IS-Krankenwagenfahrer: Verletzte in die Türkei gebracht
Muhammad Amir Abdulkadir ging aus Deutschland nach Syrien und schloss sich dem sogenannten IS an. Im ANF-Interview berichtet er von Transporten schwerverletzter IS-Dschihadisten in die Türkei.
Muhammad Amir Abdulkadir ging aus Deutschland nach Syrien und schloss sich dem sogenannten IS an. Im ANF-Interview berichtet er von Transporten schwerverletzter IS-Dschihadisten in die Türkei.
Der deutsche Dschihadist Muhammad Amir Abdulkadir alias „Abu Muhammed Almani“ ist einer von über hundert deutschen Mitgliedern der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS), die sich in Nordsyrien in Haft der Demokratischen Kräften Syriens (QSD) befinden. Gegenüber unserer Agentur berichtet er, wie mit Hilfe des in Neuss ansässigen salafistischen Vereins „Helfen in Not“ Krankenwagen für den sogenannten IS aus Deutschland über Idlib in das selbsternannte Kalifat gebracht wurden.
Muhammad Amir Abdulkadir arbeitete im Jahr 2015 als Krankenwagenfahrer zwischen Girê Spî (Tall Abyad) und Tabqa und transportierte schwerverletzte IS-Dschihadisten: Er berichtet: „Sobald wir die Verletzten in ein Krankenhaus in Tall Abyad brachten, wurden sie von meinem Krankenwagen in einen anderen umgeladen. Dieser Krankenwagen brachte die Verletzten zum Grenzübergang von Tall Abyad. An der Grenze wurden die Verletzten wieder in einen anderen Krankenwagen umgeladen und in die Türkei gebracht.“ Abdulkadir sagt aus, wie über die behördenbekannte Tarnorganisation „Helfen in Not“ zwei Krankenwagen aus Deutschland dem IS übergeben wurden. Dabei erfüllte der Vereinsvorsitzende Bekir Astürk mit seinen guten Beziehungen zum türkischen Staat eine wichtige Rolle.
Arbeit für „Helfen in Not“ in Deutschland
Der aus Tunesien stammende Muhammad Amir Abdulkadir besitzt in Deutschland eine Aufenthaltserlaubnis. Ende 2013 oder Anfang 2014 habe er die „Hilfsorganisation“ mit dem Namen „Helfen in Not“ und ihren Gründer Bekir Astürk kennengelernt. Bekir Astürk ist als Salafist beim Bundesamt für Verfassungsschutz erfasst. Über dessen Verein, der als humanitäre Hilfsorganisation auftritt, berichtet Muhammad Amir Abdulkadir: „Helfen In Not saß in Deutschland. Der Chef war ein Türke. Ich habe mich an der Arbeit des Vereins beteiligt, um humanitäre Hilfe für die Bevölkerung in Syrien zu leisten. Die Vereinsleute fragten mich, ob ich mit ihnen einige Krankenwagen nach Syrien bringen könnte. Daraufhin sagte ich zu. In Deutschland bestand unsere Aufgabe darin, Sachspenden und Geld zu sammeln. Es wurden Versammlungen (Spendengalas, Anm. d. Red.) mit Muslimen durchgeführt und Geld von ihnen für Syrien gesammelt. Damit wurden gebrauchte Krankenwagen gekauft. Wir ließen sie reparieren, um sie nach Syrien zu bringen“ erklärt der Dschihadist.
