Kontranetzwerke in Nordsyrien

Die Sicherheitskräfte von Rojava haben bei einer Operation eine Schläferzelle ausgehoben, die für eine Vielzahl von Morden und Attentaten verantwortlich ist. Die Anführer der Zelle befinden sich in der Türkei.

Mit dem Beginn der Revolution von Rojava am 19. Juli 2012 verstärkten sich auch die Angriffe auf demokratische Projekte in der Region. Verschiedene Kräfte aus der Region und von außen intervenierten, um die Selbstverwaltung Nordsyriens zu stören.

In dem Dossier „Aussagen zu Kontra-Netzwerken in Nordsyrien“ stellt die Nachrichtenagentur ANHA zunächst eine Schläferzelle vor, die für den Mord an acht Personen aus dem politischen, militärischen und gesellschaftlichen Bereich verantwortlich ist. Die Zelle hat darüber hinaus gescheiterte Mordversuche an acht weiteren Personen verübt. Die Gruppe ist unter anderem für die Ermordung von Isa Hiso, einem Mitglied des TEV-DEM-Exekutivrats, verantwortlich. Die Planungen für weitere Morde liegen der Justiz mittlerweile vor. Vor dem Zugriff war die Gruppe einige Zeit von Sicherheitskräften (Asayish) observiert worden. Einige ihrer Mitglieder waren bereits am 29. Oktober 2016 inhaftiert worden.

Der Nachrichtenagentur ANHA liegen Kopien der Akten der Mitglieder der Zelle vor. Die Spezialeinheiten der Asayish (HAT) haben am 11. Dezember 2016 Flodi Iskender Ibrahim bei sich zu Hause gestellt. Er hatte auf die Sicherheitskräfte das Feuer eröffnet und das HAT-Mitglied Cûdî Ismail getötet. Flodi wurde bei dem darauffolgenden Gefecht getötet. In seiner Wohnung wurden Waffen und Sprengstoff gefunden.

Die Führung der Zelle

Die Mehrheit der 24 Mitglieder stammt aus dem Kanton Cizîrê; elf Mitglieder kommen aus dem Ausland. Bei allen handelt es sich um Personen, die schon zuvor verschiedene Verbrechen begangen hatten. Die Gruppe wurde von zwei Personen angeführt.

Mihemed Ehmed El Şebyan (Ebu Xalid) stammt aus dem Dorf El Qiser bei Qamişlo. Er wurde 1977 geboren und arbeitete als Beamter für die Weizenernte. El Şebyan wird in der Region Hol von Abu Hamza al Kurdî, dem Führer von Ahrar al-Şam aus Qamişlo, unterstützt. Abu Hamza al Kurdî lebte in der Türkei im Kreis Hatay. Als die Al-Nusra-Front Ende 2013 in der Region Cizîrê immer weiter an Einfluss verliert, zieht sie sich nach Nord-Aleppo und Idlib zurück. Zu dieser Zeit besetzte der Islamische Staat (IS) große Teile Syriens.

El Şebiyan baute zu der Zeit ein Netzwerk auf, zu dem auch der Al-Nusra-Führer Medud Betal gehörte. Betal zahlte an El Şebiyan monatlich 500 bis 1000 Dollar. Nach Aussagen von El Şebiyan stand er auch in Verbindung mit dem Milizionär Ebdullah Arub und erhielt von ihm ebenfalls monatlich 700 bis 1000 Dollar. El Şebiyan arbeitete mit einer Person namens Mohammed Adbulsalam Al Ibrahim daran, einen Handelsweg mit dem IS einzurichten. Allerdings scheiterten diese Versuche nach seinen Aussagen.

Flodi Iskender Ibrahim war der Anführer und Planer der Zelle. Er war in der Gruppe als Direktor bekannt und kannte sich mit Sprengstoff aus. Er stellte alle von der Gruppe verwendeten Sprengsätze her und richtete auch die „Operationsbasis“ der Gruppe ein. El Şebiyan bezeichnet Flodi als Verbindungsmann zum türkischen Geheimdienst.

Nach Aussagen von El Şebiyan hat Flodi vom türkischen Geheimdienst eine Dose mit Gift erhalten, die er an Punkten der YPG und der Asayish über das Essen verabreichen sollte. Firaz Salih Omar und Amir Nurdi Gabi sollten ihm dabei helfen.

