Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag – ein Tag, der daran erinnern soll, dass Millionen von Menschen gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Mehr als 100 Millionen Menschen, das sind etwa ein Prozent der Weltbevölkerung, befinden sich aktuell auf der Flucht. Ende vergangenen Jahres hatte das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) noch eine Zahl von 89,3 Millionen Menschen genannt, doch der russische Krieg gegen die Ukraine hat für einen neuen Rekord gesorgt.
Krieg und Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, Hunger sowie Klima und Umwelt sind die häufigsten Gründe, aus denen Menschen ihre Heimat verlassen. Mit 6,8 Millionen Menschen verzeichnet Syrien die meisten Flüchtlinge. Nicht mit eingerechnet sind die etwa eine Million Binnenvertriebenen aus verschiedenen Regionen des Landes sowie aus dem Irak, die im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien leben. Ein Großteil dieser Geflüchteten wohnt in kriegszerstörten Ruinenlandschaften und verlassenen Dörfern. Allein 200.000 von ihnen stammen aus Efrîn, die seit der Invasion 2018 im wüstenähnlichen Kanton Şehba leben. Nur etwa 150.000 Vertriebene, die Zugang zu UN-Flüchtlingshilfe haben, leben in sechzehn offiziellen Zeltstädten. Etwa hundert informelle Lager und Ansiedlungen sind über das gesamte Autonomiegebiet verstreut und werden hauptsächlich von der Selbstverwaltung und dem Kurdischen Roten Halbmond (Hevya Sor a Kurd) versorgt, da es sich nicht um anerkannte UN-Camps handelt.
Zwar sind auch internationale Hilfsorganisationen im Nordosten von Syrien aktiv, ihre Kapazitäten reichen aber bei Weitem nicht aus, um den Bedarf zu decken. Zudem werden täglich weitere Menschen durch Kriegshandlungen der Türkei und ihrer dschihadistischen Verbündeten in die Flucht getrieben. Die Autonomieverwaltung ist mit der Versorgung der Flüchtlinge überfordert. Deshalb hat sie die Vereinten Nationen anlässlich des Weltflüchtlingstags erneut dazu aufgefordert, ihrer „Verantwortung gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern der Camps“ in Nord- und Ostsyrien gerecht zu werden.
„Die zuständigen Organisationen der UN müssen ihre Pflicht den zu Tausenden in den Lagern unserer Gebiete lebenden Menschen gegenüber erfüllen. Wir fordern die Bereitstellung von humanitären Hilfsgütern, Nahrung und anderen Mittel des Grundbedarfs, da die Kapazitäten der Autonomieverwaltung angesichts der großen Zahl an Binnenvertriebenen und Geflüchteten nicht ausreichen“, erklärte die Selbstverwaltung am Montag in einer Mitteilung. Gefordert wird auch Druck auf die Türkei durch die UN, um einen Abzug aller türkischen Besatzungstruppen und dschihadistischen Verbündeten zu erwirken und den in der Besatzungszone vorangetriebenen Siedlungsbau und den damit einhergehenden Demografiewandel zu stoppen.
An den Sicherheitsrat der UN appelliert die Autonomieverwaltung, den wichtigen Grenzübergang in Til Koçer (al-Yarubiyah) zwischen Nord- und Ostsyrien und dem Irak wieder für den UN-Mechanismus zu öffnen. Durch die Schließung dieses Grenzübergangs Anfang 2020 sind keine UN-Hilfslieferungen aus dem Irak mehr möglich. Das hat die humanitäre Krise im Nordosten Syriens verschärft, da die Hilfslieferung über Damaskus nur verzögert ankommen – wenn überhaupt. Der einzige formale humanitäre Grenzübergang nach Syrien ist Bab al-Hawa gegenüber der türkischen Provinz Hatay, über den Hilfslieferungen aus der Türkei die Provinz Idlib erreichen.
„Trotz der Belagerung Syriens und der Schließung nahezu aller Grenzübergänge hat die Autonomieverwaltung Tausende vertriebener Syrer:innen und irakische Flüchtlinge aufgenommen. Sie hat trotz ihrer begrenzten finanziellen Möglichkeiten und den Embargos Lager errichtet und daran gearbeitet, die Lebensgrundlagen für tausende Geflüchtete und Vertriebene zu sichern.“ Nun sei es Zeit für eine Umkehr hin zu einer solidarischen und nachhaltigen UN-Politik für alle Flüchtlinge in Nord- und Ostsyrien. Als einen wichigen Schritt betrachtet die Selbstverwaltung die Anerkennung der informellen Lager im Autonomiegebiet.