Minbic ist zu neuem Leben erwacht
Emel Dede vom Legislativrat der demokratischen Zivilverwaltung von Minbic erklärt: „Wir haben alle gemeinsam gearbeitet, alle unseren Willen und unsere Mühen beigesteuert und so Minbic wieder zum Leben erweckt.“
Emel Dede vom Legislativrat der demokratischen Zivilverwaltung von Minbic erklärt: „Wir haben alle gemeinsam gearbeitet, alle unseren Willen und unsere Mühen beigesteuert und so Minbic wieder zum Leben erweckt.“
Emel Dede ist als Vertreterin der turkmenischen Bevölkerung Teil des Legislativrats der demokratischen Zivilverwaltung von Minbic. Sie erklärt, dass durch das neue System alle Teile der Gesellschaft in der Selbstverwaltung der Stadt ihren Platz finden: „Wir haben den Ko-Vorsitz installiert. Allein dadurch haben wir schon ein demokratisches System in die Wege geleitet. Der Anteil der Frauen in der Verwaltung beträgt 50 Prozent. Die Leitung der Selbstverwaltung besteht aus 132 Personen. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind entsprechend ihrer Bevölkerungsanteile darin vertreten. Das heißt, die Verwaltung besteht aus 71 arabischen, 41 kurdischen, zehn turkmenischen, acht tscherkessischen und einem armenischen Vertreter. In Minbic lebt aktuell nur eine armenische Familie. Uns war es dennoch wichtig, dass ein Vertreter aus dieser Familie Teil der Verwaltung ist. Ein solch demokratisches System gab es hier in Minbic noch nie“, berichtet Dede.
Als turkmenische Frau hat Emel Dede zuvor auch schon die Herrschaftszeit des syrischen Regimes, der Freien Syrischen Armee (FSA) und des Islamischen Staat (IS) in ihrer Heimatstadt erlebt. Sie beantwortete die Fragen unserer Nachrichtenagentur zum Leben in Minbic mit dem neuen Gesellschaftsmodell.
Minbic hat die Herrschaftszeiten des Baath-Regimes, der FSA und des IS durchlebt. Können Sie uns etwas über diese Epochen sagen?
Unter der Baath-Regierung hatten wir keine Rechte. Die Macht lag in der Hand einer kleinen Schicht aus Staats- und Regierungsvertretern. Eigentlich ist Syrien ja ein reiches Land an Erdbodenschätzen. Und in Syrien leben Araber, Turkmenen, Kurden, Tscherkessen, Suryoye und Armenier, also praktisch fast alle Völker des Mittleren Ostens. Doch diese Völker haben zu keiner Zeit von dem Reichtum des Landes in irgendeiner Weise profitiert. Alle Einrichtungen, Vereine und Schulen standen unter der Rigide des Regimes.
Nach dem Regime kam die Freie Syrische Armee. Es gab nur sehr wenige bewaffnete Einheiten, die aus Minbic selbst stammten. Immer wenn vier oder fünf Personen zusammenkamen, wurde eine neue militärische Einheit gegründet. Es wurden überall militärische Checkpoints eingerichtet und jedes Mal, wenn man einen dieser Punkte passieren wollte, musste man der jeweiligen Miliz Geld zahlen. Sie belästigten die Menschen. Wohlhabende Menschen wurden regelmäßig entführt und dann gegen die Zahlung hoher Summen freigepresst. Solche Situationen erlebten wir häufig.
Die Kämpfe zwischen dem IS und der FSA haben dann nicht lange gedauert. Es gab eine Nacht und zwei Tage Kämpfe. Dann übernahm der IS die Kontrolle und das war die schrecklichste Zeit, die Minbic je erlebte. Es wurde direkt das IS-System hier installiert. Hinrichtungen durch Köpfen oder von Häusern stoßen, passierten plötzlich sehr oft. Das war eine grausame Zeit.
Sie waren an der Phase der Befreiung von Minbic beteiligt. Was erlebten Sie diese Zeit?
Am 1. Juni 2016 wurde von Seiten des Militärrates von Minbic, den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) sowie den YPG- und YPJ-Einheiten die Operation zur Befreiung von Minbic verkündet. Diese Verkündung folgte auf die Aufrufe der Lokalbevölkerung hier. Während der gesamten Befreiungsphase leisteten wir als Bevölkerung Unterstützung.