Mehrheit der Krankenwagen passierte Grenze bei Cilvegözü
Abdulkadir erzählt, er habe zwei Transporte von Krankenwagen nach Syrien in diesem Rahmen durchgeführt. „Es war im März oder April 2014, als ich auf Wunsch des Besitzers von ‚Helfen in Not‘ nach Idlib ging. Das war das erste Mal, dass ich in Syrien war. Die Krankenwagen und Bekir Astürk kamen in Istanbul getrennt an. Ich übernahm einen und reiste über den Grenzübergang Bab al-Hawa (Cilvegözü-Reyhanlı) nach Idlib ein. In Idlib gab es ein Büro von ‚Helfen in Not.‘ Wenn Medikamente benötigt wurden, organisierten wir diese und ließen sie dem Büro zukommen. Als wir das erste Mal nach Syrien reisten, war es nicht wegen dem IS. Zu dieser Zeit war der IS in Idlib nicht aktiv. Manche Krankenhäuser standen unter der Kontrolle der FSA, andere unter der von Ahrar al-Sham. Wieder andere waren weder unter der Kontrolle der einen noch der anderen Kraft, sondern wurden von zivilen Einrichtungen betreut. Nach einem kurzen Aufenthalt in Idlib, um die Krankenwagen auszuliefern, reiste ich zurück nach Deutschland und setzte dort meine Arbeit fort“, erklärt Abdulkadir.
Beziehungen zwischen Bekir Astürk und türkischen Staatsfunktionären
Der Dschihadist sagt über den Vorsitzenden von ‚Helfen in Not‘ aus: „Bruder Bekir kannte viele Leute in der Türkei, unter ihnen Offiziere, Soldaten und Beamte. Dank ihm war es leicht, die Krankenwagen von Istanbul nach Idlib zu transportieren. Auch einige der Personen am Grenzübergang Bab al-Hawa, darunter sehr wichtige Persönlichkeiten, gehörten zum Bekanntenkreis von Bekir. Er kümmerte sich um die Formalitäten für den Grenzübertritt. Alle Dokumente von Deutschland bis Idlib waren offizielle Papiere. Die Krankenwagen wurden nicht einmal durchsucht, da viele Leute Bekir kannten. Deswegen hatten wir nie die geringsten Schwierigkeiten“, so Abdulkadir.
Astürk schickt dem IS zwei Krankenwagen
Im September 2014 reist der Tunesier erneut als Mitarbeiter von ‚Helfen in Not‘ mit Krankenwagen über die Türkei nach Syrien. Abdulkadir gibt an, Astürk habe ihm aufgetragen, diesmal mit zwei Krankenwagen nach Bab zu fahren. Bab stand zu diesem Zeitpunkt unter IS-Kontrolle. „Uns war nicht bewusst, dass Bab und Tabqa vom IS kontrolliert wurden. Ich hatte einen Ausweis für humanitäre Hilfsorganisationen und Passierscheine. Ich ging davon aus, dass wir die Sanitätsfahrzeuge für humanitäre Hilfe nach Bab brachten. Als wir dort ankamen, blickten wir an den Kontrollpunkten auf Leute mit Bärten. Sie sahen anders aus, es hingen IS-Fahnen an den Masten. In Bab schickten uns die IS-Leute auch nach Tabqa“ erinnert sich Abdulkadir.
Der Dschihadist behauptet, er habe sich dem IS nicht anschließen wollen, die Miliz habe es jedoch von ihm verlangt. Er rekapituliert: „Direkt nachdem wir in Tabqa angekommen waren, bombardierte das Assad-Regime das Krankenhaus der Stadt. Mein Krankenwagen wurde leicht beschädigt, ich wurde bei dem Angriff verletzt. Zunächst blieb ich zur Behandlung in dem dortigen Krankenhaus. Nachdem es mir etwas besser ging, wollte ich nach Deutschland zurückkehren. Aber sie (der IS) erlaubten es nicht. Meine Ehefrau und meine Kinder waren in Deutschland und ich in Tabqa. Es gab noch einen anderen Krankenwagenfahrer, der mit mir gekommen war. Sein Name war Dominik. Er blieb auch beim IS und war damit zufrieden. Er ging als IS-Mitglied in den Irak und hat geheiratet. Wie es mit ihm weiterging, weiß ich nicht.“
