Serêkaniyê teilgenommen. In Til Elo, Mabruka, Minbic, Til Hemis, Kobanê, Şengal, Raqqa; also an allen Fronten Rojavas. Jetzt auch in Dêra Zor.

Die YPG entwickelte sich in der Revolution über drei Stadien: YXG, YPG und QSD. Zur Zeit der YXG waren die Möglichkeiten eingeschränkt. Nur in kleinen Gruppen wurde die Verteidigung von Siedlungen, Dörfern und Stadtvierteln organisiert.

Schritt für Schritt wuchsen diese kleinen Gruppen und die YPG wurde gegründet. Im Rahmen des Kongresses hat die YPG dann ein militärisches System aufgebaut. Die Möglichkeiten wuchsen mit den Zahlen. Mit den Offensiven von 2013, wie auf Til Hemis und Ceza beschleunigte sich das Wachstum und die Entwicklung der YPG. Mit jeder Offensive oder mit jeder befreiten Stadt veränderten sich die kämpfenden Einheiten ebenfalls. Diese zweite Phase dauerte von 2013 bis 2015. Wir befinden uns nun in der dritten Phase. Die Befreiung der Region Cizîrê, von Minbic, Raqqa und nun von Dêra Zor, alle diese Entwicklungen bedingen sich gegenseitig. Jeder Schritt legt die Grundlage für einen Weiteren.

Natürlich gab es in allen Phasen die YPJ. Wenn wir uns den Zeitraum von 2013 bis heute anschauen, dann hat die YPJ die größten Entwicklungen gemacht. Sie hat sich selbst beginnend bei kleinen Gruppen über Teams und Bataillone jetzt als auch als Brigaden organisiert. Es wurde von Einheiten für schwere Waffen, über Einheiten für Attentate und Sabotage, bis hin zur Presse ein ganz eigenständiges militärisches System auf disziplinierte Weise aufgebaut.

Sie waren die erste Artilleristin der YPJ? Der Mörser ist eine schwere Waffe, deren Betrieb von allen als besonders schwierig angesehen wird, warum gerade diese Waffe?

Während der Til-Hemis-Offensive waren wir in einem Dorf umzingelt worden. Ich schaute mich um, jeder wartete darauf, dass endlich jemand mit Mörsern eingriff. Das ist meine Eigenschaft, wenn ich eine schwere, anstrengende Arbeit sehe, dann möchte ich genau die probieren. Auch in der Schule wählte ich den schweren Weg, nämlich den mechanischen Zweig. Ich schaute mich in der YPJ um und sah, dass niemand an den Mörser ging. Nur die Männer machten diese Arbeit. Da sie körperliche Kraft erfordert, wollte keine der Freundinnen diese Arbeit machen. Ich habe mich in der Til-Hemis-Offensive dafür entschieden. Und es ist auch ein Vermächtnis von Şehit Seydo, er listete die Namen einiger Freundinnen auf und wollte, dass sie an dieser Waffe ausgebildet würden.

Richtig, es ist körperliche Kraft notwendig, aber das kriegt man in den Griff. Wir haben als YPJ jetzt unser Artilleristinnen-Bataillon gegründet. Seit vier Jahren nehmen wir an vielen Offensiven als Artillerieeinheit teil, wie in Şengal, Hol, Şedadê, Minbic, Reqqa und Tepqa. Jetzt in Dêra Zor sind wir als eigenständiges YPJ-Bataillon dabei. Wir erfüllen unsere Rolle erfolgreich.

Sie haben von einem gefallenen Freund gesprochen. Können Sie etwas von ihm erzählen?

