Durch die am 9. Oktober gestartete Invasion der Türkei in den selbstverwalteten Gebieten Nordsyriens sind mehr als 300.000 Menschen in die Flucht getrieben worden. Die Städte Serêkaniyê (Ras al-Ain) und Girê Spî (Tall Abyad) wurden vom türkischen Staat besetzt. Die Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien hat die aus der Besatzungszone vertriebenen Menschen zunächst in öffentlichen Schulen untergebracht. In der Gemeinde Tiwêna, die etwa zwölf Kilometer westlich der Kantonshauptstadt Hesekê liegt, wurde von der Autonomieverwaltung und dem Kurdischen Roten Halbmond (Heyva Sor a Kurd) ohne jegliche Unterstützung internationaler Hilfsorganisationen die Zeltstadt Waşokanî errichtet. Dort leben inzwischen knapp 7.000 Vertriebene, die versuchen, das demokratische System Rojavas bestmöglich aufrechtzuerhalten.
Fast täglich treffen weitere Menschen in dem Camp ein, dessen komplette Versorgung ebenfalls von den Selbstverwaltungsstrukturen und Heyva Sor a Kurd geleistet wird. Zwar wurden internationale Organisationen bereits mehrfach zur Unterstützung für die Geflüchteten aufgerufen, bisher jedoch vergeblich. Trotz den schweren Bedingungen in Waşokanî sind die Bewohner*innen erleichtert, außerhalb der Besatzungszone zu sein. Viele erklären, ein Leben im Zelt der türkischen Besatzung vorzuziehen. In den von der Türkei annektierten Städten Rojavas kommt es zu wahllosen Angriffen auf die Zivilbevölkerung, kaltblütigen Morde und Entführungen sowie Plünderungen durch die türkische Armee und ihre dschihadistischen Hilfstrupps. Die internationale Staatengemeinschaft hält nach wie vor an ihrem Schweigen fest und ignoriert bis heute die Kriegsverbrechen der Türkei in Nordsyrien.
„Unsere Bedingungen hier sind natürlich besser als in den Regionen, die von Angriffen der Milizen betroffen sind. Die Camp-Verwaltung erfüllt unsere Bedürfnisse so weit es ihr möglich ist. Die winterlichen Wetterbedingungen erschweren zwar das Leben, aber es ist besser als ein Leben unter türkischer Besatzung”, sagt Ahmed Mihemed aus dem Dorf Deşişa in Til Temir. Er will, dass die Türkei aus Syrien verschwindet.
Ähnliche Worte kommen von Ayşe Mihemed. Sie floh aus Serêkaniyê, der Stadt, in der die türkische Invasion begonnen hat. Sie erklärt: „Ich ziehe es vor, unter den Bedingungen in Waşokanî zu leben, als unter der Kontrolle von den Dschihadisten.“