Krankenwagenfahrer für den IS
Über seine Aufgaben im selbsternannten Kalifat erzählt Abdulkadir: „Da ich, als ich nach Tabqa gekommen war, am Knie und an der Hüfte verletzt wurde, bekam ich den Auftrag, als Krankenwagenfahrer zu arbeiten. In dem Fahrzeug, das ich zuvor dorthin gebracht hatte, steckten ein paar Schrapnelle. Doch sie hatten es bereits repariert, also fuhr ich diesen Krankenwagen. Ich brachte die Schwerverletzten nach Tall Abyad. Von dort übernahm Abu Bakr al-Kurdi die Verletzten und transportiere sie in die Türkei. Er benutzte zwei Namen, der andere lautete Abu Ibrahim al-Kurdi. Er selbst hielt sich in Tall Abyad auf und hatte einen Bruder auf der türkischen Seite. Al-Kurdi nutzte die Verbindung zu seinem Bruder, um die Verletzten über die Grenze zu schaffen. Ihre Arbeit verlief reibungslos. Sie organisierten ihre Arbeit selbst. Sein Bruder kümmerte sich um Dokumente der Verletzten, Medizin, Wohnung und Krankenhaus.“
Dschihadisten über Grenzübergang bei Akçakale transportiert
„Wenn wir die Verletzten in ein Krankenhaus in Tall Abyad brachten, wurden sie von meinem Krankenwagen in einen anderen umgeladen. Dieser brachte die Verletzten zum Grenzübergang von Tall Abyad. An der Grenze wurden die Verletzten wieder in ein anderes Rettungsfahrzeug geladen und in die Türkei gebracht. Diese Arbeit war leicht und gut organisiert. Doch nicht jeder Kranke konnte auf diesem Weg reisen. Nur die sehr schwer Verletzten wurden auf diese Weise in die Türkei gebracht. Sobald wir die Verletzten in den anderen Krankenwagen umluden, musste al-Kurdi auf jeden Fall dort bereitstehen. Wir hatten ja ohnehin einen Rettungswagen, der bereit war, im Krankenhaus. Abu Bakr al-Kurdi war immer bereit. Er stand in permanentem Austausch mit seinem Bruder auf der türkischen Seite des Grenzübergangs und informierte die Soldaten und Verantwortlichen, dass ein Krankenwagen mit Verletzten eintreffen werde“, erklärt Abdulkadir.
Verletzte aus dem Irak nach Girê Spî
Der Islamist erinnert sich an seine weitere Arbeit: „Ich hatte Ende 2014 oder Anfang 2015 angefangen, auf der Route zwischen Tabqa und Tall Abyad zu arbeiten. Dann schickten sie mich in den Irak. Dort machte ich die gleiche Arbeit als Krankenwagenfahrer. Ich habe zweimal Verletzte von Ambar nach Tall Abyad gebracht. Danach begannen die Kämpfe zwischen den Demokratischen Kräften Syriens und dem IS. Als Tall Abyad gefallen war, arbeitete ich mit demselben Krankenwagen nur noch innerhalb des IS-Gebiets. Nach rund einem Jahr im Irak wurde ich nach Raqqa geschickt. Tall Abyad war der Grenzübertrittspunkt. Ich habe oft gehört, dass nach der Einnahme der Stadt der Austausch von Waffen und verletzten IS-Dschihadisten über unterirdische Tunnel im Dorf Bab Lemon bei Rai stattfand. In der Türkei wurden die IS-Dschihadisten nicht nur in einem Krankenhaus behandelt. Es gab eine ganze Reihe von Krankenhäusern des IS. Bekirs Beziehungen in der Türkei waren gut und er hatte Geld. Es gab keinerlei Probleme bei der Behandlung der Verletzten. Ich weiß nicht, in welche Krankenhäuser sie gebracht wurden. Aber wenn wir die Verletzten abholten, sprachen sie davon, dass sie nach Urfa, Hatay und Istanbul gebracht worden seien.“
Muhammad Amir Abdulkadir gibt an, in Raqqa damit begonnen zu haben, sich stärker um eine Flucht aus dem IS zu bemühen. Am 24. Dezember 2017 ergab er sich in Deir ez-Zor den QSD.
