Efrîn-Tagebuch: Wer kämpft, lacht am schönsten

Die Journalistin Medya Doz schildert in ihrem „Efrîn-Tagebuch“ ihre Erlebnisse und Beobachtungen im Kriegsgebiet.

Wir sind im Bezirk Cindirês in Efrîn. Hier ist die Hitze des Krieges ständig spürbar. Alle 45 Minuten schlägt eine Granate ein. Wer seine Kinder an einem geschützten Ort festhalten kann, kann sich glücklich schätzen. Sie kümmern sich nicht um die Granateinschläge. Während ihre Mütter versuchen, sie von der Straße einzusammeln, rennen sie los und rufen Parolen: „Yek dido sisê Efrînê na tirsê“. Mein Gott, von welchem Geist sind sie beseelt? Wie sind diese Kinder so geworden? Sie lösen Verblüffung aus. Jeder Granateinschlag fühlt sich an wie ein Erdbeben, aber die Kinder rufen nach jeder Explosion aus vollem Hals Parolen. Haben sie sich bereits daran gewöhnt? Es sind Kinder, können sie sich an den Krieg gewöhnen? Sie haben sich verändert, diese Kinder. Vor zehn Tagen waren sie noch nicht so. Sie haben geweint, wenn sie eine Explosion gehört haben. Jetzt weinen sie nicht mehr. Ich kann keine Begründung dafür finden. Keine soziologische Analyse kann diese Situation erklären. Die Kinder haben sich verändert und ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist. Ist diese Veränderung einfach ein Bedarf, der sich aus der Situation heraus ergibt? Diese Kinder, deren Eltern entschlossen sind, sich nicht in die Flucht treiben zu lassen, versuchen vielleicht auf diese Weise, mit dem Leben zurechtzukommen. Vielleicht reicht auch einfach mein Verstand nicht aus, um diese kleinen Menschen zu begreifen. Wir lassen die Kinder zurück und gehen weiter.

Die Familien, die wir auf dem Weg sehen, arbeiten wie Kampfeinheiten. Ein Jugendlicher lacht uns an: „Me bavkê xwe kirîye bölük komitanî" (Wir haben unseren Vater zum Kommandanten erklärt). Wir lachen zurück. Sie leisten Widerstand, warum sollten sie auch weinen? Lachen steht vor allem denjenigen gut, die Widerstand leisten. Wer nicht kämpft, lacht nicht halb so schön wie die Kämpfenden.

Ja, noch vor einem Monat deutete an diesem Ort nichts auf einen Krieg hin. Jetzt werden Verteidigungsstellungen ausgebaut. Die Häuser werden in Stellungen verwandelt. Die Menschen, die jahrelang in einem Haus gewohnt haben, das voller Erinnerungen steckt, reißen mit Vorschlaghammern Löcher in die Wände, um im Fall eines Gefechts Schießscharten zu haben. Kinder schleppen Steine zu ihren Vätern, Jugendliche halten Wache, Mütter kochen Essen für die Front, Frauen stehen bewaffnet am Kontrollpunkt. Die Kriegsvorbereitungen scheinen für die ganze Familie zur Alltagsroutine geworden zu sein. Das ist es wohl, was man als Realität eines kämpfenden Volkes bezeichnet.

Wir gehen zu den weiter vorne liegenden Stellungen. Auch hier arbeiten die Volkskommunen und die Kämpfer*innen intensiv. Die Atmosphäre ist herzlich. Eine der Kämpferinnen in der Stellung kenne ich. Es ist Tekoşin, die quirlige Tekoşin, die nicht stillhalten kann und in nur fünf Minuten fünf gute Witze reißen kann. Sofort bringt sie uns zum Lachen. „Dieser Krieg ist überhaupt nicht gerecht. Ich wiege vierzig Kilo und der türkische Staat feuert tonnenschwere Mörsergranaten ab“, sagt sie. Meiner Meinung nach sollte sie Justizministerin in einem freien Land werden. Ihre Hände sind staubverschmiert und sie strahlt mit ihrem kleinen Körper eine Energie aus, die größer als das Universum ist.

Und dann ist da noch Xebat. Xebat kenne ich aus dem Kampf um Kobanê. Auch damals habe ich ihn an der Front getroffen. Er redet immer noch so schnell wie ein Kind. Seine Aufregung hat nicht nachgelassen. Als die Stimmung etwas vertraulicher wird, erzählt er, wie er nach Efrîn gekommen ist. Er ist tatsächlich von seiner Einheit weggelaufen. Während er schildert, wie er sich im Kofferraum eines Autos versteckt und stundenlang kaum Luft bekam, blickt er sich um, als könne er immer noch jeden Moment erwischt werden. Wir sind jedoch alle ziemlich tolerant in dieser Situation und verurteilen ihn nicht. Manches ist einfach eine Frage des Gewissens. Jedes Herz muss sein eigenes Lied singen und jeder Mensch muss auf sein Herz hören. Und in allen Kämpferinnen und Kämpfern steckt ein bisschen Verrücktheit. Xebat hat so eine Verrücktheit begangen. „Tja, ich habe es nicht aushalten können, als ich die Bilder der getöteten Kinder gesehen habe“, sagt er. Man kann es ja auch nicht aushalten. Wer es irgendwie schafft, kommt her. Wirkliche Kämpfer*innen können nicht die Augen verschließen, wenn ihr Land vergewaltigt wird. Xebat hat den verzweifelten Kampf um Kobanê erlebt. Was Efrîn bedeutet, versteht er daher am besten. Und alle Kämpfer*innen wissen, dass die Geschichte jetzt stattfindet. Die Geschichte ist das Land derer, die im Blau eine Spur hinterlassen, mein Freund. Kannst du den Himmel nicht erobern, musst du eben alles in hoffnungsvollem Blau anstreichen. So verrückt und ebenso entschlossen solltest du sein…

YENİ ÖZGÜR POLİTİKA