In den letzten Wochen hat eine massive Kräfteverschiebung in den türkisch besetzten Gebieten in Nord- und Ostsyrien stattgefunden. Der Al-Qaida-Ableger Hayat Tahrir al-Sham (HTS) hat in vielen Gebieten die Kontrolle übernommen und wurde sogar über türkisches Staatsgebiet in die besetzte Region um Serêkaniyê und Girê Spî geschleust.
Hochrangiges Treffen mit Dschihadistenführer
Wie Recherchen der Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) ergeben haben, hat am 2. November in der nordkurdischen Stadt Dîlok (tr. Antep) ein Treffen zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT und der Führung der sogenannten „Freien Syrischen Armee“ sowie in Atme mit dem Al-Qaida-Ableger HTS stattgefunden. Dabei sei es um die Ausweitung der besetzten Gebiete und um einen neuen Angriff gegen Rojava gegangen. Wie MA berichtet, hat an dem geheimen Treffen zwischen MIT und HTS unter anderem der für unzählige Verbrechen verantwortliche Führer der Gruppe, al-Jolani, teilgenommen. Al-Jolani ist der ehemalige Chef von al-Qaida Syrien (Jabhat al-Nusra) und das Pendant zum damaligen IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi.
Deal mit HTS um Efrîn und Gebiete westlich der M4
Wie zu erfahren war, wurde bei diesem Treffen beschlossen, dass HTS-Truppen langfristig sowohl in Efrîn-Stadt als auch in der Umgebung bleiben und in Efrîn als Mitglieder der islamistischen Gruppe Ahrar al-Sham (Mitglied in der türkeitreuen Söldnerkoalition „Syrische Nationalarmee", SNA) auftreten sollen. Der MIT habe außerdem HTS angewiesen, im Zentrum von Efrîn ein militärisches Komitee einzurichten und bis Kafr Jenne militärische Stellungen aufzubauen. Bei dem Treffen habe der MIT versucht, HTS dazu zu bewegen, die mit Russland getroffenen Vereinbarungen zu akzeptieren. Demnach sei gefordert worden, dass die Gruppe die Kontrolle über die Gebiete westlich der Schnellstraße M4 an das syrische Regime und Russland abtreten. Im Gegenzug werde HTS gestattet, die Kontrolle über Efrîn und das Umland zu übernehmen.
Neue militärische Organisation in Idlib
HTS war von Idlib aus in Efrîn einmarschiert und hatte die Bezirke Cindirês und Şiyê der SNA-Söldnergruppe al-Amshat (Suleyman Shah-Brigade) abgenommen. HTS gründete gleichzeitig in Idlib eine neue militärische Formation, die sogenannte „Hamza bin Abdul Muttalib Brigade“. Diese Formation bestand zunächst aus 400 Personen, die sechs Monate lang militärisch ausgebildet wurden. Offenbar werden diese Kräfte von den Dschihadistenmilizen Ahrar al-Sham und Jaysh al-Nasr übernommen. Auf diese Weise scheint HTS seine Vorherrschaft in Idlib weiter aufrecht erhalten zu wollen.
Türkei setzt „FSA“ unter Druck
Vergangene Woche fand auch ein Treffen zwischen dem MIT und der Führung der sogenannten „Freien Syrischen Armee“ statt. Das auf vier Stunden angesetzte Treffen war bereits nach 40 Minuten beendet. Der MIT konnte die FSA in vielerlei Hinsicht nicht von seinen Vorhaben überzeugen. Insbesondere ging es um die Präsenz von HTS in Efrîn, die für die FSA-Milizen einen massiven Machtverlust bedeutet. Das Gespräch sei ergebnislos beendet worden. An dem Treffen nahmen Fehim Isa als Vertreter der Söldnergruppe Sultan Murad-Brigade, Mohammed al-Jasim von der Suleyman-Shah-Brigade sowie Sheikh Polat Abubakr und Hutham Yasin teil.
„Beschlüsse“ des MIT
Die dennoch auf der Versammlung vom MIT vorgeschriebenen „Beschlüsse“, die der Geheimdienst als Resultate des Treffens konstatiert, die aber mit großer Wahrscheinlichkeit von den Söldnergruppen nicht umgesetzt werden, lauten: Alle militärischen Operationsräume und Einrichtungen, die von paramilitärischen Gruppen eingerichtet wurden, werden geschlossen. Alle Gruppen werden unter einem einzigen militärischen Dach vereinigt. Die Kontrolle der militärischen Punkte im Zentrum von Efrîn wird an die noch aufzubauende Gruppe „Zivilpolizei“ übergeben. Der Islamische Rat wird nur noch Scharia-Fatwas erlassen, und Konflikte zwischen Fraktionen werden vor einem Militärgericht behandelt. Das Treffen wird nichts an der Stationierung der HTS im Zentrum und der Umgebung von Efrîn ändern. Den Fraktionen wurden Strafen angedroht, falls sie an Russland und die USA berichten würden.
MIT kann sich offenbar nicht gegen Söldnerchefs durchsetzen
Nach Informationen aus der Region haben die Söldner in den türkisch besetzten Regionen al-Bab, Mare und Efrîn entgegen den Plänen des MIT mit den Vorbereitungen für Proteste gegen den türkischen Staat begonnen. Es wird berichtet, dass die Türkei, die zuvor zahlreiche Treffen mit den von ihr kontrollierten paramilitärischen Gruppen in Idlib, Efrîn, Hatay und Kilis unter der Leitung des MIT abgehalten hatte, auch bei diesen Treffen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielen konnte.