Firaz Salih Omar stellt in seinen Aussagen ebenfalls dar, dass Flodi enge Beziehungen zum türkischen Geheimdienst gehabt hat. Er habe Informationen über die militärische und politische Führung in Rojava an den türkischen Geheimdienst weitergeleitet. Firaz berichtet, er habe einmal mit Flodi Informationen über ein YPG-Zentrum an der Straße zum Dorf Himo an den Geheimdienst geschickt. Dabei hätten sie auch Daten über einen Asayish-Stützpunkt weitergegeben. Sie hätten dabei mit GPS gearbeitet. Ihre Gruppe sei vom türkischen Geheimdienst finanziert worden. Nachdem die Daten weitergegeben worden waren, sollte ein Treffen mit den Kommandanten stattfinden, um einen Angriff vorzubereiten. Darüber sollte der türkische Geheimdienst ebenfalls informiert werden.

Nachdem Şiban und Flodi zusammengebracht worden waren, gründeten sie eine Gruppe. Nach Angaben von Şiban hat der Kern der Gruppe 2011 mit Aktionen gegen den syrischen Staat begonnen. Man habe damals auch Abu Hamza al Kurdi kennengelernt. Nach einer Weile habe al Kurdi Vorschläge von Personen für eine Gruppe, die nach Idlib gehen und dort ein spezielles militärisches Training erhalten sollte, verlangt. Die Ausbildung dauerte 25 Tage. Die Namen der an der Gruppe beteiligten Personen lauten:

Mohammed Abdulsemad El-Ibrahim: Er ist als Abu Omar bekannt und wurde 1977 im Dorf Qiser bei Qamişlo geboren. Er arbeitete in einer Lagerstätte für Medikamente. Auf Vorschlag von Şiban wurde er von al Kurdi nach Idlib geschickt und dann über Şiban mit Flodi bekannt gemacht. Er begann mit seinen Aktivitäten in Qamişlo.

Fadil Mecîd Osî: Er ist auch als Abu Rayan bekannt. Er wurde 1984 im Dorf Xurbetgulî in Qamişlo geboren. Er arbeitete in einem Lokal und schloss sich über andere Gruppenmitglieder an. Die Information kam von Mahmud „Şiban“.

Abdulrezaq Mohammed Şêxmûs Elî: Bekannt als Seyda Abu Ebdo. 1971 in Qamişlo geboren. Er war Arbeiter. Nach einem Besuch von Şiban schließt er sich der Gruppe an. Nach seiner Festnahme berichtet er von einem Anschlag der Gruppe im Stadtviertel Korniş in Qamişlo.

Mohamed Nacî Mohammed Masûm Yûsuf: 1980 im Dorf Kurdiwan in Qamişlo geboren. Verkäufer. Er schließt sich über Seyda Abu Ebdo in einer Moschee der Gruppe an und lernt einige andere Mitglieder der Zelle kennen. Er gibt an, dass sie als Gruppe nach Idlib gehen wollten, der Weg jedoch versperrt gewesen sei.

Ehmed Mella Omar: Geboren 1994 in Dêra Zor. Informatik-Student. Er schließt sich durch Mohamed Nacî Mohamed Masûm Yûsuf der Zelle an. Ehmed hatte 2014 Dêra Zor verlassen und war nach Rojava gezogen. Ehmed forderte von Mohamed, nach Idlib geschickt zu werden und dort mit Ahrar al-Şam zu arbeiten. Nach einer Weile lernt er Şiban kennen und beginnt als Presseverantwortlicher zu arbeiten, unter anderem richtet er eine Internetseite ein.

Xelîl Cedûh Cenwî: Bekannt als Abu Bakr. 1990 in Qamişlo geboren. Händler. Mohammed Abdulsemad El-Ibrahim fordert ihn auf, der Zelle beizutreten. Xelîl gibt an, dass Mohammed Abdulsemad El-Ibrahim für Hayat Tahrir Al-Şam (al-Nusra) gearbeitet hat und danach mit Şiban bekannt gemacht worden sei.

Elaa Silêman El-Cerbûh: Als Abu Abdullah bekannt. 1988 in Qamişlo geboren. Autohändler. Er schließt sich der Zelle an und lernt Şiban und Mohammed Abdulsemad El-Ibrahim als Mitglieder von Ahrar al-Şam kennen.

Abdulhaq Mohammed Maşûq Dawûd: Bekannt als Ciwan. 1992 in Qamişlo geboren. Arbeiter. Schließt sich über Mohamed Nacî Mohammed Masûm Yûsuf der Zelle an und arbeitet nach eigenen Angaben erst in der letzten Zeit für sie.

Fîraz Salih El-Omar: Bekannt als Abu Şerin. 1977 in Qamişlo geboren. Fahrer.