Vor Beginn der Operation waren in der Stadt Sirin der Militärrat und der Zivilrat von Minbic begründet worden. Der Zivilrat folgte dem Militärrat stets in die Gebiete, die vom IS befreit wurden. In den befreiten Gebieten wurde der Bevölkerung Hilfe geleistet. Der Zivilrat kümmerte sich um die Behausung, das Essen und das Trinken der Menschen in diesen Gebieten.
Die QSD schöpften aus der Unterstützung der Bevölkerung Kraft und konnten dadurch die Stadt befreien. Nach der Befreiung wurden mit denselben Kräften die Minen in der Stadt geräumt. Binnen zwei Monaten waren die meisten Sprengfallen des IS aus der Stadt schon beseitigt worden.
Wir haben Sie anschließend das neue Gesellschaftsmodell in der Stadt aufgebaut?
Es hatten heftige Kämpfe stattgefunden, bei denen große Schäden in der Stadt entstanden waren. Doch nicht nur die Minen wurden schnell geräumt, auch die Brücken wurden repariert und die Schulen von neuem eingerichtet. Die Zivilverwaltung von Minbic arbeitete mit einer Vielzahl von Kommissionen, die alle in ihren Bereichen großartige Arbeit leisteten.
Vier bis fünf Monate nach der Befreiung unserer Stadt organisierten wir den Zivilrat der Stadt neu. Wir haben einen Exekutiv- und einen Legislativrat gegründet. Die Gründung der demokratischen Zivilverwaltung von Minbic wurde feierlich verkündet. Dann haben wir je nach Bedarf Kommissionen und Komitees gebildet. Um Minbic herum gibt es viele Dörfer. In den Dörfern wurden Kommunen gegründet und die haben sich auch entsprechend ihrer Bedürfnisse in Komitees aufgeteilt.
Als Bevölkerung von Minbic dursteten wir geradezu nach einer Form der Selbstverwaltung. Denn wir hatten verschiedene Herrschaftsformen durchlebt und keine von ihnen war auch nur eine Spur demokratisch. Dann haben wir den Faschismus des IS durchlebt. Durch unsere eigenen Anstrengungen gelang es uns, die dabei entstandenen Wunden heilen zu lassen.
Mit der Motivation und Kraft, mit der wir für die Befreiung von Minbic unser Blut ließen, haben wir auch unser Gesellschaftsmodell aufgebaut. So hat sich ein vertrauensvolles und sicheres Umfeld etabliert. Die Frauen habe ihre Rechte erkämpft und nehmen nun in allen Teilen der Leitung und des Lebens ihre Rolle ein. Natürlich waren die Ideen und die Philosophie Abdullah Öcalans prägend auf diesem Weg. Wir als Frauen aus Minbic wissen sehr genau, dass uns unsere Rechte nicht von unseren Vätern, unseren Brüdern oder sonst wem geschenkt werden. Doch nun nehmen wir unseren Platz in der Selbstverwaltung, im Militär, in der Politik, in den Sicherheitskräften, in der Wirtschaft, im Verkehrswesen und überall sonst ein.
Nicht nur für die Frauen, sondern für die gesamte Gesellschaft wurde das Recht geschaffen, überall in der Selbstverwaltung einen Platz einzunehmen und die eigene gesellschaftliche Gruppe zu repräsentieren. Wir haben alle gemeinsam gearbeitet, alle unseren Willen und unsere Mühen beigesteuert und so Minbic wieder zum Leben erweckt. Die Zivilverwaltung von Minbic gibt es noch keine zwei Jahre. Doch in dieser kurzen Zeit haben wir hier mehr geschafft, als jeder große Staat zustande bringen würde.
Wie organisiert sich der demokratische Zivilrat von Minbic aktuell?
