Selbstverwaltung muss Hilfskonvoi zurückziehen

Über eine Woche stand ein Konvoi der AANES an der Grenze zur türkischen Besatzungszone bereit, um Erdbebengebiete im Nordwesten Syriens mit Diesel und Hilfsmitteln zu versorgen. Da bis zuletzt keine Durchfuhrgenehmigung erteilt wurde, zog die Kolonne ab.

Der Krisenstab der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien (AANES) hat einen für die Erdbebengebiete im Nordwesten des Landes vorgesehenen Hilfskonvoi zurückgezogen. „Nach mehr als einer Woche des Wartens blieb uns bis heute der Zugang in die von der Türkei besetzten Gebiete in der syrischen Erdbebenregion verwehrt“, sagte Sadiq al-Khalaf vom Krisenstab der Selbstverwaltung am Donnerstag an der informellen Grenze zwischen Autonomieregion und türkischer Besatzungszone. „Trotz intensiven Bemühungen ist es uns nicht gelungen, eine Einfuhrgenehmigung in die Besatzungszone zu erhalten, um die von der Erdbebenkatastrophe betroffene Bevölkerung in Efrîn mit unserer Nothilfe zu versorgen. Schweren Herzens, aber notwendigerweise, haben wir uns dazu entschlossen, die Hilfskolonne zurückzuziehen.“

Erbebenhilfe der AANES wird blockiert

Seit vergangener Woche Mittwoch stand ein großer Hilfskonvoi in der Nähe von Manbidsch (Minbic) bereit, um von der Selbstverwaltung bereitgestellte Erdbebenhilfe nach Efrîn zu bringen - Tankwagen mit Kraftstoff zum Heizen und zum Betanken der Räumfahrzeuge sowie Medizin, Decken, Zelte und Lebensmittel. Weitere Kolonnen waren für Gebiete unter Kontrolle des syrischen Regimes, vornehmlich Aleppo, sowie den Kanton Şehba vorgesehen. Nach zähen Verhandlungen mit Damaskus konnte eine Kolonne aus rund hundert Trucks mit Diesel in der Nacht zum Donnerstag endlich das Regimegebiet passieren – allerdings nur unter der Auflage, dass 60 der Tankfahrzeuge abgegeben werden. Die restlichen knapp 40 Fahrzeuge werden immer wieder aufgehalten und haben bisher weder Şehba noch den kurdischen Stadtteil Şêxmeqsûd in Aleppo erreicht.

Dieseltanker der Selbstverwaltung fahren in der Nacht Richtung Aleppo ab

Dreißig weitere Kraftstofftanker und 20 LKW mit humanitären Hilfsmitteln waren für die Bevölkerung in Efrîn bestimmt. Diese haben sich mittlerweile zurück auf den Weg in die nordostsyrische Autonomieregion gemacht. „Verantwortlich dafür sind einzig die türkische Besatzungsmacht und ihrer Söldner, die humanitäre Not politisieren und ihre Interessen über das Leid der Bevölkerung stellen“, kritisiert Sadiq al-Khalaf. „Dabei ist es unsere moralische Verpflichtung, in Zeiten einer Katastrophe diesen Ausmaßes zusammenzustehen und zu helfen, ungeachtet von politischen und ideologischen Unterschieden.“

Klare Positionierung: Hilfe ohne Diskriminierung

Die Selbstverwaltung habe von Anfang an eine klare Position gehabt, führte al-Khalaf weiter aus. „Hilfe ohne Diskriminierung an alle vom Erdbeben betroffenen Menschen verteilen – ganz gleich in welchem Teil Syriens sie sich befinden. Denn das ist im Angesicht dieser Katastrophe nicht nur eine moralische Pflicht, sondern auch ein menschliches und rechtliches Bedürfnis.“

Leider herrsche auf der anderen Seite der informellen Grenze eine Mentalität vor, die „Katastrophenhilfe nicht als eine von den Menschenrechten abgeleitete Pflicht sieht.“ Der Krisenstab der Selbstverwaltung wiederholte zudem seinen Appell an die internationale Gemeinschaft, sich für die Öffnung aller Grenzübergänge nach Syrien einzusetzen, um Hilfslieferungen in die syrischen Erdbebengebiete sicherzustellen.

Sadiq al-Khalaf (r.) gehört zum Krisenstab für die Koordinierung der nordostsyrischen Erdbebenhilfe und ist zudem Ko-Vorsitzender der Kraftstoffbehörde in der AANES


Der vom Regime aufgehaltene Hilfskonvoi des Kurdischen Roten Halbmonds (Heyva Sor a Kurd) konnte den Übergang nach Aleppo ebenfalls noch nicht passieren. Wie Fee Baumann gegenüber ANF äußerte, dauern die Verhandlungen mit dem syrischen Regime weiter an. Neben der kurdischen Rothalbmondorganisation setzen sich auch internationale Einrichtungen sowie Politikerinnen und Politiker bei Damaskus für eine Durchfuhrgenehmigung ein – bislang allerdings vergeblich. Zuletzt habe sich sogar die italienische Regierung eingeschaltet, um grünes Licht für den Hilfskonvoi zu bekommen.

Die Kolonne besteht aus zwei medizinischen Ambulanzen und mehreren Lastwagen mit Hilfsgütern wie Zelten, Decken, Medikamenten, Lebensmitteln, Babynahrung und Wasser. Zu dem Team gehört auch medizinisches Personal, darunter Ärzt:innen und Sanitäter:innen. Das Regime verlangt als Auflage, einen Großteil der Hilfsgüter dem Syrisch-Arabischen Roten Halbmond (SARC) zu überlassen. Das ist für Heyva Sor a Kurd inakzeptabel. Die Organisation befürchtet, dass die Hilfe nicht da ankommen wird, wo man sie benötigt. Der SARC arbeitet eng mit Damaskus zusammen und gilt als korrupt.

Zahl der Toten steigt auf mehr als 42.000

Zehn Tage nach den heftigen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet ist die Zahl der Toten indes auf mehr als 42.000 gestiegen. In der Türkei kamen laut dem Katastrophendienst Afad etwa 36.200 Menschen ums Leben. Aus Syrien meldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zuletzt rund 6.000 Tote.