Viele Mitglieder sind aus Angst vor einer Festnahme geflohen. Ihre Namen lauten:

Ahmed Xerîb, Îbrahîm Xerîb, Mohamed Zekî El-Himêdî, Salih Ahmed Temo, Abdulrahman Temo, Ahmed Fexrî Osman, Mihemed Hac Yûsif, Amêr Nûrî Gabî, Mûsa Betûşî, Ridwan Mihemed Şerîf, Xidir Şêxmûs Elî.

Die Taten der Gruppe:

Die Ermordung des TEV-DEM-Mitglieds Isa Hiso am 30. Juli 2013

Die Ermordung von Isa Hiso wurde von Şiban und Flodi geplant. Der Sprengsatz wurde von Flodi vorbereitet. Die Bombe wurde von Fîraz Salih El-Omar in Hisos Auto gelegt. Mohammed El-Hemedi ist als Beobachter an dem Anschlag beteiligt.

In seinem Geständnis berichtet Şiban, dass er Flodi gemeinsam mit dem Milizionär Mohamed Zekî El-Himêdî besucht habe. Diese Person sei auch unter dem Namen Xero bekannt gewesen. Şiban berichtet, sie hätten den wachsenden Einfluss der Autonomen Selbstverwaltung diskutiert und als Bedrohung wahrgenommen. Daher seien sie, nachdem sie sich mit anderen Milizionären getroffen hatten, mit Xeros Fahrzeug zum Haus von Hiso in Korniş in Qamişlo gefahren.

Isa Hiso wird als Ziel ausgewählt

Nach den Aussagen von Firaz Salih El-Omar haben ihn Flodi, Şiban und Xero besucht und davon gesprochen, eine Person aus der Führung der Autonomen Selbstverwaltung töten zu wollen. Er selbst habe gesagt, dass er Isa Hiso und sein Haus gut kenne. Er selbst habe die Tötung von Hiso vorgeschlagen.

Nach Angaben von Şiban wurde Ehmed Xerib damit beauftragt, den Sprengsatz zur Ermordung von Isa Hiso anzubringen. Ein Mitglied der Gruppe mit dem Namen Firaz war damit beauftragt worden, die Zündung vorzunehmen. Der Anschlag sollte am 30. Oktober 2013 stattfinden.

Şiban erzählt über den Tag des Angriffs, dass sich Ehmed Xerib als Bettler verkleidet und den Sprengsatz am Auto angebracht habe. Sie hätten das Fahrzeug gesprengt, als Hiso einstieg.

Ermordung des YPG-Mitglieds Saddedin Şêxmus am 13. Juli 2013

Die Idee zur Ermordung des YPG-Mitglieds Saddedin Şêxmus kommt von Ehmed Fexri Osman. Şiban, Flodi und Fexri treffen gemeinsam die Entscheidung zu dem Angriff, Ibrahim Xerib bereitet den Anschlag vor.

Nach Aussagen von Şiban gegenüber den Asayish war geplant, eine Bombe an einem Fahrrad zu verstecken. Am 12. Juli 2013 wurde ein entsprechend mit Sprengstoff präpariertes Fahrzeug vor Saddedins Laden abgestellt. Als Saddedin das Fahrrad sieht und sich von seinem Laden entfernen möchte, detoniert die Bombe und tötet ihn.

Ermordung des politischen Aktivisten Mahmud Seyda am 11. August 2013

Zu diesem Mord gibt Şiban ebenfalls wichtige Details an. Şiban sagt aus, dass der Vorschlag für den Angriff von Mahmud Seydas Neffen Xidir Mohammed Şexmus Eli gekommen sei. Şiban habe Xidir oder das Gruppenmitglied Salih Ahmed Temo kennengelernt.

Nach Angaben von Şiban hatten sie zunächst geplant, Seyda mit einer Waffe mit Schalldämpfer zu töten, aber da sie keinen Schalldämpfer fanden, gaben sie diesen Plan wieder auf. Sie mussten ebenfalls ihre Pläne ändern, da Seyda seinen Aufenthaltsort wechselte.

Şiban sagte zum Angriff aus: „Der Angriff lief so ab: Salih Ahmed Temo durchsiebte Seyda mit Kugeln, während Ibrahim Xerib und Ehmed Xerib das Haus verwüsteten.“

Die Ermordung von Abdullah Qetermini am 5. Juni 2014

Am 5. Juni 2014 nahm die Gruppe Abdullah Qetermini, ein Mitglied des Volksrats des Stadtviertels Korniş in Qamişlo, ins Visier.