Wir haben den Ko-Vorsitz installiert. Allein dadurch haben wir schon ein demokratisches System in die Wege geleitet. Der Anteil der Frauen in der Verwaltung beträgt 50 Prozent. Die Leitung der Selbstverwaltung besteht aus 132 Personen. Alle gesellschaftlichen Gruppen sind entsprechend ihrer Bevölkerungsanteile darin vertreten. Das heißt, die Verwaltung besteht aus 71 arabischen, 41 kurdischen, zehn turkmenischen, acht tscherkessischen und einem armenischen Vertreter. In Minbic lebt aktuell nur eine armenische Familie. Uns war es dennoch wichtig, dass ein Vertreter aus dieser Familie Teil der Verwaltung ist. Ein solch demokratisches System gab es hier in Minbic noch nie.
Der türkische Staat bedroht Minbic seit der Befreiung der Stadt permanent. Nun kam es zu einer Einigung zwischen den USA und der Türkei in Sachen Minbic am 4. Juni. Wie bewerten Sie das?
Wir können nicht verleugnen, dass wir bei der Wiederbelebung von Minbic mit der Unterstützung der Internationalen Koalition rechnen konnten. Doch dieses Abkommen akzeptieren wir nicht. Minbic wurde durch die Männer und Frauen der Stadt befreit. Viele ließen dabei ihr Leben. Die aufgebauten Institutionen und Einrichtungen der Stadt werden von der Bevölkerung selbst geleitet. Wenn also ein Abkommen über diese Stadt getroffen wird, dann sollten wir an der Ausarbeitung dieser Vereinbarung teilnehmen.
Teilen Sie das auch den USA und der Internationalen Koalition mit? Wenn ja, wie reagieren sie darauf?
Natürlich, wir sagen ihnen, dass wir eine Seite der Vereinbarung sein müssen, wenn über Minbic etwas beschlossen wird. Auch sie wissen, dass in Minbic Sicherheit und Stabilität vorherrschen. Wir haben ihnen auch Dutzende Male mitgeteilt, dass wir weder den türkischen Staat noch ihre Banden in unserer Stadt haben wollen. Wir haben sie auf die undemokratischen und instabilen Verhältnisse in den Orten Syriens verwiesen, die von der Türkei besetzt werden. Sie sagten, dass die türkische Armee nicht nach Minbic vordringen werde. Sie soll sich demnach auf der anderen Seite des Sacur-Stromes aufhalten. Was uns verwundert hat, war die darauffolgende Aussage der Koalition, dass Terroristen kein weiteres Mal nach Minbic hineingelassen würden. Damit meinten sie nicht nur den IS. Denn wir alle wissen, dass die Türkei den IS groß gemacht hat. Als der IS hier geherrscht hat, fühlte die Türkei sich nicht gestört. Sie empfand ihre Staatsgrenzen nicht als bedroht. Doch nach der Befreiung von Minbic setzte die Türkei plötzlich das Thema Sicherheit auf die Tagesordnung.
Wir als Menschen aus Minbic kennen die FSA und die Kämpfer des „Schutzschild Euphrat“ sehr gut. Wir wissen, dass es zwischen ihnen, dem türkischen Staat und dem IS keine großen Unterschiede gibt.
Was sind Ihre Pläne für die nahe Zukunft?
Wir werden nicht davon abrücken, in Minbic die Demokratie aufzubauen und weiterzuentwickeln. Wir vertrauen auf unseren gesellschaftlichen Willen. Mit dieser Kraft werden wir unsere Arbeit fortsetzen.
Natürlich haben wir Projekte, die wir in der kommenden Zeit verfolgen werden. Wir werden unser Gesellschaftsmodell weiterentwickeln. Wir lernen durch das Ausprobieren. Für die nächste Zeit wollen wir an einigen Schnittstellen unseres Systems Veränderungen vornehmen. Wir wollen die Schulen und unserer Lehrer weiterentwickeln. Im Bereich der Ökonomie haben wir einige Fortschritte gemacht. Die Frauen sind nun Teil des wirtschaftlichen Lebens. Wir haben viele kleine Betriebe und Kooperativen gegründet. Das wollen wir auch in Zukunft weiter ausbauen. Die Landwirtschaft, der Handel und die Industrie wurden wiederbelebt. Auch hier haben wir viel erreicht in den letzten zwei Jahren. Doch unsere Arbeiten gehen weiter. In allen Lebensbereichen wollen wir weiter vorankommen. Unsere Komitees werden mit konkreten Projekten ihre Arbeit fortsetzen.