„Helfen in Not“ - Mindestens neun Krankenwagen an den IS geschickt
„Helfen in Not“ wurde im Jahr 2013 von Bekir Astürk in Neuss gegründet. Die Einrichtung behauptete, „überall an der Seite von Bedürftigen“ zu stehen und präsentierte sich der deutschen Öffentlichkeit als „hilfsbereiter Held.“ Der Verein war nach eigenen Angaben von afrikanischen Staaten, über Palästina, bis hin nach Syrien in Kriegsgebieten aktiv und agierte unter dem Slogan: „100 Prozent Ihrer Spende kommen bei den Adressaten an.“ Bei den Adressaten handelte es sich allerdings in vielen Fällen um den IS. Die Staatsanwaltschaft Köln hatte 2014 festgestellt, dass „Helfen in Not“ bis dahin neun Krankenwagen an den IS geschickt hatte.
In der Spiegelausgabe Oktober 2016 wurde beschrieben, wie durch die Telefonüberwachung von zwei Mitgliedern salafistischer Gruppen im März 2014 ermittelt wurde, wie der Krankenwagentransport zum IS und al-Qaida funktioniert. Die Dschihadisten Mustafa A. und Mirza B. hatten darüber gesprochen, wie sie im Februar 2014 einen dieser Krankenwagen über die Türkei nach Syrien gebracht hatten.
IS-Unterstützung unter den Augen des Verfassungsschutzes
Der Verein „Helfen in Not“ machte sich nicht die Mühe, seine Tätigkeit zu verbergen. Stattdessen unterstützte er den IS offen unter den Augen des Verfassungsschutzes. Der Verfassungsschutz berichtete über eine Veranstaltung in Bonn, an der 2.000 Personen teilgenommen haben und 50.000 Euro gesammelt wurden. Der Geheimdienst war über die Spendensammlung, den Kauf von Krankenwagen und über ihren Transport nach Syrien die ganze Zeit über informiert. Diese Punkte wurden auch im NRW-Landtag thematisiert. Auf eine Kleine Anfrage an die NRW-Landesregierung zu Tarnorganisationen, die Unterstützung für den IS organisieren, hieß es, dass „Helfen in Not“ seit 2013 vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Auch der Salafistenkader Sven Lau, der im Mai aufgrund von „Reue“ aus dem Gefängnis entlassen wurde, nahm an den Aktivitäten von „Helfen in Not“ teil und machte Propaganda für die Spendensammlungen.
Krankenwagen waren nicht leer
In der Anklageschrift gegen Sven Lau aus dem Jahr 2013 hieß es ebenfalls, dass „Helfen in Not“ Geld gesammelt habe und den Dschihadisten davon Fahrzeuge und Geräte lieferte. Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft stellte fest, dass Sven Lau drei Nachtsichtgeräte im Wert von 1447 Euro durch „Helfen in Not“ an den IS liefern ließ. Die Krankenwagen aus Deutschland waren also nicht leer, sie enthielten auch Rüstungsgüter für den IS. Doch statt ein Verfahren wegen der Lieferung von militärischer Ausrüstung an den IS gegen den Besitzer von „Helfen in Not“ einzuleiten, beschränkten sich die Behörden darauf, Astürks Pass einzuziehen. Astürk hätte durchaus als Logistikverantwortlicher der Dschihadisten in Deutschland bezeichnen werden können. Der heute 49-Jährige klagte gegen die Passentziehung. Die Klage wurde vom Landgericht mit der Begründung abgewiesen, es sei zu befürchten, dass er ähnliche Straftaten wieder begehen werde.
„Helfen in Not“ ist unter verschiedenen Namen weiter aktiv
Nach Recherchen von ANF sammelt „Helfen in Not“ weiterhin Gelder. Das Konto der Gruppe betreibt der „Bildungs- und Kulturverein Weckhofen e.V.“, der gleichzeitig auch eine türkischsprachige Moschee besitzt. Ein anderer Verein in dem salafistischen Netzwerk ist Al-Yateem. Sowohl al-Yateem als auch „Helfen in Not“ sind weiterhin aktiv.