Şiban gibt an, den Vorschlag für die Aktion vom Gruppenmitglied Mohammed Xer Xelif erhalten zu haben. Den Aussagen Şibans und des Gruppenmitglieds Mohammed Adbulsemad El-Ibrahim zufolge verständigen sie sich mit Mohammed Xer Xelif über den Anschlag. Sie sammeln gemeinsam Informationen über Abdullah Qetermini und ordnen ihn sowohl als Führungsmitglied des Volksrats, als auch als Mitglied der Führung der Selbstverwaltung ein. Zur Vorbereitung des Angriffs nahmen Ridwan Mohammed Serif Ibrahim und Fadil Osi eine Wohnung, von der aus das Haus von Qetermini leicht zu beobachten war. Zwei Tage lang beobachten sie das Haus, dann bringen sie den Sprengsatz an seinem Auto an.

In seiner Vernehmung gibt Fadil Mecid Osi an, dass er den Sprengstoff von einem Gruppenmitglied mit dem Namen Mohammed Abdulsemad El-Ibrahim erhalten habe und anschließend zu der Wohnung gegangen sei, die Ridwan Serif und Ibrahim Qetermini genommen hatten. Nach dem Gebet in der Al-Rewda-Moschee brachten sie den Sprengsatz um 5.00 Uhr am Fahrzeug von Qetermini an. Als Qetermini in sein Fahrzeug einstieg, zündeten sie den Sprengsatz.

Der Mord am YPG-Mitglied Kisra Şexmus im Jahr 2013

Über den Plan zur Ermordung von Kisra berichtet wieder Şiban. Şiban sagt aus, dass der Plan für den Mord im „Hauptquartier“, der Wohnung von Flodi, geschmiedet worden sei.

Şiban sagt, dass Kisra immer wieder die Schneiderei von Salih Ahmed Temo besuchte und sie Kisra durch ein Gruppenmitglied mit dem Namen Musa Bertoşi näherkommen wollten. Sie hofften, den Angriff auf diese Weise einfacher durchführen zu können.

Sie hatten geplant, Kisra Şexmus mithilfe von vergiftetem Orangensaft umzubringen. Dieser Plan habe allerdings nicht umgesetzt werden können, erklärte Şiban. Daher haben sie ihn mit einem Kopfschuss getötet. Danach schneiden Flodi, Şiban und Xero dem ermordeten YPG-Mitglied den Kopf ab, stecken den Leichnam in einen Sack und begraben ihn an einem Ort hinter der Raffinerie von Qamişlo.

Die Ermordung des YPG-Mitglieds Cemal Mohammed Faris im Jahr 2013

Der Angriff war von Flodi Iskender und Mahmud Ahmed Şiban geplant und von Salih Ahmed Temo und Amêr Nûrî Gabî ausgeführt worden. Şiban sagt, auch Cemal Mohammed Faris sei durch einen Kopfschuss getötet worden. Zunächst habe Salih Ahmed Temo Faris beschossen, als dieser sich zu retten versuchte, griff Amêr Nûrî ein. Der Leichnam von Faris wurde zur Bişeriye-Brücke gebracht, dort enthauptet und ebenfalls an der Çermukli-Tankstelle begraben.

Die Ermordung von Ferhan Xidir (Şero Ibrahim) im Jahr 2013

Şiban sagt weiter über die Mordserie aus, so berichtet er auch über den Mord an Riyad Ferhan Xidir. Nach seinen Aussagen war Ahrar-al-Sham hinter Ferhan Xidir her. Er habe über wichtige Informationen und Dokumente der Miliz verfügt. Daher hätten sie ihn töten wollen. Diesmal ist Şiban selbst der Killer. Şiban wartet zusammen mit Abdulsemad am Til-Hemis-Kontrollpunkt auf Ferhan. Nachdem sie Ferhan ergriffen hatten, nahmen sie ihn und brachten ihn nach Hol in Hesekê zum Ahrar-al-Sham-Führer Abu Hamza al Kurdî. Ferhan wird dort unter Folter verhört.

Şiban gibt zu, Ferhan selbst ermordet und seine Leiche im Südwesten von Hol im El-Sebxat-Gebiet vergraben zu haben.

Die Ermordung von Sabri Hamza Selomi am 3. Juli 2013

Auch der Vorsteher des Dorfes Hamo bei Qamişlo, Sabri Hamza Selomi, wurde von der Gruppe getötet. Nach den Aussagen Şibans hätten sie Selomi unter dem Vorwand, einige Dinge von ihm kaufen zu wollen, zu sich gerufen und in ein Haus gebracht. Dort sei er von Salih Ahmed Temo erdrosselt worden.

Şiban und Flodi hatten die Leiche in einen Sack gesteckt und einfach auf einem Gelände abgeworfen.