Nach der Attacke der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) hat sich die Lage in der Haftanstalt Sina in Hesekê wieder beruhigt. Wie Zaidan Al-Assi, Ko-Vorsitzender im Fachressort für Verteidigung, in der Nacht zu Samstag mitteilte, kommt es in der Umgebung des Gefängnisses noch vereinzelt zu Gefechten. Die im Stadtgebiet von Hesekê gemeinsam von den Demokratischen Kräften Syriens (QSD) und Truppen der internationalen Anti-IS-Koalition eingeleiteten Durchsuchungsaktionen gehen derweil mit hoher Intensität weiter. Die meisten Geflüchteten seien aber inzwischen wieder gefasst worden. Bis Freitag brachten die QSD mindestens 89 IS-Häftlinge nach ihrem Ausbruch wieder ins Gefängnis. Sieben Insassen, die sich hätten ergeben wollen, seien von anderen Dschihadisten getötet worden.
Der IS hatte den Angriff auf das Haftzentrum im südlichen Teil von Hesekê am Donnerstagabend gestartet. Mit etwa 5.000 Häftlingen aus verschiedenen Ländern, darunter auch führende Köpfe der Miliz, ist es das größte Gefängnis für Dschihadisten im nordostsyrischen Autonomiegebiet. Diese sollten in einem koordinierten Massenausbruchsversuch befreit werden. Es handelt sich um die schwerwiegendste IS-Attacke in der Region seit fast drei Jahren. Zaidan Al-Assi glaubt jedoch nicht, dass die Zellen der Miliz allein handelten. Die Dimensionen des Angriffs ließen vielmehr auf einflussreiche Unterstützer hinter den Terroristen schließen, so der Verteidigungsbeauftrage der Autonomieverwaltung.
„Eine Attacke in diesem Ausmaß hat es seit unserem militärischen Sieg über den IS nicht gegeben. Es ist erkennbar, dass es sich um einen strategisch geplanten und organisierten Angriff handelt. Unter diesem Aspekt deutet alles darauf hin, dass die IS-Zellen von einer internationalen Kraft gefördert werden. Der Zweck dahinter besteht darin, die von uns etablierte Stabilität in den Autonomiegebieten zu zerstören“, so Al-Assi.
Zaidan Al-Assi
Drohnenangriff auf Militärrat von Til Temir
Die Umstände des Angriffs legen eine Mittäterschaft des türkischen Staates nahe. Darauf deutet auch der Drohnenschlag auf einen Konvoi des Militärrats von Til Temir hin. Die Kolonne des QSD-Mitgliedsverbands hatte sich am Freitag auf dem nach Hesekê befunden, um die Operationen gegen den IS zu unterstützen. Auf der Verbindungsstraße 716 gerieten die Fahrzeuge ins Visier türkischer Killerdrohnen, die nicht lange fackelten. In Höhe der Ortschaft Al-Tweinah (ku. Tiwana), etwa dreizehn Kilometer nordwestlich von Hesekê, wurde einer der Wagen von hinten getroffen. „Wir glauben nicht, dass der Konvoi zufällig von den türkischen Besatzern entdeckt wurde. Es sieht vielmehr nach einem gezielten Luftschlag aus. Innerhalb der Staatengemeinschaft sollte es Fragen aufwerfen, dass ein Nato-Mitglied und Verbündeter des Westens diejenigen Kräfte bombardiert, die gegen einen Fluchtversuch von IS-Terroristen vorgehen“, unterstreicht Zaidan Al-Assi.
Mehr Unterstützung für QSD erwartet
Kritisiert wird von der Ko-Spitze im Verteidigungsressort Nord- und Ostsyriens auch die fehlende Bereitschaft westlicher Staaten, effektivere Schritte gegen den IS-Terror zu unternehmen. Zaidan Al-Assi bemängelt, dass alle bisherigen Maßnahmen unzureichend seien und es deutlich ernsthaftere Bemühungen von der internationalen Gemeinschaft brauche. „Der IS ist sowohl in Syrien als auch im Irak bemüht, seine frühere Stärke zurückzuerlangen. Die Welt muss diese Bedrohung erkennen und ihrer Verantwortung gerecht werden. Denn die IS-Gefahr betrifft nicht nur uns, sondern den gesamten Globus. Zur Beendigung des Terrors sind konsequente Schritte erforderlich. Daher erwarten wir, dass die Staatengemeinschaft die Unterstützung für die QSD im Kampf gegen den IS spürbar ausbaut.“
Gefängnisse und Lager tickende Zeitbomben
Die Gefängnisse im nordostsyrischen Selbstverwaltungsgebiet gelten schon lange als tickende Zeitbomben. Insgesamt halten die QSD seit ihrem Sieg über den IS im März 2019 mehr als 10.000 Dschihadisten in Haftzentren und Lagern gefangen. Ein großer Teil stammt aus Syrien und dem Irak, unter ihnen sind aber auch rund 2.000 Dschihadisten aus westlichen Ländern. Die gefährlichsten Terroristen sitzen in dem Gefängnis Sina ein. Dort kommt es nicht zum ersten Mal zu einen Ausbruchsversuch von IS-Terroristen. Zuletzt hatten die Sicherheitskräfte der Autonomieverwaltung im November eine Befreiungsaktion für die dort einsitzenden Dschihadisten vereitelt.
Zu den inhaftierten IS-Mitgliedern kommen auch zehntausende Angehörige, die in Auffang- und Internierungslagern festgehalten werden. Allein in dem größten Camp Hol, das in der Nähe von Hesekê liegt und als Brutstätte des IS gilt, leben derzeit etwa 57.000 Menschen aus über fünfzig verschiedenen Ländern. Bei vielen Bewohnerinnen und Bewohner handelt es sich um Binnenvertriebene, allerdings beherbergt es auch tausende IS-Familien. Etwa die Hälfte aller Internierten sind Minderjährige, vielen wird die IS-Doktrin beigebracht. Dadurch entsteht eine neue IS-Generation.
Die Autonomieverwaltung drängt die Herkunftsländer der Dschihadisten und ihren Angehörigen seit Jahren jedoch vergeblich, ihre Bürgerinnen und Bürger zurückzunehmen. Die meisten Staaten verweigern sich wegen der ausgehenden Terrorgefahr einer Rücknahme und entziehen sich ihrer Verantwortung. Bisher haben einige wenige Länder, wie etwa Norwegen, Schweden, Finnland, Russland und Albanien, lediglich einige Frauen und Kinder aus Nordostsyrien ausgeflogen.