Bei der YXG waren von Anfang an viele Freund*innen dabei. Mit uns arbeitete Şehit Seydo, er war unser Kommandant und Lehrer. Er war sehr jung. Seine Freundschaft, seine Überzeugung und seine Genossenschaft waren sehr stark ausgeprägt. Er machte uns mit Waffen, der Praxis und der Freundschaft bekannt. Wir sind seine Kämpferinnen. Der gefallene Freund Seydo hat immer gesagt: „Beschäftigt Euch mit den Menschen. So sehr wie ihr Euch mit den Menschen beschäftigt, so stark wird Eure Organisierung sein.“ Die Maßstäbe des gefallenen Freundes Seydo nehmen wir als unsere Grundlage.

Was war für Sie die schwierigste Offensive?

Wir haben viel erlebt, aber die schwerste Zeit war die erste Offensive auf Til Hemis. Wenn ich schwach bin oder ich Schwierigkeiten habe, dann gehen mir die Worte der gefallenen Freundinnen Sozdar und Devrim nicht aus den Ohren. Im Dorf Hisêni gab es zwischen uns und dem Feind keinerlei Abstand. Sie umzingelten uns. Es war sehr nebelig. Wir konnten die Hand nicht vor den Augen sehen. Man konnte nichts machen. Ich sage das immer wieder zu mir selbst. Wenn ich ihre Stimmen in meinen Ohren höre, dann gibt mir das Kraft. Warum? Weil es die Stimme einer Frau war. Ich kannte sie nicht. Ich habe nur ihre Stimme gehört, die sagte: „Die Freundin Devrim ist gefallen.“ Nachdem sie uns Devrims Tod mitgeteilt hatte, ist sie selbst gefallen.

Das was bei der Minbic-Offensive passiert ist, kann ich ebenfalls nicht vergessen. Bei dieser Offensive war ich Artilleristin und in der Leitung. Die Offensive auf Minbic war sehr groß. Überall wollten sie Mörser haben. Manchmal wussten wir nicht an welche Front wir gehen würden. Als ich eine Panzerfahrerin im Bataillon fragte wo ihre Freundin sei, sagte sie, diese sei Gefallen. Da war ich wie eingefroren. Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich jetzt Mörser abfeuern oder zur gefallenen Freundin gehen sollte.

Immer wenn ich mich an diese Momente erinnere, sage ich mir, auch wenn es nur für die schweren Zeiten, die wir erlebt haben, ist – es ist notwendig Widerstand zu leisten. Es ist schwer zu ertragen, dass immer wenn wir von einer Offensive zurückkommen, einige Freund*innen nicht mit uns zurück kommen. Weil wir sie nicht schützen konnten, weil wir sie nicht mit uns zurückbringen konnten, sind wir einerseits erschüttert, andererseits aber auch bewusster. Jede befreite Stadt hat Geschichte geschrieben. Es gibt viel mehr zu erzählen, was noch niemand in Worte fassen konnte.

Sie kämpfen gerade in Dêra Zor gegen den IS, der türkische Staat versucht in Efrîn einzumarschieren. Wie bewerten Sie diese Situation?

Der türkische Staat hat während der Offensive zur Befreiung von Raqqa den Luftangriff in Şengal und Qereçox [YPG/YPJ Hauptquartier] durchgeführt. Şengal und Qereçox werden niemals vergessen werden. Und wir haben uns nicht aufhalten lassen und haben Raqqa befreit. Wir sind nach Dêra Zor gekommen und die Befreiung steht kurz bevor. Jetzt greift die Türkei Efrîn an. Die Türkei soll folgendes wissen: Als sie versucht hat Kobanê zu ergreifen, haben wir sie zurückgeschlagen. Wir werden ihr Efrîn nicht überlassen. Bis zur letzten Kämpfer*in der YPJ und YPG werden wir Efrîn verteidigen. Efrîn, Kobanê und Cizîrê sind eine Einheit. Nicht nur die Türkei, auch das iranische und syrische Regime sollten wissen, dass niemand dieses Land besetzen kann. Niemand wird da Blut unserer Gefallenen in die Hände bekommen. Wir überwinden, auch für nur eine gefallene Freund*in, alle Hindernisse.